Akteneinsicht in die gegnerischen PKH-/VKH-Unterlagen über § 117 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 ZPO?

Erich Ferdinand the zebra files flickr.com CC BY 2.0Mit einer nicht nur für „normale“ Zivilprozesse sondern (insbesondere) auch für Familienverfahren relevanten Fragestellung hat sich der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 29.04.2015 – XII ZB 214/14 befasst.

In der Entscheidung geht es um die Frage, ob die 2009 in die ZPO eingefügte Regelung des § 117 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 ZPO ein Einsichtsrecht in die PKH-/VKH-Unterlagen der anderen Partei gewährt.

Sachverhalt

Das Ausgangsverfahren war ein rechtskräftig abgeschlossenes Scheidungsverfahren, in welchem dem Ehemann VKH bewilligt worden war. Nach Abschluss des Verfahren hatte die Ehefrau beantragt, ihr die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemanns (§ 117 Abs. 2 ZPO) zugänglich zu machen und sich auf § 117 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 ZPO berufen. Den Antrag hatte das Amtsgericht – Familiengericht – zurückgewiesen; die Beschwerde dagegen hatte das OLG als unstatthaft und damit unzulässig verworfen.

Entscheidung
Auch mit der Rechtsbeschwerde hatte die Ehefrau im Ergebnis keinen Erfolg.

„(1) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, hat der Gegner des Antragstellers im Prozesskostenhilfeverfahren kein Anhörungsrecht bei der vom Gericht neben der Erfolgsaussicht weiter vorzunehmenden Prüfung, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen […].

Die Prüfung dieser Voraussetzung ist allein Sache des Gerichts, das nach eigener Beurteilung etwaige zusätzliche Ermittlungen zu führen hat. Mit dem diesbezüglich fehlenden Anhörungsrecht des Gegners korrespondiert, dass dieser bereits während des noch laufenden Verfahrens kein Recht nach § 299 Abs. 1 ZPO auf Einsichtnahme in die diese Angaben enthaltenden, gesondert geführten Teile der Prozessakten hat […].

(2) An den insoweit fehlenden Verfahrensrechten des Gegners hat auch die Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO […] nichts geändert, wonach die Erklärung und die Belege dem Gegner auch ohne Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden können, wenn der Gegner gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers hat.

Die eingefügte Bestimmung begründet kein Anhörungs- und auch kein Akteneinsichtsrecht des Gegners, sondern beschreibt die Modalitäten, unter denen die Erklärung und die Belege zugänglich gemacht werden können.

Zweck der eingefügten Bestimmung ist, dem Gericht im Interesse der Richtigkeitsgewähr bezüglich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers grundsätzlich die Befugnis zu geben, die Erklärung des Antragstellers dem Gegner zur Stellungnahme zuzuleiten. Unter der Voraussetzung, dass zwischen den Parteien ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch über Einkünfte und Vermögen besteht, erschien es verfahrensökonomisch, den Gegner sogleich in das Verfahren einzubeziehen, um etwaige Unrichtigkeiten in der Erklärung so früh wie möglich korrigieren zu können […].

Die Regelung hat somit lediglich objektiv-rechtlichen Charakter; sie dient allein einer verbesserten Aufklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Gericht im Interesse zutreffender Ergebnisse bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe […]. Die Bezugnahme auf bestehende materiell-rechtliche Auskunftsansprüche als Voraussetzung für die Zugänglichmachung der Erklärung dient lediglich der Gewährleistung datenschutzrechtlicher Belange […].

Eine Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des Verfahrensgegners war damit nicht beabsichtigt. Das hätte nämlich eine Rechtsnorm erfordert, die nicht nur der Verwirklichung von Gemeinschafts- und Gemeinwohlinteressen dient, sondern zumindest auch bezweckt, Interessen des Einzelnen zu verwirklichen. Die eingefügte Regelung bezweckt dies jedoch nicht […]. Sie dient nicht der Befriedigung von - im Einzelfall streitigen - privatrechtlichen Auskunftsansprüchen der Parteien, sondern nur der verbesserten Amtsaufklärung.

Subjektive Ansprüche auf Auskunftserteilung sind weiterhin in einem darauf gerichteten Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Sie in das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eines anderen Verfahrens zu verlagern, entspricht erkennbar nicht der mit Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO verfolgten Absicht des Gesetzgebers.

(3) Wenn aus den vorstehenden Gründen aber schon während des laufenden Verfahrens dem Gegner kein rechtlich geschütztes Interesse auf Einsicht in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zusteht, entsteht ein solches Recht erst recht nicht nach Abschluss des Verfahrens.“

Anmerkung

Die Entscheidung entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und der ganz überwiegenden Ansicht (s. nur Hanseatisches OLG Bremen, Beschl. v. 12.10.2011 – 5 WF 100/11; OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.11.2012 – 4 WF 216/12; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.03.2014 – 5 WF 36/14; Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 12. Aufl. 2014, § 117 Rn. 23; Härtl, NZFam 2014, 1032). Diese Problematik wurde bislang aber nur im Rahmen der Frage erörtert, ob dem Gegner entsprechend § 127 Abs. 2 ZPO ein Beschwerderecht zustehe, wenn ihm die beantragte Einsicht in die Unterlagen verwehrt werde (s. dazu zuletzt OLG Nürnberg, Beschl. v. 10.10.2014 – 9 WF 1163/14).

Daran scheiterte hier das Rechtsmittel hier jedoch ausnahmsweise nicht, auch wenn das OLG die Beschwerde mit dieser Begründung für unstatthaft gehalten hatte. Da das Verfahren schon abgeschlossen war, richtete sich das Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 2 ZPO, weshalb das OLG – worauf der BGH hinweist – die sofortige Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung i.S.d. § 23 EGGVG hätte behandeln müssen. Und dieser Antrag war zulässig, mangels subjektiven Einsichtsrechts aber unbegründet.

tl;dr: § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO gewährt dem Gegner kein subjektives Einsichtsrecht in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sondern soll allein dem Gericht eine besser Aufklärung ermöglichen.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss v. 29.04.2015 – XII ZB 214/14. Foto: Erich Ferdinand/the zebra files | flickr.com | CC BY 2.0