BGH: Falsche Bezeichnung macht Rechtsmittel des Nebenintervenienten nicht unzulässig

Tobias Helferich wikimedia cc-by-sa 3.0Dass Prozesserklärungen interessengerecht auszulegen sind, musste der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Beschluss vom 23.08.2016 – VIII ZB 96/15 einmal mehr klarstellen.

In dem zu entscheidenden Fall ging es um die prozessual tatsächlich nicht völlig einfache Konstellation einer (allein) durch einen Nebenintervenienten  eingelegten Berufung.

Sachverhalt

Der Streithelfer mietete eine Wohnung des Beklagten und stellte als Mietsicherheit eine selbstschuldnerische Bürgschaft der Klägerin. Nach Ende des Mietverhältnisses nahm der Beklagte aus Nebenkostenabrechnungen die Klägerin in Höhe des verbürgten Höchstbetrages in Anspruch, die Klägerin zahlte den Betrag an den Beklagten. In der Folge forderte sie diesen Betrag gerichtlich vom Beklagten zurück, da die Nebenkostenabrechnungen unwirksam seien und keine Nachforderungen bestünden; dem Mieter verkündete sie den Streit, der dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beitrat.

In erster Instanz war die Klägerin mit ihrer Klage unterlegen. Die Klägerin ließ die Sache auf sich beruhen, der Prozessbevollmächtigte des Streithelfers legte gegen das Urteil aber ein als „Berufung des Streithelfers/Nebenintervenienten“ bezeichnetes Rechtsmittel ein. Die Klägerin selbst war in der Berufungsschrift nicht genannt. Nachdem das Berufungsgericht den Streithelfer darauf hingewiesen hatte, er könne nicht selbst Berufung einlegen, weil es an den Voraussetzungen des § 69 ZPO fehle, beharrte der Prozessbevollmächtigte zunächst auf seiner Ansicht. Auf einen weiteren Hinweis des Berufungsgerichts erklärte er dann aber, er habe eine unselbständige Berufung für die Klägerin eingelegt und bitte um Korrektur des Rubrums, außerdem begründete er nach Fristverlängerung die Berufung.

Das Gericht verwarf die Berufung trotzdem und begründete dies zusammengefasst wie folgt (die Entscheidung kann man hier nachlesen): Die Berufung sei als unselbständige Berufung der Klägerin ebenso wie als selbständige Berufung des Streithelfers unzulässig. Die Voraussetzungen für eine selbständige Berufung seien nicht gegeben, da keine streitgenössische Nebenintervention vorliege. Die spätere Erklärung, eine unselbständige Berufung für die Klägeirn einlegen zu wollen, habe deshalb zu einem Parteiwechsel geführt. Diese unselbständige Berufung wiederum habe der Streithelfer aber nicht fristgemäß begründet, da sich die Fristverlängerung nicht auf diese Berufung bezogen habe.

Die Klägerin hatte hier dem Mieter gem. § 72 Abs. 1 ZPO den Streit verkündet, denn sie wollte (logischerweise) nach Abschluss des Prozesses bei diesem Regress nehmen (§ 774 BGB). Und durch eine Streitverkündung konnte die Klägerin verhindern, dass sie sowohl im Rechsstreit mit dem Beklagten als auch im späteren Rechtsstreit mit dem Mieter unterliegt (was grundsätzlich denkbar und möglich wäre, weil die Rechtskraft immer nur die Parteien des Rechtsstreits bindet). Bei einer wirksamen Streitverkündung muss der Streitverkündete das Ergebnis des Vorprozesses gegen sich gelten lassen: Wenn er dem Rechtsstreit auf Seiten des Streitverkünders beitritt gem. §§ 74 Abs. 1 i.V.m. 68 ZPO, wenn er dem Rechtsstreit nicht oder auf Seiten des Gegners bei­tritt gem. §§ 74 Abs. 2 i.V.m. § 68 ZPO.

Der Mieter war dem Rechtsstreit infolge der Streitverkündung beigetreten, wodurch er die Stellung eines Nebenintervenienten (auch Streithelfer genannt) erhielt, § 74 Abs. 1 ZPO. D.h. er konnte gem. § 67 ZPO (als Ausgleich zur Bindungswirkung) selbst auf den Prozess einwirken, insbesondere auch Berufung einlegen (§ 66 Abs. 2 ZPO), solange er sich dabei nicht in Widerspruch zur Hauptpartei setzt (§ 67 Hs. 2 ZPO). Dazu hatte sich der Streithelfer hier entschieden, denn er hatte von der Klägerin ja keinen Regress zu befürchten, wenn die Klägerin ihr Geld vom Beklagten zurückbekam.

Allerdings kann der Streithelfer das Rechtsmittel immer nur für die jeweils unterstützte Partei einlegen, denn er wird nicht selbst Partei des Rechtsstreits. Etwas anderes gilt gem. § 69 ZPO nur im Fall einer streitgenössischen Nebenintervention (§ 62 ZPO), wenn also das Urteil unmittelbar die Rechtsstellung des Streitgenossen beeinflusst (das ist praktisch äußerst selten). Der streitgenössische Nebenintervenient kann – da seine Rechtsstellung ja durch den Rechtsstreit unmittelbar beeinflusst wird – auch selber Rechtsmittel einlegen und sich damit auch in Widerspruch zur Hauptpartei setzen.

Entscheidung

Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

„Anders als das Berufungsgericht meint, hat der Streithelfer die von ihm form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 517, 519 Abs. 1, 2, § 520 ZPO) bei einer interessengerechten Auslegung seiner Prozesshandlungen von Beginn an nicht selbst als Partei des Berufungsverfahrens geführt, sondern die Klägerin als Hauptpartei des Berufungsverfahrens in zulässiger Weise lediglich als (einfacher) Streithelfer unterstützt […].

„aa) Das Verhältnis des Streithelfers als Streitverkündetem zu den Parteien des Rechtsstreits bestimmt sich gemäß § 74 Abs. 1 ZPO nach den Grundsätzen der Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO). Danach sind sowohl der einfache als auch der streitgenössische Nebenintervenient berechtigt, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen (§ 67 ZPO) sowie Rechtsmittel einzulegen (vgl. § 66 Abs. 2 ZPO).

bb) Das Rechtsmittel eines einfachen Streithelfers ist stets ein Rechtsmittel für die Hauptpartei, ohne dass er dabei selbst in eine Parteirolle gelangt; vielmehr liegt in seiner Rechtsmitteleinlegung nur die Erklärung, das Rechtsmittel der von ihm bei seinem Beitritt bezeichneten Partei unterstützen zu wollen […]

cc) Anders als das Berufungsgericht meint, ist auch das Rechtsmittel eines streitgenössischen Nebenintervenienten (§ 69 ZPO), als der sich der Streithelfer aus der Sicht des Berufungsgerichts zunächst geriert haben soll, stets ein Rechtsmittel des Streithelfers für die Hauptpartei, ohne dass der streitgenössische Nebenintervenient selbst Partei des Rechtsstreits wird. […]

dd) Der Nebenintervenient – gleich ob als einfacher oder streitgenössischer Streithelfer – beteiligt sich also, auch wenn er dabei – wie hier – in eigenem Namen und kraft eigenen (prozessualen) Rechts neben der Hauptpartei handelt, mit der aus seiner Stellung und seinem Auftreten heraus zum Ausdruck kommenden prozessualen Erklärung, die Hauptpartei unterstützen zu wollen, an einem fremden Prozess, ohne selbst Partei zu werden […].

ee) Dass der Streithelfer die Berufung – dieser gesetzlichen Konzeption entsprechend – im Streitfall aus seiner als solcher nicht in Zweifel gezogenen Stellung als Streithelfer der Klägerin heraus eingelegt und begründet hat, hat er in seiner Berufungs- wie auch in seiner Berufungsbegründungsschrift unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. […] Dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, der Streithelfer habe als Hauptpartei des Berufungsverfahrens handeln wollen, ist demgegenüber nur eine auf einer grundlegenden Verkennung der prozessualen Stellung eines Nebenintervenienten […] beruhende und demgemäß unbeachtliche rechtliche Schlussfolgerung. […]“

Anmerkung

Dass der Senat – ausnahmsweise – an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen hat, liegt wohl nicht nur an den dargestellten Ausführungen.

Das Berufungsgericht hatte seine Entscheidung außerdem (hilfsweise) noch damit begründet, die Klägerin habe der Prozessführung durch den Streithelfer widersprochen. Denn sie habe kein Rechtsmittel eingelegt und nach dem erstinstanzlichen Urteil das Mahnverfahren gegen den Streithelfer eingeleitet. Der BGH weist insoweit darauf hin, dass ein Widerspruch i.S.d. § 67 Hs. 2 ZPO zwar auch konkludent erklärt werden könne; ein Schweigen oder die Rücknahme eines Rechtsmittels seien dafür aber nicht ausreichend, im Zweifel sei die Prozesshandlung des Nebenintervenienten als wirksam anzusehen.

Und ziemlich spitz bemerkt der Senat dann noch, dass sich in der Akte sogar ein „vom Berufungsgericht übergangene[s] Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin“ finde, nach dem es dem „Streithelfer natürlich unbenommen [bleibe], das vorgenannte Urteil in der zweiten Instanz überprüfen zu lassen“.

tl;dr: Ein Nebenintervenient – gleich ob als einfacher oder streitgenössischer Streithelfer – beteiligt sich, auch wenn er dabei in eigenem Namen und kraft eigenen (prozessualen) Rechts neben der Hauptpartei handelt, an einem fremden Prozess, ohne selbst Partei zu werden.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 23.08.2016 – VIII ZB 96/15. Foto: Tobias Helfrich | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0