BGH: Anwalt muss Gericht auf Missverständnis hinweisen
Entscheidung
Die Nichtzulassungbeschwerde hatte (insoweit) keinen Erfolg.„Ohne Erfolg rügt die Nichtzulassungsbeschwerde (…), das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen, dass der Kläger in der Berufungsinstanz die Frage der Indikation der Operation zum Gegenstand seines Vorbringens gemacht habe.
a) Zwar ist das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger den Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, mit der Berufung nicht mehr weiterverfolge.
Bei der gebotenen Würdigung des Berufungsbegehrens im Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung des Grundsatzes der interessengerechten Auslegung, die der Senat selbst vornehmen kann (…), besteht kein Zweifel daran, dass der Kläger mit der Berufung auch die Bejahung der Indikation durch das Landgericht angreifen wollte. Der Kläger führt auf S. 3 der Berufungsbegründung einleitend aus, im Wesentlichen stritten die Parteien über die Indikation zum operativen Vorgehen, über die „fehlerhafte Operation“ selbst sowie über Aufklärungsfragen hinsichtlich Risikoaufklärung und Aufklärung über echte Behandlungsalternativen. In der Folge stellt der Kläger die Argumentation des Landgerichts zu den drei genannten Themenkomplexen (…) dar.
Auf S. 5 ff. schließt sich die Würdigung des Urteils an. Unter Ziffer I. „Zum Behandlungsfehler“ wirft der Kläger dem Landgericht vor, dass das Urteil allein die Einschätzung des gerichtlich bestellten Sachverständigen wiedergebe und die widersprechende ärztliche Einschätzung des Privatsachverständigen nicht einmal erwähne. Das Landgericht habe sich mit dem Privatgutachten, aus dem sich Widersprüche zum Gerichtsgutachten ergäben, nicht auseinandergesetzt und die Widersprüche nicht aufgeklärt. Der Privatsachverständige sei zu der Überzeugung gekommen, dass im Rahmen der Behandlung des Klägers nicht sämtliche konservativen Behandlungsmöglichkeiten zur Behandlung der Tibialis posterior - Sehnen-Dysfunktion von Beklagtenseite vorgeschlagen und durchgeführt worden seien. Zur Behandlung hätten regressierende Behandlungsmöglichkeiten mit Gips oder Orthese sowie physikalische Maßnahmen zur Verfügung gestanden. Insoweit bezieht sich der Kläger auf die zusammenfassenden Ausführungen des Privatsachverständigen auf S. 53 des Gutachtens.
Der Kläger hat damit hinreichend klar zu erkennen gegeben, dass er den Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, mit der Berufung weiterverfolgen will.
b) Der Geltendmachung eines Gehörsverstoßes wegen Nichtberücksichtigung dieses Vorbringens steht aber der allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
aa) Nach diesem Grundsatz muss ein Beteiligter die nach Lage der Sache gegebenen prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (…). Diese Würdigung entspricht dem in § 295 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dessen Inhalt eine Partei eine Gehörsverletzung nicht mehr rügen kann, wenn sie die ihr nach Erkennen des Verstoßes verbliebene Möglichkeit zu einer Äußerung nicht genutzt hat (…).
bb) So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss vom 28. Oktober 2016 unter I. 1. ausdrücklich und in Fettdruck darauf hingewiesen, dass der Vorwurf, die Operation sei nicht indiziert gewesen, von der Berufung nicht mehr weiterverfolgt werde.
Dieser auf einer unzureichenden Befassung mit dem Berufungsbegehren beruhende Hinweis forderte eine Reaktion des Klägers geradezu heraus. Der Kläger hat die Möglichkeit, das Berufungsgericht auf das fehlerhafte Verständnis der Berufungsbegründung hinzuweisen, aber nicht genutzt. In seinem im Anschluss an den Hinweisbeschluss eingereichten Schriftsatz hat er lediglich beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.“