BGH: Keine Aufnahme eines wegen Insolvenz unterbrochenen Verfahrens ohne vorherigen Prüftermin

BGH_Empfangsgebäude ComQuat wikimedia.org CC BY-SA 3.0Mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Aufnahme eines wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unterbrochenen Rechtsstreits zulässig ist, befasst sich das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Juli 2014 – IX ZR 261/12.

Sachverhalt

Im zugrundeliegenden Verfahren machten die Kläger – Wohnungseigentümer einer Wohnanlage – Erstattungsansprüche gegen die von ihnen beauftragte Bauträgerin geltend. In erster Instanz hatten sie obsiegt. Über das Vermögen der Bauträgerin war in der Berufungsinstanz das Insolvenzverfahren eröffnet worden, in diesem Zusammenhang hatte der Insolvenzverwalter zum Ausdruck gebracht, dass er die Forderungen der Kläger für unbegründet halte. Die Kläger meldeten ihre Forderungen zur Insolvenztabelle an und nahmen das Verfahren gegen den Insolvenzverwalter auf. Ihre Klagen stellten sie um auf Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle. Das Berufungsgericht sprach die begehrte Feststellung aus. Dagegen wendete sich der beklagte Insolvenzverwalter.

Um die Entscheidung zu verstehen ist ein Grundverständnis der Zusammenhänge von Zivilprozess und Insolvenzverfahren erforderlich.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahren geht gem. § 80 InsO die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über. Der Schuldner kann seine Prozesse daher nicht mehr führen; sie werden daher gem. § 240 ZPO ausgesetzt.

Zweck des Insolvenzverfahrens ist die gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Deshalb könne Gläubiger ihre Forderungen gem. § 87 InsO im Insolvenzverfahren nicht mehr einzeln verfolgen und gegen den Schuldner vollstrecken. Sie müssen ihre Forderungen vielmehr gem. §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anmelden. Die Berechtigung der angemeldeten Forderungen wird dann in einem sog. Prüfungstermin geprüft, in dem Forderungen von anderen Gläubigern oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden können. Wird eine Forderung nicht bestritten, gilt sie als festgestellt. Das hat dann u.a. die Folge, dass die Forderung an der Verteilung des Insolvenzerlöses teilnimmt.

Wird eine Forderung hingegen bestritten, muss die Berechtigung dieser Forderung gerichtlich geklärt werden. Das Verfahren dafür richtet sich nach §§ 179, 180 ZPO: Der Gläubiger muss gegen den Bestreitenden (anderer Gläubiger oder Insolvenzverwalter) auf Feststellung der Forderung klagen (§ 179 Abs. 1 InsO). War über die bestrittene Forderung zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung schon ein Verfahren anhängig, so muss nicht erneut geklagt werden, das unterbrochene Verfahren ist dann aufzunehmen (§ 180 Abs. 2 InsO).

Die Verfahrenseröffnung hatte hier gem. § 240 Satz 1 ZPO zur Unterbrechung des Zivilprozesses geführt, gleichzeitig war die Verfügungsbefugnis gem. § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen. Die Kläger konnten das Verfahren daher gem. § 240 Satz 1 ZPO daher „nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften“, d.h. gem. § 180 Abs. 2 InsO gegen den Insolvenzverwalter aufnehmen.

Fraglich war aber, die Kläger den Rechtsstreit auch schon aufnehmen durften, bevor ihre Forderungen in einem Prüfungstermin geprüft worden waren. Denn über die Berechtigung ihrer Forderung war wegen Formmängeln im Prüfungstermin gar nicht gesprochen worden; der Insolvenzverwalter hatte nur außerhalb dieses Termin geäußert, dass er die Forderung für unnegründet halte.

S. zur Unterbrechung gem. § 240 ZPO auch den sehr lesenswerten Beitrag von Huber, JuS 2013, 1070 ff.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof gibt der Revision statt und hebt das Urteil des OLG auf, da dies mangels wirksamer Aufnahme keine Sachentscheidung hätte treffen dürfen.

Zunächst stellt der Bundesgerichtshof allgemein die Voraussetzungen und der Verfahren bei Aufnahme eines Rechtsstreits nach einer Unterbrechung gem. § 240 ZPO dar und erläutert den Zweck des Prüfungstermins.

„a) Die Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei unterbrochenen Rechtsstreits richtet sich gemäß § 240 Satz 1 ZPO nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften. Ein Passivprozess, mit dem die Insolvenzmasse in Anspruch genommen wird, kann vom Gläubiger nur unter den besonderen, hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 86 Abs. 1 InsO ohne weiteres aufgenommen werden. Im Übrigen können Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Trotz des bereits anhängigen Rechtsstreits muss der Insolvenzgläubiger deshalb seine Forderung zunächst nach § 174 InsO zur Insolvenztabelle anmelden. Die Forderung muss sodann in einem Prüfungstermin vor dem Insolvenzgericht oder im schriftlichen Verfahren geprüft werden (§ 29 Abs. 1 Nr. 2, § 176 f InsO). Wenn der Insolvenzverwalter oder ein anderer Insolvenzgläubiger der Forderung im Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren widerspricht, kann der Gläubiger den anhängigen Rechtsstreit mit dem Ziel der Feststellung der Forderung zur Tabelle aufnehmen (§ 179 Abs. 1, § 180 Abs. 2 InsO). Liegt, wie im Streitfall, für die Forderung bereits ein (vorläufig) vollstreckbarer Schuldtitel vor, obliegt die Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits dem Bestreitenden (§ 179 Abs. 2 InsO). Bleibt dieser untätig, ist aber auch der Gläubiger zur Aufnahme befugt […].

Die Durchführung des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens dient dem Interesse der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger. Durch das Verfahren der Anmeldung und Prüfung soll ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich an der gerichtlichen Auseinandersetzung über die Begründetheit der Forderung zu beteiligen, zumal die gerichtliche Feststellung gegenüber allen Insolvenzgläubigern wirkt (§ 183 Abs. 1 InsO). Aus diesem Grund ist das Erfordernis des insolvenzrechtlichen Feststellungsverfahrens auch nicht abdingbar. Es handelt sich vielmehr um eine zwingende Sachurteilsvoraussetzung sowohl im Falle einer neu erhobenen Feststellungsklage […] als auch bei der Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits […]."

Aus diesen Gründen sei stets ein formeller Prüfungstermin erforderlich, der hier aber nicht stattgefunden habe. Das Bestreiten des Insolvenzverwalters außerhalb dieses Termin sei unbeachtlich.

„Im Streitfall kann offen bleiben, ob die Kläger, wie das Berufungsgericht annimmt, ihre Forderungen bereits mit dem Schreiben vom 11. August 2011 wirksam zur Insolvenztabelle angemeldet hatten. Jedenfalls waren die Forderungen bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geprüft. Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen Vortrag des Beklagten hatte dieser die Aufnahme der Forderungen in die Insolvenztabelle auf der Grundlage der Forderungsanmeldung vom 11. August 2011 zunächst abgelehnt, weil die Anmeldung nicht den formalen Anforderungen des § 174 InsO entsprochen habe. Mangels Aufnahme in die Tabelle waren die Forderungen nicht Gegenstand des Prüftermins, der im schriftlichen Verfahren am 10. November 2011 stattfand. Der Bevollmächtigte der Kläger meldete die Forderungen daraufhin unter dem 10. Februar 2012 mit ausführlicherer Begründung erneut an. Diese Anmeldung behandelte der Beklagte als nachträgliche Forderungsanmeldung. Ein Termin zur Prüfung dieser Forderungen oder eine Prüfung im schriftlichen Verfahren nach § 177 Abs. 1 InsO wurde jedoch vom Insolvenzgericht bis zur Berufungsverhandlung nicht angeordnet.

Die Prüfung der Forderungen nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften war entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht deshalb entbehrlich, weil die angemeldeten Forderungen prüffähig waren und der Insolvenzverwalter durch sein Verhalten im Rechtsstreit zum Ausdruck brachte, die Forderungen bestreiten zu wollen. Der Zweck, den übrigen Insolvenzgläubigern eine Beteiligung zu ermöglichen, kann nur durch eine förmliche Durchführung des Prüfungsverfahrens vor dem Insolvenzgericht erreicht werden. […]"

Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Urteil v. 3. Juli 2014 – IX ZR 261/12.

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