Entscheidung
Der Auffassung der Klägerin hat sich auch der Bundesgerichtshof nicht angeschlossen.
„[Das Gericht hat] nach § 279 Abs. 3 ZPO […] im Anschluss an die Beweisaufnahme nicht nur den Sach- und Streitstand, sondern – soweit möglich – auch das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern. Ob das Gericht den Parteien nicht nur Gelegenheit zur Erörterung des Beweisergebnisses gemäß § 285 Abs. 1 ZPO zu geben und dies zu protokollieren hat […], was hier nach dem Sitzungsprotokoll erfolgt ist, sondern ihnen auch eine zumindest vorläufige Beweiswürdigung mitteilen muss, ist streitig.
(aa) Nach einer Ansicht ist das Gericht, falls es den Beweis als nicht erbracht ansieht, nach § 279 Abs. 3 ZPO verpflichtet, der beweisbelasteten Partei einen entsprechenden Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO zu erteilen […].
(bb) Dem steht die Auffassung gegenüber, dass die Verfahrensvorschrift das Gericht zwar verpflichte, das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Hinweis auf die von ihm für wesentlich erachteten Aspekte zu erörtern und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die Norm aber das Gericht grundsätzlich nicht zu einer eigenen Beweiswürdigung im Anschluss an die Beweisaufnahme und zu deren Bekanntgabe an die Parteien zwinge […]. Eines richterlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO, dass der Beweis nach Ansicht des Gerichts nicht geführt sei, bedürfe es nur, wenn eine entsprechende Würdigung erst im Urteil eine für die Partei unzulässige Überraschungsentscheidung darstellte […].
(cc) In dem letztgenannten Fall bejaht auch der Bundesgerichtshof eine Hinweispflicht des Gerichts. Musste die Partei nach dem Verlauf der Beweisaufnahme nicht damit rechnen, dass das Gericht den Beweis als nicht geführt ansehen wird, darf ihr nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, durch neue Beweisanträge oder Richtigstellungen auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen […]. Offen gelassen hat er bisher die Frage, ob das Gericht nach § 279 Abs. 3 ZPO allgemein die Beweise unmittelbar im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu würdigen, das Ergebnis den Parteien zu offenbaren und gegebenenfalls die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen hat […].
(dd) Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass § 279 Abs. 3 ZPO das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um den Parteien damit Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten.
Gegen eine allgemeine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO spricht schon der Wortlaut der Norm, nach der das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme das Beweisergebnis „soweit möglich“ mit den Parteien erörtern soll. Dieses Normverständnis entspricht dem nach den Materialien mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck; danach soll die Erörterung unter Einbeziehung des Ergebnisses der vorangegangen Beweisaufnahme dazu dienen, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (BT-Drucks. 14/4722, S. 84). Mit der gegenteiligen Auffassung würde der Grundsatz unterlaufen, dass die Partei ihre Zeugen zu einem Beweisthema dem Gericht rechtzeitig vor dem zur Beweisaufnahme bestimmten Termin zu benennen hat und ihre Beweismittel nicht sukzessive – je nach dem Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung – in den Rechtsstreit einführen darf.
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufung nach der Umgestaltung ihrer Funktion durch das Zivilprozessrechtsreformgesetz in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient, weshalb neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz nur noch in besonderen Ausnahmefällen berücksichtigt werden […]
(ee) Gemessen daran, erweist sich die Rüge einer Verletzung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als unbegründet. Die Parteien haben nach dem Sitzungsprotokoll des Landgerichts zum Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt und die Ergiebigkeit der Aussage des Zeugen anschließend schriftsätzlich gegensätzlich gewürdigt. Die Klägerin konnte danach nicht darauf vertrauen, dass das Gericht den Beweis als geführt ansehen werde.“
Anmerkung
Das Ergebnis des Bundesgerichtshofs dürfte auch praktisch überzeugend sein, weil sich manche Zeugenaussage mit ein paar Stunden oder Tagen Abstand anders darstellt, als unmittelbar nach der Vernehmung. Hat sich das Gericht allerdings schon im Termin eine (abschließende) Meinung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gebildet, gehört es m.E. zu einer fairen Prozessleitung, dies Ergebnis auch mitzuteilen.
Abgesehen von den prozessualen Fragen ist die Entscheidung übrigens auch wegen der Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu den (hohen) Darlegungsanforderungen im Rahmen von § 313 BGB sehr lesenswert.
tl;dr: § 279 Abs. 3ZPO verpflichtet das Gericht nur dann dazu, eine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, wenn diese Mitteilung erforderlich ist, um eine unzulässig Überraschungsentscheidung zu vermeiden. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 15.04.2016 – V ZR 42/15. Foto: TSteg | wikimedia.org |
CC BY-SA 2.0