BGH: Erklärung zu Protokoll genügt Form des § 278 Abs. 6 ZPO nicht

TSteg wikimedia.org CC BY-SA 2.0Entscheidungen zum Vergleich im schriftlichen Verfahren gem. § 278 Abs. 6 ZPO sind trotz der enormen praktischen Bedeutung der Vorschrift bislang leider äußerst selten.

Mit der Wirksamkeit eines zur Hälfte zu Protokoll und zur anderen Hälfte im schriftlichen Verfahren geschlossenen Vergleich hat sich nun der Bundesgerichtshof in seinem für eine Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehenen Urteil vom 14.07.2015 – VI ZR 326/14 beschäftigt.

Sachverhalt

In der mündlichen Verhandlung unterbreitete das (Berufungs-)Gericht den Parteien einen konkreten Vergleichsvorschlag, der diktiert und vorgespielt wurde. Der Klägervertreter erklärte sodann, der Vergleich werde genehmigt und es werde „hiermit die Zustimmung nach § 278 Abs. 6 ZPO erklärt“. Auch diese Erklärung wurde laut diktiert und vorgespielt und vom Klägervertreter genehmigt.

Anschließend verkündete das Gericht einen Beschluss, in welchem dem Beklagtenvertreter eine Frist „zur Zustimmung zum Vergleichsvorschlag nach § 278 Abs. 6 ZPO“ eingeräumt wurde. Noch vor Übersendung des Protokolls erklärte der Beklagte seine Zustimmung. Das Gericht stellte daraufhin fest, dass der Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO zustande gekommen sei.

Nun reute der Vergleichsschluss aber den Kläger, weshalb er sich (u.a.) darauf berief, der Vergleich sei prozessual nicht wirksam zustande gekommen. Das Berufungsgericht stellte daraufhin durch Urteil fest, dass der Rechtsstreit durch Vergleich erledigt sei.

Neben Urteilen ist u.a. auch der Prozessvergleich gem. § 794 Nr. 1 ZPO ein Vollstreckungstitel und beendet den Rechtsstreit.

Der Prozessvergleich hat dabei eine sog. Doppelnatur: Er ist einerseits privates Rechtsgeschäft, für das die Vorschriften des materiellen Rechts gelten, insbesondere §§ 104 ff. BGB und § 779 BGB. Der Prozessvergleich ist andererseits aber auch Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen bestimmt. Er muss insbesondere entweder den Formvorschriften der §§ 160 Abs. 3 Ziff. 1, 162 Abs. 1 ZPO (Protokollierung) oder denen des § 278 Abs. 6 ZPO entsprechen.

Zu Protokoll des Gerichts war hier ein Vergleich nicht zustande gekommen, weil der Beklagte offenbar noch Bedenkzeit benötigte. Deshalb kam allein § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO in Betracht. Dabei stellte sich aber die Frage, ob der diktierte und vorgespielte Vergleichsvorschlag überhaupt „schriftlich“ war und ggf. ob der Kläger diesen Vorschlag „durch Schriftsatz“ angenommen hatte. Das war nach Ansicht des Klägers nicht der Fall.

Dann wäre der Rechtsstreit nicht durch Vergleich beendet worden und das Gericht hätte das Verfahren fortsetzen müssen. Der Kläger musste daher die Fortsetzung des Verfahrens beantragen und seinen Sachantrag weiterverfolgen. (Ratsam ist es in solchen Fällen, außerdem einen Zwischenfeststellungsantrag gem. § 256 Abs. 2 ZPO zu stellen.)

Wäre der Vergleich unwirksam gewesen, hätte das Gericht dies durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO) feststellen können; in jedem Fall wäre der Rechtsstreit mit den Sachanträgen fortgesetzt worden. Hier hielt das Gericht den Vergleich aber für wirksam. Deshalb stellte es der h.M. folgend durch Endurteil fest, dass der Rechtstreit durch Vergleich erledigt ist (keine Klageabweisung!).

Entscheidung
Der VI. Zivilsenat hält den Vergleichsschluss für unwirksam.

„Dem Berufungsgericht kann noch darin gefolgt werden, dass der Vergleichsvorschlag des Gerichts der Schriftform genügt. Zwar wurde der Vorschlag zunächst vorläufig auf Tonträger gemäß § 160a Abs. 1 ZPO aufgezeichnet. Doch ist dadurch, dass die Aufzeichnung in das vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnete Protokoll (§ 160a Abs. 2; § 163 Abs. 1 ZPO) übertragen worden ist, das Schriftformerfordernis gewahrt […]. Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel.

Der erkennende Senat teilt allerdings in Übereinstimmung mit der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2012, 882) und Stimmen in der Literatur […] nicht die Meinung des Berufungsgerichts, wonach die zu Protokoll des Gerichts erklärte Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags durch die Klägerin ebenfalls dem Formerfordernis nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Fall 2 ZPO genügte.

(1) Ausgehend vom Wortlaut verlangt die Vorschrift eine Erklärung der Partei durch Schriftsatz. Die Niederschrift einer mündlichen Erklärung der Partei zu Protokoll genügt dafür nicht. Diese bietet zwar Beweis dafür, dass die Erklärung von der betreffenden Partei mit dem protokollierten Inhalt abgegeben worden ist […]. Das Protokoll stellt aber eine schriftliche Erklärung des Gerichts über Förmlichkeiten und Inhalt einer mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme dar. Es ist nicht die schriftliche Erklärung der Partei.

(2) Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit der Einfügung des § 278 Abs. 6 ZPO zwar ein Vergleichsschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung in einem schriftlichen Verfahren ohne Wahrnehmung eines Termins erleichtert werden […]. Eine rechtliche Möglichkeit für die einzelne Partei, zu Protokoll eine Zustimmungserklärung zu einem Vergleichsvorschlag abzugeben, dem die Gegenpartei innerhalb gesetzter Frist mit Schriftsatz zustimmen kann, sollte allerdings mit der Neuregelung nicht eröffnet werden.

Gegen eine solche Absicht des Gesetzgebers, die im Gesetzestext auch keinen Niederschlag gefunden hat, spricht der Umkehrschluss aus der Regelung in § 269 Abs. 2 Satz 2 ZPO über die Prozessbeendigung durch Klagerücknahme. Für die Zurücknahme der Klage lässt das Gesetz ausdrücklich die Einreichung eines Schriftsatzes oder die Erklärung in der mündlichen Verhandlung genügen. Dementsprechend ist gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO im Protokoll eine in mündlicher Verhandlung erklärte Zurücknahme der Klage festzustellen.

Eine derartige Regelung fehlt aber für die Erklärung der Partei, einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag anzunehmen.

Beim Abschluss eines Prozessvergleichs ist außerdem im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Parteien grundsätzlich Formstrenge geboten. Sie verlangt klare Abgrenzungen. Ein gerichtlicher Vergleich ist als verfahrensbeendigende Prozesshandlung und als Vollstreckungstitel deshalb nur wirksam, wenn er nach den maßgeblichen gesetzlichen Formvorschriften geschlossen worden ist. Die Schaffung einer von Gesetzes wegen prozessrechtlich nicht vorgesehenen Möglichkeit eines gerichtlichen Vergleichsabschlusses würde zu Rechtsunsicherheit führen. […]“

Das war für den Kläger allerdings nur ein Pyrrhussieg. Denn nach Ansicht des VI. Zivilsenats konnte sich der Kläger gem. § 242 BGB nicht auf die Unwirksamkeit berufen. Das Vertrauen des Beklagten auf die Wirksamkeit der Erklärung des Beklagten sei schutzwürdig, dahinter trete das Gebot der Rechtssicherheit zurück.

Anmerkung

Letzteres hatte das OLG Hamm in dem zitierten Urteil vom 13.1.2012 – 9 U 45/11 noch anders gesehen und es gerade im Hinblick auf das das Gebot der Rechtssicherheit für zulässig gehalten, sich auf die Formunwirksamkeit des Vergleichs zu berufen. Das erscheint mir im Ergebnis konsequenter, auch weil der VI. Zivilsenat die Unwirksamkeit des Vergleichs ja maßgeblich mit dem Gebot der Rechtssicherheit begründet.

Möglicherweise ist die Entscheidung des BGH aber auch ein wenig „vom Ende her“ gedacht. Und ob es rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formnichtigkeit eines Vergleichs zu berufen, dürfte ohnehin stets von den Umständen des Einzelfalls abhängen.

tl;dr: Ein Vergleich gem. § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 2 ZPO setzt zwingend voraus, dass der Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz angenommen wird; eine Erklärung zu Protokoll des Gerichts genügt nicht.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 14.07.2015 – VI ZR 326/14. Foto: TSteg | wikimedia.org | CC BY-SA 2.0