BGH: Fehlende Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung stellt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar

TSteg wikimedia.org CC BY-SA 2.0Verfolgt man längere Zeit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wundert man sich immer wieder, welche – sehr nahe liegenden – Fragen der Bundesgerichtshof noch nicht beantwortet hat.

So hat sich der VI. Zivilsenat mit einem Beschluss vom 24.11.2015 – VI ZB 567/15 mit der Frage befasst, ob einem Rechtsmittelführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingeht.

Sachverhalt

Die Klägerin war erstinstanzlich unterlegen, das Berufungsgericht hatte die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dieser Beschluss war dem Klägervertreter am 11.08.2015 zugestellt worden. Erst am 01.10.2015 legte der Klägervertreter Nichtzulassungsbeschwerde ein und beantragte, der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Dazu führte sie aus, am 11.09.2015 habe ihr Bevollmächtigter die Rechtsschutzversicherung um Erteilung einer Deckungszusage für das Rechtsbeschwerdeverfahren ersucht. Diese habe die Deckungszusage zunächst abgelehnt und erst am 17.09.2015 erteilt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung der Entscheidung des Berufungsgerichts einzulegen, § 545 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Diese Frist war hier schon am 11.09.2015 abgelaufen.

Deshalb hatte die Klägerin beantragt, ihr Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren und dazu vorgetragen, dass die Rechtsschutzversicherung ihre Deckungszusage erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erteilt habe.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO) war der Klägerin aber nur zu gewähren, wenn sie die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde unverschuldet versäumt hatte. Das nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, wenn eine Partei bedürfig ist und ihr deshalb Prozesskostenhilfe zu bewilligen wäre. Dann reicht es nämlich aus, dass ihnerhalb der Rechtsmittelfrist der PKH-Antrag gestellt wird. Denn eine bedürftige Partei versäumt die Rechtsmittelfrist „unverschuldet“ i.S.d. § 233 ZPO, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen daran gehindert ist, das Rechtsmittel (vor PKH-Bewilligung) fristgemäß einzulegen.

Fraglich war hier nun, ob der Fall genauso zu beurteilen war, wenn kein PKH-Antrag gestellt wird, sondern eine Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung eingeholt wird und diese erst nach Ablauf der Rechtmittelfrist eingeht.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof fasst sich äußerst kurz und weist den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück:

„Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass sie verhindert war, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten (§§ 233, 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vortrag innerhalb der Frist deshalb keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, weil sie das Verfahren nur unter der Voraussetzung durchführen wollte, dass ihre Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage erteilt, und letztere dies abgelehnt hatte. Die Klägerin hat nicht geltend gemacht, wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage gewesen zu sein, das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf eigene Kosten durchzuführen. Sie hat insbesondere keinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht […].

Bei dieser Sachlage kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin nur deshalb keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat, weil sie das Kostenrisiko nicht tragen wollte. Dies begründet aber keinen Hinderungsgrund im Sinne des § 233 ZPO.“

Anmerkung

Nach der – mit der Entscheidung nochmals gefestigten – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, muss eine nicht i.S.d. §§ 114, 115 ZPO bedürftige Partei unabhängig von einer Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung das Rechtsmittel fristgerecht einlegen. Eine bedürftige Partei muss immer gleichzeitig mit der Deckungsanfrage auch noch einen PKH-Antrag stellen, um sich die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gem. § 233 ZPO zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 04.10.1990 – IV ZB 5/90). Erteilt die Rechtsschutzversicherung dann eine Deckungszusage, muss die Partei das Rechtsmittel einlegen, der PKH-Antrag wird gegenstandslos.

Deshalb muss nach dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Berufungsgericht – selbst wenn die Rechtsschutzversicherung später eine Deckungszusage erteilt – auch die Bedürftigkeit noch prüfen, weil nur dann nach Erteilung der Deckungszusage Wiedereinsetzung gewährt werden kann.

Ob das wirklich sinnvoll ist, ließe sich m.E. durchaus in Frage stellen. Denn Rechtsschutzversicherungen entlasten den Staat ganz erheblich, weil sie Prozesse finanzieren, die sonst auf PKH-Basis geführt würden. Und bei höheren Streitwerten (hier muss der Streitwert über 20.000 EUR gelegen haben, vgl. § 26 Ziff. 8 EGZPO) ist ein erheblicher Teil der Bevölkerung bedürftig i.S.d. § 115 ZPO. Man könnte daher aus prozessökonomischen Gründen auch erwägen, eine rechtzeitige Deckungsanfrage an die Rechtsschutzversicherung ausreichen zu lassen, um die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gem. § 233 ZPO zu erhalten.

tl;dr: Es begründet keinen Hinderungsgrund im Sinne des § 233 ZPO, dass die Rechtsschutzversicherung die Erteilung einer Deckungszusage (noch) nicht erteilt hat.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 24.11.2015 – VI ZB 567/15. Foto: TSteg | wikimedia.org | CC BY-SA 2.0