Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen wegen Verflechtung mit Privatgutachter

Rolle Ruhland OLG Hamm 4_7 flickr.com CC BY-SA 2.0Mit der Frage, wann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, befasst sich der Beschluss des OLG Hamm vom 26.03.2014 – 32 W 6/14.

Sachverhalt

Das Landgericht beauftragte das Sachverständigenbüro X-GbR mit einem Unfallrekonstruktionsgutachten. Für das Sachverständigenbüro wurden die Sachverständigen Dr. C und Dipl.-Ing. Y tätig. Vorprozessual hatte der Kläger bereits die G-GmbH mit der Erstellung eines „Unfall-Ablauf-Reports“ beauftragt, um der Darstellung des Unfallhergangs durch die Beklagte Versicherung entgegenzutreten. Im Laufe des Prozesses fiel dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf, dass der geschäftsführende Gesellschafter der G-GmbH (T2) gleichzeitig auch als Mitarbeiter auf dem Briefkopf des vom Gericht beauftragten Sachverständigenbüros genannt und zudem der Sohn einer der geschäftsführenden Gesellschafter war.

Die Beklagte lehnte den Gutachter daher wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesucht hatte vor dem Landgericht aber keinen Erfolg.

Nicht nur Richter, sondern auch Sachverständige können gem. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Grund dafür ist, dass der Sachverständige "Gehilfe" des Richters ist und als solcher ebenfalls unparteiisch sein muss.

Das Ablehnungsgesuch muss die Partei dabei gem. § 406 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO grundsätzlich binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bestellungsbeschlusses anbringen; danach ist eine Ablehnung nur noch möglich, wenn die Partei glaubhaft macht, von dem Ablehnungsgrund erst nachträglich erfahren zu haben. Gem. § 406 Abs. 3 ZPO muss der Ablehnungsgrund in dem Ablehnungsantrag glaubhaft gemacht (§ 294 ZPO) werden (vgl. § 44 Abs. 2 ZPO).

Begründet ist das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen nicht erst, wenn der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Schon der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein fehlender Neutralität rechtfertigt die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit. Das kann z.B. der Fall sein, wenn der Sachverständige einen Ortstermin nur mit einer Partei wahrnimmt, sich Informationen nur von einer Partei verschafft, wenn der Sachverständige vom Prozessgegner wirtschaftlich abhängig ist oder wenn der Sachverständige oder ein Sozius des Sachverständigen in dem Verfahren bereits ein Privatgutachten erstattet hat.

Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht gem. § 406 Abs. 4 ZPO durch Beschluss. Wird das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt, steht dem Ablehnenden gegen den Beschluss gem. § 406 Abs. 5 ZPO die sofortige Beschwerde zu.

Entscheidung

Der Beschluss des OLG Hamm befasst sich mit drei Fragen: 1) War das Ablehnungsgesuch verfristet, weil dem Prozessbevollmächtigten die Verflechtung schon eher hätte auffallen können? 2) War T2 als Privatsachverständiger anzusehen, nur weil er geschäftsführender Gesellschafter der G-GmbH war? 3) Begründet die dargestellte Verflechtung schon eine Besorgnis der Befangenheit der Sachverständigen Dr. C und Dipl.-Ing. Y?

1) Das OLG Hamm hält das Ablehnungsgesuch trotz Überschreitung der Zweiwochenfrist nicht für verfristet. Denn die Schilderung eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, ihm sei die Verbindung erst einen Tag vor der Einreichung des Ablehnungsgesuchs aufgefallen, sei glaubhaft.

"Dem steht nicht entgegen, dass [...] T2 bereits als Sachverständiger auf dem Briefkopf des beauftragten Sachverständigenbüros aufgeführt war und die Beklagten ein Schreiben mit diesem Briefkopf bereits im Jahre 2012 erhalten hatten. Die damit erkennbare Namensgleichheit eines Sachverständigen aus dem beauftragten Sachverständigenbüro mit dem geschäftsführenden Gesellschafter der bereits vorprozessual von der Klägerseite beauftragten Firma G GmbH gibt zwar Anhaltspunkte für eine mögliche persönliche oder geschäftliche Verbindung. Eine solche muss eine Partei aber nicht von sich aus recherchieren. Sie ist nicht verpflichtet, von sich aus Nachforschungen zur Neutralität eines Sachverständigen anzustellen[…].

Unterbleiben der naheliegende Hinweis des beauftragten Sachverständigen und auch eine mögliche gerichtliche Prüfung von Umständen, die der Neutralität eines beauftragten Sachverständigen entgegenstehen können, ist einer Partei dann nicht vorzuhalten, eine mögliche eigene Prüfung der Umstände nicht früher veranlasst zu haben."

2) Das Ablehnungsgesuch ist nach Ansicht des OLG Hamm auch begründet. Denn T2 sei als Privatgutachter anzusehen, weil andere handelnde Personen der G-GmbH nicht erkennbar seien.

"Der Sachverständige Diplom Ing. T2 ist mit der Firma G GmbH im vorliegenden Verfahren bereits als Privatgutachter tätig geworden. Der von der Firma G GmbH unter dem 19.01.2012 erstellte "Unfall-Ablauf-Report" ist als Privatgutachten anzusehen.  […] Als Privatgutachter ist Diplom Ing. T2 anzusehen. Der Report der Firma  GmbH lässt nicht erkennen, dass ein anderer Sachverständiger für den Inhalt des Gutachtens verantwortlich sein könnte, allein Diplom Ing. T2 wird als für die Firma verantwortlicher geschäftsführender Gesellschafter benannt."

3) Und die persönlichen und beruflichen Verflechtungen zwischen T2 und der X-GbR begründen nach Ansicht des OLG Hamm die Besorgnis, dass die für die GbR handelnden Personen nicht unparteiisch seien.

"Der Umstand, dass der Sachverständige Diplom Ing. T2 als Privatgutachter tätig geworden ist, begründet die Besorgnis der Befangenheit der im vorliegenden Rechtsstreit als gerichtliche Sachverständige tätig gewordenen Sachverständigen Dr. C und Diplom Ing. Y.

Diplom Ing. T2 ist der Sohn des geschäftsführenden Gesellschafters Prof. T und war auch für das Sachverständigenbüro X GbR als Sachverständiger tätig, so dass er als solcher auf dem Briefkopf des Büros aufgeführt wurde. Auch wenn er lediglich angestellt war – wobei die Stellungnahme des Sachverständigenbüros vom 25.10.2013 offenlässt, wann er seine Tätigkeit für das Büro beendet hat – gab es eine geschäftliche Verbindung zum Büro, die jedenfalls dazu führte, dass das Büro noch im vorliegenden Rechtsstreit Briefköpfe mit dem Namen Diplom Ing. T2 als einem zum Büro gehörenden Sachverständigen versandte. Zudem gibt es weiterhin eine persönliche Verbindung zu einem der verantwortlichen Gesellschafter des vom Gericht beauftragten Sachverständigenbüros. Aufgrund dieser Verbindungen kann ein Außenstehender den Eindruck gewinnen, dass Diplom Ing. T2 die Tätigkeit der zu dem Büro gehörenden Sachverständigen mit dem erstatteten Privatgutachten beeinflussen kann."

Zuletzt weist das OLG noch darauf hin, dass eine andere Entscheidung auch deshalb nicht in Betracht komme, weil das Landgericht lediglich „das Sachverständigenbüro" und nicht bestimmte dort tätige Personen beauftragt habe. Denn damit obliege die Auswahl der Sachverständigen u.a. auch dem Vater von T2.

"Auch die vor diesem Hintergrund vom Sachverständigenbüro getroffene und von den Parteien des Rechtsstreits nicht zu beeinflussende Auswahlentscheidung ist geeignet, Zweifel an der Unparteilichkeit der tätig gewordenen Sachverständigen zu begründen, nachdem die persönlichen und – jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt – bestehenden geschäftlichen Verbindungen zwischen dem Privatgutachter und dem Sachverständigenbüro von den Verantwortlichen dieses Büros gegenüber den Parteien des Rechtsstreits zuvor nicht offenbart wurden."

Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 26.03.2014 – 32 W 6/14.

Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC-BY-SA-2.0