BGH: Gericht muss vorläufige Beweiswürdigung nicht gem. § 279 Abs. 3 ZPO mitteilen

TSteg wikimedia.org CC BY-SA 2.0Gem. § 279 Abs. 3 ZPO hat das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme „erneut den Sach- und Streitstand und, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern.“

Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15.04.2016 – V ZR 42/15 entschieden.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm die Beklagte gem. § 313 BGB auf Anpassung eines Erbbauzinses für ein mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebautes Grundstück in Anspruch. Die begehrte Anpassung begründete sie damit, dass die Beklagte bei Bestellung des Erbbaurechts auf dem Nachbargrundstück ein Warenhaus betrieben habe. Die Klägerin habe in ihrem Gebäude eine Passage herstellen müssen, die unmittelbar zum Eingang des von der Beklagten auf dem Nachbargrundstück betriebenen Warenhauses führte. Der Betrieb dieses Warenhauses sei Geschäftsgrundlage des Erbbaurechtsvertrags gewesen. Aufgrund der Schließung des Warenhauses seien die Mieteinnahmen um 64 % zurückgegangen, weshalb der Erbbauzins anzupassen sei.

Das Landgericht vernahm erstinstanzlich den zum Beweis der Ursächlichkeit benannten Zeugen. Die Parteien verhandelten dann zum Ergebnis der Beweisaufnahme würdigten die Ergiebigkeit der Aussage anschließend schriftsätzlich. Das Landgericht wies die Klage dann mit der Begründung ab, die Klägerin habe nicht bewiesen, dass die Schließung des Warenhauses für den Rückgang der Mieten ursächlich sei.

In der Berufungsbegründung berief sie sich die Klägerin auf das Zeugnis zweier zunächst nicht benannter Zeugen. Das OLG vernahm diese Zeugen gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht und hielt das landgerichtliche Urteil im Ergebnis aufrecht. Dagegen wendete sich die Klägerin mit der (zugelassenen) Revision und berief sich darauf, die in der Berufungsbegründung benannten Zeugen seien gem. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen gewesen, weil das Gericht nicht gem. § 279 Abs. 3 ZPO darauf hingewiesen habe, dass es die Klägerin für beweisfällig hielt.

Im Zivilprozess sind Beweise – anders als im Strafprozess – grundsätzlich (nur) vom Gericht erster Instanz zu erheben. Die vom Gericht erster Instanz auf Grundlage der Beweiserhebung festgestellten Tatsachen sind dann gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch vom Berufungsgericht zugrunde zu legen, soweit dies nicht „konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit“ der Feststellungen des Gerichts erster Instanz hat. Neue Beweismittel sind vom Berufungsgericht gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO nur unter den dort genannten Voraussetzungen zuzulassen.

Über die Behauptung, allein die Schließung des Warenhauses sei für den Rückgang der Mieten ursächlich hatte das Landgericht in erster Instanz von der Klägerin benannten Zeugen vernommen. Da es diesem aber (wohl) nicht glaubte, wies es die Klage ab. Erst in der Berufungsinstanz benannte die Klägerin daraufhin weitere Zeugen. Als neue Beweismittel waren diese nach dem eben gesagten aber nur zuzulassen, wenn einer der in § 531 Abs. 2 ZPO genannten Gründe vorlag. Die Klägerin hatte sich insoweit darauf berufen, das Gericht hätte gem. § 279 Abs. 3 ZPO darauf hinweisen müssen, dass es dem Zeugen nicht glauben wollte. Dann hätte sie die Zeugen schon in erster Instanz benannt. Dass sie hierauf nicht hingewiesen wurde, sei ein Verfahrensmangel i.S.d. § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, aufgrund dessen die Beweismittel auch in der Berufungsinstanz zulässig seien.

Entscheidung
Der Auffassung der Klägerin hat sich auch der Bundesgerichtshof nicht angeschlossen.

„[Das Gericht hat] nach § 279 Abs. 3 ZPO […] im Anschluss an die Beweisaufnahme nicht nur den Sach- und Streitstand, sondern – soweit möglich – auch das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern. Ob das Gericht den Parteien nicht nur Gelegenheit zur Erörterung des Beweisergebnisses gemäß § 285 Abs. 1 ZPO zu geben und dies zu protokollieren hat […], was hier nach dem Sitzungsprotokoll erfolgt ist, sondern ihnen auch eine zumindest vorläufige Beweiswürdigung mitteilen muss, ist streitig.

(aa) Nach einer Ansicht ist das Gericht, falls es den Beweis als nicht erbracht ansieht, nach § 279 Abs. 3 ZPO verpflichtet, der beweisbelasteten Partei einen entsprechenden Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO zu erteilen […].

(bb) Dem steht die Auffassung gegenüber, dass die Verfahrensvorschrift das Gericht zwar verpflichte, das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Hinweis auf die von ihm für wesentlich erachteten Aspekte zu erörtern und den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die Norm aber das Gericht grundsätzlich nicht zu einer eigenen Beweiswürdigung im Anschluss an die Beweisaufnahme und zu deren Bekanntgabe an die Parteien zwinge […]. Eines richterlichen Hinweises nach § 139 Abs. 1 ZPO, dass der Beweis nach Ansicht des Gerichts nicht geführt sei, bedürfe es nur, wenn eine entsprechende Würdigung erst im Urteil eine für die Partei unzulässige Überraschungsentscheidung darstellte […].

(cc) In dem letztgenannten Fall bejaht auch der Bundesgerichtshof eine Hinweispflicht des Gerichts. Musste die Partei nach dem Verlauf der Beweisaufnahme nicht damit rechnen, dass das Gericht den Beweis als nicht geführt ansehen wird, darf ihr nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, durch neue Beweisanträge oder Richtigstellungen auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen […]. Offen gelassen hat er bisher die Frage, ob das Gericht nach § 279 Abs. 3 ZPO allgemein die Beweise unmittelbar im Anschluss an eine Beweisaufnahme zu würdigen, das Ergebnis den Parteien zu offenbaren und gegebenenfalls die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen hat […].

(dd) Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass § 279 Abs. 3 ZPO das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet, im Anschluss an die Beweisaufnahme seine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, um den Parteien damit Gelegenheit zu geben, weitere Beweismittel anzubieten.

Gegen eine allgemeine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO spricht schon der Wortlaut der Norm, nach der das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme das Beweisergebnis „soweit möglich“ mit den Parteien erörtern soll. Dieses Normverständnis entspricht dem nach den Materialien mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck; danach soll die Erörterung unter Einbeziehung des Ergebnisses der vorangegangen Beweisaufnahme dazu dienen, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (BT-Drucks. 14/4722, S. 84). Mit der gegenteiligen Auffassung würde der Grundsatz unterlaufen, dass die Partei ihre Zeugen zu einem Beweisthema dem Gericht rechtzeitig vor dem zur Beweisaufnahme bestimmten Termin zu benennen hat und ihre Beweismittel nicht sukzessive – je nach dem Ergebnis der richterlichen Beweiswürdigung – in den Rechtsstreit einführen darf.

Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Berufung nach der Umgestaltung ihrer Funktion durch das Zivilprozessrechtsreformgesetz in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient, weshalb neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz nur noch in besonderen Ausnahmefällen berücksichtigt werden […]

(ee) Gemessen daran, erweist sich die Rüge einer Verletzung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als unbegründet. Die Parteien haben nach dem Sitzungsprotokoll des Landgerichts zum Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt und die Ergiebigkeit der Aussage des Zeugen anschließend schriftsätzlich gegensätzlich gewürdigt. Die Klägerin konnte danach nicht darauf vertrauen, dass das Gericht den Beweis als geführt ansehen werde.“

Anmerkung

Das Ergebnis des Bundesgerichtshofs dürfte auch praktisch überzeugend sein, weil sich manche Zeugenaussage mit ein paar Stunden oder Tagen Abstand anders darstellt, als unmittelbar nach der Vernehmung. Hat sich das Gericht allerdings schon im Termin eine (abschließende) Meinung über das Ergebnis der Beweisaufnahme gebildet, gehört es m.E. zu einer fairen Prozessleitung, dies Ergebnis auch mitzuteilen.

Abgesehen von den prozessualen Fragen ist die Entscheidung übrigens auch wegen der Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu den (hohen) Darlegungsanforderungen im Rahmen von § 313 BGB sehr lesenswert.

tl;dr: § 279 Abs. 3ZPO verpflichtet das Gericht nur dann dazu, eine vorläufige Beweiswürdigung mitzuteilen, wenn diese Mitteilung erforderlich ist, um eine unzulässig Überraschungsentscheidung zu vermeiden. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 15.04.2016 – V ZR 42/15. Foto: TSteg | wikimedia.org | CC BY-SA 2.0