BGH ändert Rechtsprechung zu „überholenden“ Schiedssprüchen während Verfahren gem. § 1040 Abs. 3 ZPO

Mit einer Entscheidung aus dem August 2016 (Beschluss vom 09.08.2016 - I ZB 1/15) hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Frage, wie mit einem anhängigen Verfahren zur gerichtlichen Entscheidung über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts umzugehen ist, wenn zwischenzeitlich ein Schiedsspruch in der Hauptsache ergangen ist, grundlegend geändert.

Nach § 1040 Abs. 1 ZPO hat ein Schiedsgericht die Befugnis, „über die eigene Zuständigkeit und im Zusammenhang hiermit über das Bestehen oder die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung“ zu entscheiden. Steht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in Streit, so soll das Schiedsgericht, wenn es sich für zuständig hält, über die Zuständigkeit „in der Regel durch Zwischenentscheid“ (§ 1040 Abs. 3 ZPO) entscheiden.

Das deutsche Schiedsverfahrensrecht kennt den schönen Ausdruck der Kompetenz-Kompetenz, der als Lehnwort sogar Eingang in die internationale Schiedssprache gefunden hat. § 1040 Abs. 1 ZPO räumt dem Schiedsgericht die Kompetenz ein, über seine Zuständigkeit zu befinden, allerdings nicht abschließend: Eine Vereinbarung dahingehend, dass das Schiedsgericht endgültig und abschließend unter Ausschluss der staatlichen Gerichte über seine eigene Zuständigkeit entscheiden soll, eine sogenannte Kompetenz-Kompetenz-Klausel, ist nach deutschem Recht unzulässig (BGH, Urteil vom 13.01.2005 - III ZR 265/03), der Zwischenentscheid muss zwingend gerichtlich überprüft werden können.

Es geht im Folgenden also um das Verfahren vor dem staatlichen Gericht auf der Kompetenz-Kompetenz-Ebene: Liegt der Zwischenentscheid vor, so kann dieser durch das zuständige Oberlandesgericht überprüft werden. Während der Antrag auf gerichtliche Entscheidung über den Zwischenentscheid bei den staatlichen Gerichten anhängig ist, schreitet das Schiedsverfahren jedoch fort. § 1040 Abs. 3 Satz 3 ZPO sieht das ausdrücklich so vor: „Während ein solcher Antrag anhängig ist, kann das Schiedsgericht das schiedsrichterliche Verfahren fortsetzen und einen Schiedsspruch erlassen.“

Mitunter sind die Schiedsgerichte schneller als ihr Ruf, und zudem auch schneller als die staatlichen Gerichte, insbesondere dann, wenn der Streit über die Zuständigkeit im Wege der Rechtsbeschwerde seinen Weg zum Bundesgerichtshof findet. Dann stellt sich die Frage nach der rechtlichen Wechselwirkung zwischen dem Schiedsspruch in der Hauptsache einerseits und dem Verfahren auf gerichtliche Entscheidung andererseits, und damit nach dem Verhältnis der Verfahren nach § 1040 Abs. 3 ZPO auf gerichtliche Entscheidung über den Zwischenentscheid und nach § 1059 ZPO über die Aufhebung des Schiedsspruchs in der Hauptsache.

Die ursprüngliche Position des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.09.2013, III ZB 37/12)

Auch in einem Investitionsschiedsverfahren zwischen der Slowakischen Republik und einem niederländischen Versicherungsunternehmen war das Schiedsgericht schneller. Das Schiedsgericht erließ am 26. Oktober 2010 einen Zwischenentscheid (interim award on jurisdiction), in dem es die Zuständigkeitsrüge der Slowakischen Republik als unbegründet zurückwies und seine Zuständigkeit bejahte. Für die gerichtliche Überprüfung dieses Zwischenentscheids waren die deutschen Gerichte zuständig, weil sich die Parteien auf Frankfurt am Main als den Ort des Schiedsverfahrens geeinigt hatten. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte am Main am 10. Mai 2012 die Zuständigkeit des Schiedsgerichts bejaht. Während die Zuständigkeitsfrage nunmehr vor dem III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs anhängig war, hatte das Schiedsgericht am 7. Dezember 2012 in der Hauptsache entschieden und die Slowakei zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Dem Bundesgerichtshof stellte sich somit die Frage, wie er im Verfahren nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO mit dem „überholenden“ Schiedsspruch in der Hauptsache umzugehen hat. Der III. Senat entschied sich in seinem Hinweisbeschluss vom 19. September 2013 (bestätigt im Beschluss vom 30. April 2014, III ZB 37/12) für folgende Lösung:

„Aufgrund des in der Hauptsache ergangenen abschließenden Schiedsspruchs vom 7. Dezember 2012 dürfte der gemäß § 1040 Abs. 3 ZPO gestellte Antrag der schiedsbeklagten Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung gegen den Zwischenentscheid des Schiedsgerichts vom 26. Oktober 2010 unzulässig geworden sein. Mit Erlass des Schiedsspruchs über die Hauptsache ist nach Ansicht des Senats das Rechtsschutzbedürfnis für den gegen den Zwischenentscheid über die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung entfallen. Der Senat schließt sich insofern der in der Literatur überwiegenden Auffassung an […].“

Für den III. Senat war bei dieser Entscheidung offenbar ausschlaggebend, dass eine Entscheidung im Verfahren nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO, in dem die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts festgestellt wird, ohne Auswirkung auf den Schiedsspruch zur Hauptsache bliebe. Wenn ein das Verfahren nach § 1040 Abs. 3 S. 2 ZPO „überholender“ Schiedsspruch mangels Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht hätte ergehen dürfen, so wäre es nach wie vor erforderlich, diesen gesondert nach § 1059 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO aufzuheben. Der Bundesgerichtshof stellte sodann noch folgende Kontrollüberlegungen an:

„Durchgreifende verfahrensökonomische Bedenken gegen diese Lösung des Zusammentreffens eines Schiedsspruchs über die Hauptsache und eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens über einen Zwischenentscheid nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO bestehen nicht. Auch wenn das Rechtsschutzbedürfnis für dieses Verfahren entfällt, können das Parteivorbringen und die dort gewonnenen Erkenntnisse in dem Aufhebungsverfahren gemäß § 1059 ZPO verwertet werden. Richtig ist allerdings, dass die auf das Verfahren über den Zwischenentscheid aufgewandten Mühen der Beteiligten teilweise entwertet werden, wenn dieses, wie in der vorliegenden Verfahrenskonstellation, zum Zeitpunkt des Erlasses des Schiedsspruchs zur Hauptsache bereits die Rechtsbeschwerdeinstanz erreicht hat. Dies ist aber unter Berücksichtigung des Gewichts der erörterten systematischen Gesichtspunkte und der Belange der Rechtssicherheit und –klarheit hinzunehmen.“

Fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, so wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung über den Zwischenbescheid des Schiedsgerichts unzulässig. Er ist ohne Prüfung in der Sache zurückzuweisen (Beschluss vom 30. April 2014, III ZB 37/12).

Aufgabe der Rechtsprechung: Sachentscheidung auf der Zuständigkeitsebene trotz Schiedsspruch in der Hauptsache

Weniger als drei Jahre später hat der Bundesgerichtshof nunmehr mit Beschluss vom 9. August 2016 (I ZB 1/15) diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und im Falle eines „überholenden“ Schiedsspruchs die Rechtsbeschwerde für zulässig erachtet. Auch im nunmehr entschiedenen Fall hatte das Schiedsgericht durch Zwischenentscheid seine Zuständigkeit bejaht, sodann einen Teil- und schließlich einen Endschiedsspruch erlassen, bevor der Bundesgerichtshof über die Rechtsbeschwerde entschieden hatte. An der Rechtslage hat sich seit 2013 nichts geändert, allerdings ist die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten über Schiedsvereinbarungen und Schiedssprüche vom III. Zivilsenat auf den I. Zivilsenat übergegangen. Dieser sieht den entscheidenden Punkt nunmehr doch in der Verfahrensökonomie:

„Der Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie und das Interesse der Beteiligten, die auf das Verfahren über den Zwischenentscheid aufgewandten Kosten und Mühen nicht weitgehend zu entwerten, hat nach Ansicht des erkennenden Senats größeres Gewicht als die gegen eine Fortführung des Verfahrens nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO bestehenden Bedenken […]. Zwischen der früheren Entscheidung des Schiedsgerichts in der Hauptsache und der späteren Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts im Zwischenstreit über die Zuständigkeit kommt es zwar zu einem Konflikt, wenn das Schiedsgericht in der Hauptsache über die Schiedsklage entschieden hat und das Rechtsbeschwerdegericht die Zuständigkeit des Schiedsgerichts im Verfahren nach § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO verneint. Dieser Konflikt kann jedoch dadurch aufgelöst werden, dass der Endschiedsspruch auf einen entsprechenden Antrag einer Partei nach § 1059 Abs. 2 und 3 ZPO vom Oberlandesgericht aufgehoben wird […].“

Während der III. Senat noch die Gefahr sah, dass bei der nunmehr umgesetzten Lösung die Regelung des § 1059 Abs. 3 ZPO unterlaufen würde, wenn das Verfahren des staatlichen Gerichts über den Zwischenentscheid zur Zuständigkeit nicht vor Ablauf der Aufhebungsfristen abgeschlossen werden könne, sieht dies der I. Zivilsenat nun wie folgt:

„Die in § 1059 Abs. 3 ZPO enthaltene Regelung wird dadurch nicht unterlaufen (…). Sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben, muss der Aufhebungsantrag nach § 1059 Abs. 3 Satz 1 ZPO innerhalb einer Frist von drei Monaten bei Gericht eingereicht werden. Die Frist beginnt in entsprechender Anwendung von § 1059 Abs. 3 Satz 2 ZPO mit dem Tag, an dem der Antragsteller die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts empfangen hat.“

Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung

Im konkreten Fall hat der Bundesgerichtshof übrigens, wie bereits das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, die zwischen den Parteien geschlossene Schiedsvereinbarung für wirksam erachtet. Schiedskläger war der Insolvenzverwalter der einen Vertragspartei, Schiedsbeklagte der Insolvenzverwalter der anderen Vertragspartei. Weder die Beendigung des Vertrages, in dem die Schiedsvereinbarung enthalten war, noch die zwischenzeitliche Insolvenz der Schiedsparteien führte zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung. Zum ersten Ergebnis gelangt der Bundesgerichtshof durch Vertragsauslegung:

„Dabei ist im Zweifel davon auszugehen, dass eine Schiedsvereinbarung, wonach alle Rechtsstreitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit einem Vertrag durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollen, bedeutet, das Schiedsgericht solle auch über die Frage der Gültigkeit und des Bestehens des Vertrags und die bei Unwirksamkeit oder Beendigung des Vertrags bestehenden Ansprüche entscheiden […]. In einem solchen Fall führt die Unwirksamkeit oder Beendigung des Hauptvertrages nicht zur Unwirksamkeit oder Beendigung der darin enthaltenen Schiedsvereinbarung.“

Zudem sei eine Schiedsvereinbarung weder ein gegenseitiger Vertrag im Sinne von § 103 InsO noch ein Auftrag im Sinne von § 115 InsO. Daher könne sich der Insolvenzverwalter weder einseitig von der Schiedsvereinbarung lösen, indem er die Erfüllung ablehnt, noch erlösche die Schiedsvereinbarung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Anmerkung

Die Lösung des I. Zivilsenats erscheint mir in praktischer Hinsicht vorzugswürdig, und zwar sowohl in der Konstellation, dass der Angriff auf die Schiedsklausel Erfolg hat, wie auch in der Konstellation, dass sie ohne Erfolg bleibt. Man stelle sich in der ersten Konstellation vor, der Bundesgerichtshof wäre inhaltlich der Überzeugung, dass die Schiedsklausel unwirksam sei: Auf Grundlage der nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung musste er dann sehenden Auges die materiell an sich begründete Rechtsbeschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig zurückweisen. Die Schiedsbeklagte müsste mit denselben Argumenten das Aufhebungsverfahren gegen den Schiedsspruch in der Hauptsache beginnen, nochmals den Instanzenzug vom Oberlandesgericht zum Bundesgerichtshof durchlaufen. Erst dann, erfahrungsgemäß also etwa anderthalb bis zwei Jahre später, kämen die Argumente zum Tragen, die bereits im Verfahren nach § 1040 ZPO vorgetragen wurden, und bereits einmal Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts waren. Diese zeitliche Komponente scheint der III. Zivilsenat bei seinen Überlegungen zur Verfahrensökonomie ausgeblendet zu haben, wenn er nur darauf abstellt, dass das Parteivorbringen aus dem Verfahren nach § 1040 ZPO und die dort gewonnenen Erkenntnisse nicht gänzlich wertlos geworden sei, sondern ja auch in dem Aufhebungsverfahren gemäß § 1059 ZPO verwertet werden könnten.

In der zweiten Konstellation kann das Oberlandesgericht beziehungsweise der Bundesgerichtshof nunmehr entscheiden, dass die Schiedsvereinbarung wirksam ist. Damit ist über diesen möglichen Aufhebungsgrund zwischen den Parteien bereits rechtskräftig entschieden. Das Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO über den Schiedsspruch in der Hauptsache wird mit dem Zuständigkeitsstreit nicht mehr belastet.

Die neue Lösung wendet die Gefahr ab, dass dem Verfahren nach § 1040 Abs. 3 ZPO in der Praxis keine oder nur noch eine geringe Bedeutung zukommt (so bereits Pörnbacher/Gebert, SchiedsVZ 2014, 202). Die nunmehr richterrechtlich geschaffene Frist zur Stellung des Aufhebungsantrags in entsprechender Anwendung von § 1059 Abs. 3 Satz 2 ZPO dürfte in der anwaltlichen Praxis keine großen Probleme bereiten. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten zu stellen, gerechnet ab dem Tag, an dem dem Antragsteller die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zugestellt wurde.

tl;dr: Der Erlass eines Endschiedsspruchs lässt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 1040 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht entfallen. Hat der BGH die Zuständigkeit des Schiedsgerichts verneint, muss der Aufhebungsantrag nach § 1059 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.d.R. innerhalb von drei Monaten nach Zustellung der Entscheidung des BGH bei Gericht eingereicht werden.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 09.08.2016 - I ZB 1/15.

Peter Bert ist Rechtsanwalt und Solicitor und Partner im Frankfurter Büro von Taylor Wessing. Er schreibt auch unter www.disputeresolutiongermany.com (auf Englisch) über Prozessführung, Schiedsverfahren und Mediation in Deutschland.