Dritte Aufhebung und Zurückverweisung noch ermessensfehlerfrei?

Die Sachverhalte mancher BGH-Entscheidungen sind eher wenig geeignet, das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung in das Funktionieren der Rechtspflege zu stärken. Das gilt wohl auch für den Beschluss des BGH vom 12.04.2018 – III ZR 105/17. Darin geht es – einmal mehr – um die Voraussetzungen der Aufhebung und Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm – vereinfacht – den Beklagten aus einem Vermögensverwaltungsvertrag in Anspruch, der dem Recht der Bahamas unterliegt. Das erste Urteil des Landgerichts in dem Rechtsstreit aus dem Jahr 2005 wurde vom Berufungsgericht aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Dieses Schicksal war auch dem zweiten und dritten Urteil des Landgerichts beschieden. Die Aufhebung und Zurückverweisung in dem dritten Urteil hatte das Berufungsgericht damit begründet, dass eine umfangreiche weitere Beweisaufnahme im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderlich sei. Diese sei bei Auslandsberührung regelmäßig anzunehmen. Hier sei eine ergänzende Vernehmung eines Zeugen und die Anhörung der Parteien geboten. Sei das Landgericht danach nicht von einer Pflichtverletzung des Beklagten überzeugt, werde es prüfen müssen, ob ergänzend Beweis über weitere Behauptungen der Klägerin zu erheben sei. Außerdem sei bahamisches Recht zu ermitteln. Das Interesse der Parteien an einer schnelleren Erledigung des Rechtsstreits sei gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht als überwiegend anzusehen. Gegen das dritte aufhebende und zurückverweisende Urteil wendete sich nun allerdings die Klägerin mit der vom BGH zugelassenen Revision.

Die Berufung ist – anders als im Strafprozess – keine zweite Tatsacheninstanz, sondern soll hauptsächlich der Fehlerkontrolle dienen, wie in § 513 Abs. 1 ZPO zum Ausdruck kommt. In der Berufungsinstanz wird der erstinstanzliche Prozess daher fortgesetzt. Hält das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts für mangelhaft (§ 529 Abs. 1 ZPO), hat es die erforderlichen Feststellungen grundsätzlich selbst nachzuholen und selbst in der Sache zu entscheiden. Nur in den in § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Fällen kann das Gericht das Urteil der Vorinstanz aufheben und den Rechtsstreit an das Gericht erster Instanz zurückverweisen. In sämtlichen Fällen geht es darum, dass die erste Instanz noch nicht vollständig entschieden hat und die Parteien keine Instanz verlieren sollen. Besonders problematisch ist dabei häufig die Regelung des § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1 ZPO, aufgrund derer das Gericht das Urteil aufheben und die Sache zurückverweisen kann, soweit „das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist“. Der Verfahrensmangel stand hier nicht in Frage, wohl aber, ob tatsächlich eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig war. Und, ob das Gericht sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hatte.

Entscheidung

Und die dritte Zurückverweisung war dem III. Zivilsenat dann doch zu viel:

„Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer Zurückverweisung der Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Verfahrens gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bejaht.

1. Nach dieser Vorschrift darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszugs nur zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet, auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt.

a) Mit der Neufassung des § 538 ZPO durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2002 (BGBl. I 1887, 1898) sollte eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz im Interesse der Verfahrensbeschleunigung noch stärker als bisher die Ausnahme von einer eigenen Sachentscheidung des Berufungsgerichts bilden. Daher wurden die Ausnahmen von dem Grundsatz der eigenen Sachentscheidung gegenüber dem vorherigen Recht erheblich eingeschränkt (…). Es sollte dem Interesse der Parteien an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz durch eine abschließende Sachentscheidung angemessen Geltung verschafft und zugleich die erste Instanz durch die Reduzierung der Zurückverweisungen entlastet werden (BT-Drucks. 14/4722, S. 103). Die zeitaufwändige Zurückverweisung von der zweiten an die erste Instanz sollte auf unverzichtbare Ausnahmefälle beschränkt werden (aaO S. 58).

Bei der innerhalb dieses – engen – Rahmens durchzuführenden, revisionsrechtlich nachprüfbaren Ermessensabwägung des Berufungsgerichts ist der Umstand, dass die Sache zuvor bereits an das Landgericht zurückverwiesen worden war, zu berücksichtigen (…).

b) Eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme ist nicht schon dann im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO „notwendig“, wenn sie im weiteren Verlauf des Verfahrens nur möglich ist, das heißt wenn sie zwar unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich wird, der Eintritt dieser Voraussetzungen aber nicht sicher ist. Eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme muss vielmehr sicher zu erwarten sein (…). Daher genügt es auch nicht, dass im Einzelfall den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu geben ist und danach möglicherweise eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme erforderlich wird (…).

2.Diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht beanstandet, nicht Rechnung getragen.

a) Das Berufungsurteil lässt bereits nicht erkennen, dass das Oberlandesgericht den Umstand in seine nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO anzustellende Ermessensabwägung einbezogen hat, dass das zum Zeitpunkt seines dritten Berufungsurteils bereits seit 13 Jahren anhängige Verfahren von ihm schon zweimal gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen worden war. Die zweimalige Zurückverweisung wird lediglich im Tatbestand des Berufungsurteils, nicht aber im Rahmen der Erwägungen des Berufungsgerichts zu einer (erneuten) Zurückverweisung gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erwähnt.

Verweist das Berufungsgericht den Rechtsstreit wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers zurück, müssen seine Ausführungen erkennen lassen, dass es das ihm in § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO eingeräumte Ermessen, eine eigene Sachentscheidung zu treffen oder ausnahmsweise den Rechtsstreit an das Erstgericht zurückzuverweisen, pflichtgemäß ausgeübt hat (…). Zu einer in diesem Sinne hinreichenden Darlegung der Ermessensausübung gehört die ausdrückliche Befassung mit einer zuvor schon einmal erfolgten Zurückverweisung an das Gericht erster Instanz. Denn diese ist – wie ausgeführt – bei der Abwägung gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen.

Besonders schwer wiegen eine – wie vorliegend – bereits zweimalig erfolgte Zurückverweisung und die hierdurch zwangsläufig eingetretene erhebliche Verfahrensverzögerung. Sie sind im Rahmen der Ermessensausübung darzulegen und umfassend zu würdigen. Dies hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft unterlassen.

b) Zu Unrecht hat es auch die Notwendigkeit einer umfangreichen Beweisaufnahme gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO angenommen.

aa) Sicher zu erwarten im Sinne der vorstehend (…) dargestellten Grundsätze ist bei Zugrundelegung der Ausführungen des Berufungsgerichts lediglich eine (erneute) Vernehmung des – in O. wohnhaften – Zeugen H. und eine Anhörung beider Parteien (…). Die Anhörung der Parteien und die Vernehmung eines inländischen Zeugen zu derart begrenzten Beweisthemen sind indes weder aufwändig noch umfangreich im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

bb) Die Vernehmung der – auf den Bahamas wohnhaften – Zeugin D. und der – in Deutschland wohnhaften – Zeugen Sch. und S. sowie die weitere Ermittlung bahamaischen Rechts sind dagegen nach den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht sicher zu erwarten, sondern vom weiteren Prozessverlauf abhängig.“

Anmerkung

Was mich dann doch staunend zurücklässt, ist diese Feststellung des Berufungsgerichts, dass auch nach 13 Jahren das „Interesse der Parteien an einer schnelleren Erledigung des Rechtsstreits (...) gegenüber dem Verlust einer Tatsacheninstanz nicht als überwiegend anzusehen“ sei. Allerdings erstaunt es auch mindestens ebenso, dass der Beklagte hier (wenn auch nur hilfsweise) eine Zurückverweisung beantragt hat. Denn das ist nicht notwendig und kann durchaus auch unzweckmäßig sein, gerade wenn – wie hier – die fachliche Kompetenz des OLG-Senats deutlich höher scheint (s. ausführlich dazu Doukoff, Zivilrechtliche Berufung, 6. Aufl. 2018, Rn. 1058). tl;dr: 1. Im Rahmen der gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO erforderlichen Ermessensabwägung, ist der Umstand zu berücksichtigen, dass die Sache zuvor bereits an das Erstgericht zurückverwiesen worden war. 2. Eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme ist nur dann im Sinne von § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO „notwendig“, wenn sie sicher zu erwarten ist. Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 12.04.2018 – III ZR 105/17. Wenn Sie diesen Beitrag verlinken wollen, können Sie dafür auch den folgenden Kurzlink verwenden: www.zpoblog.de/?p=6311 Foto: ComQuat, BGH - Palais 1, CC BY-SA 3.0