BGH: Gewillkürte Prozessstandschaft endet mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Eine sehr interessante, in der Schnittmenge von Prozessrecht, Insolvenzrecht und allgemeiner Rechtsgeschäftslehre angesiedelte Entscheidung ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21.07.2016 – I ZR 190/15.

Darin geht es um das Schicksal einer gewillkürten Prozessstandschaft, wenn während des Prozesses über das Vermögen des Rechtsinhabers das Insolvenzverfahren eröffnet wird.

Sachverhalt

Die Klägerin machte in Prozessstandschaft für die M-AG wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens wurde über das Vermögen der M-AG das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Prozessführungsbefugnis ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung selten problematisch, weil die klagende Partei in aller Regel eigene Ansprüche geltend macht. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen – wie hier – die klagende Partei Ansprüche Dritter im eigenen Namen geltend macht.

Das ist insbesondere bei den sog. Parteien kraft Amtes der Fall: Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter machen Ansprüche des von ihnen verwalteten Vermögens im eigenen Namen geltend (das Rubrum bei der Klage eines Insolvenzverwalters lautet daher: XXX als Insolvenzverwalter über das Vermögen des/der…).

Daneben kennt das Gesetz bestimmte Formen der gesetzlichen Prozessstandschaft, in denen Parteien im eigenen Namen Ansprüche Dritter geltend machen. Praktisch relevant ist insoweit insbesondere § 265 Abs. 2 ZPO, wonach die klagende Partei einen Rechtsstreit in Prozessstandschaft fortführt, wenn sie die streitbefangene Sache (insbesondere: die Klageforderung!) während des Rechtsstreits veräußert. Die klagt dann weiter im eigenen Namen, muss aber i.d.R. ihren Klageantrag auf Zahlung an den Erwerber umstellen. (Wie man das Ganze in einer Klausur oder einem Aktenvortrag darstellt, lässt sich übrigens sehr gut Mallepree, JA 2015, 294 nachlesen.) Ebenfalls sehr praxisrelevant ist § 1629 Abs. 3 BGB: Sind die Eltern eines Kindes (noch) nicht geschieden, leben aber getrennt, macht der das Kind betreuende Elternteil den Kindesunterhalt nicht im Namen des Kindes (vgl. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB), sondern im eigenen Namen gegen den anderen Elternteil geltend.

Und zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass Rechtsinhaber und klagende Partei vereinbaren, dass die klagende Partei den Anspruch im eigenen Namen geltend machen darf (gewillkürte Prozessstandschaft). Das ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, nämlich wenn der Anspruchsinhaber die klagende Partei ermächtigt hat, den Anspruch geltend zu machen und die klagende Partei ein eigenes schutzwürdiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat.

Letzteres war hier wohl der Fall. Allerdings war während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens vor dem BGH (§ 544 ZPO) über das Vermögen der M-AG das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Fraglich war daher, ob dies Einfluss auf die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hatte oder ob die einmal erteilte Ermächtigung fortwirkte.

Entscheidung
Der I. Zivilsenat hat die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für unzulässig gehalten:

„[Die Klägerin kann] mit einer in Prozessstandschaft erhobenen und auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gestützten Klage jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben, weil diese Klage während des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens unzulässig geworden ist.

(1) Die Nichtzulassungsbeschwerde macht geltend, die Klägerin sei zur Erhebung der Klage auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage in Prozessstandschaft ermächtigt.

Die Wirksamkeit der Ermächtigung des Rechtsinhabers ist Grundlage für die Annahme der Prozessführungsbefugnis der klagenden Partei und damit eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung. Das Vorliegen der Voraussetzungen der gewillkürten Prozessstandschaft ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und festzustellen […]. Dies gilt auch noch in der Revisionsinstanz. Im Rahmen der Prüfung der Prozessstandschaft ist das Revisionsgericht weder an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden noch auf die Tatsachen und Beweismittel beschränkt, die dem Berufungsgericht vorgelegen haben. Das Revisionsgericht hat vielmehr gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz in Abweichung von § 559 Abs. 1 ZPO selbständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für eine Prozessstandschaft erfüllt sind […].

(2) Die Beklagten haben in der Erwiderung auf die Nichtzulassungsbeschwerde darauf hingewiesen, dass über das Vermögen der die Klägerin zur Prozessführung ermächtigenden M. AG am 29. Januar 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt eine der Klägerin erteilte Ermächtigung zur Prozessführung.

In der Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgabe, das gesamte zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen seiner Bestimmung, der Verteilung, entgegenzuführen und es bis dahin nach eigenen Entschlüssen zu verwalten, soll der Insolvenzverwalter nicht durch die Tätigkeit eines Dritten gehindert sein, den der Insolvenzschuldner hinsichtlich eines zur Masse gehörigen Gegenstandes beauftragt hat. Deshalb erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsprechend § 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO das der Ermächtigung zugrundeliegende Rechtsverhältnis und entsprechend § 168 Satz 1 BGB die Ermächtigung zur Prozessführung […]. Der Auftrag erlischt dabei mit der Insolvenzeröffnung, ohne dass der Insolvenzverwalter hierfür noch etwas tun müsste […].

Ist die Ermächtigung zur Prozessführung erloschen, hat der Ermächtigte seine Tätigkeit einzustellen. Er kann sie nur dann, und zwar nunmehr für den Insolvenzverwalter, fortsetzen, wenn dieser ihn seinerseits ermächtigt oder wenn die Prozessführungsbefugnis entsprechend § 115 Abs. 2 und 3 InsO wegen fehlender Kenntnis des Prozessstandschafters von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als fortbestehend gilt […].

Beides ist hier nicht der Fall. Der Insolvenzverwalter hat erkennbar die Klägerin nicht ermächtigen wollen, den Rechtsstreit gegen die Beklagten fortzuführen. Wie sich aus dem mit der Beschwerdeerwiderung vorgelegten Bericht des Insolvenzverwalters vom 14. März 2016 ergibt, hat dieser erklärt, dass er gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO die Erfüllung des Vertrags ablehne, mit dem die M. AG die Klägerin zur Verteidigung und Durchsetzung des Wettbewerbsverbots gegenüber den Beklagten beauftragt hat.

Die Klägerin hat spätestens mit dem Zugang der Erwiderung auf die Nichtzulassungsbeschwerde Kenntnis von der Insolvenz der M. AG erlangt.“

Anmerkung

Hier war der Prozess wohl auch deshalb zwingend zu Ende, weil der Insolvenzverwalter kein Interesse hatte, den Rechtsstreit aufzunehmen und fortzuführen. Anderenfalls wäre die klagende Partei wohl auf die Unzulässigkeit der Klage hinzuweisen und ihr die Möglichkeit zu geben, entweder den Rechtsstreit für erledigt zu erklären oder aber dem Rechtsinhaber (bzw. hier dem Insolvenzverwalter) die Möglichkeit zu geben, ggf. im Wege eines Parteiwechsels selbst in den Prozess einzutreten (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1993 – IV ZR 190/92 unter 2.c)).

Fällt die Prozessführungsbefugnis übrigens nicht wie hier kraft Gesetzes weg, sondern weil der Rechtsinhaber die Ermächtigung widerruft, geltend die vorstehend genannten Grundsätze nicht: Ist bereits mündlich verhandelt worden (§ 137 ZPO), ist ein Widerruf vielmehr nur noch zulässig, wenn die beklagte Partei einer Abweisung der Klage als unzulässig zustimmt (BGH, Urteil v. 27.02.2015 – V ZR 128/14).

tl;dr: Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt eine der klagenden Partei erteilte erteilte Ermächtigung zur Prozessführung, ohne dass der Insolvenzverwalter dafür noch etwas tun müsste.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 21. 7. 2016 – I ZR 190/15.

Foto: ComQuat, BGH - Palais 1, CC BY-SA 3.0