BGH: Keine Verschärfung der Beweislastregelungen bei Rechts- und Steuerberaterhaftung

In der Sache nichts neuer aber eine gute Gelegenheit, sich (mal wieder) mit dem Unterschied zwischen Anscheinsbeweis und Beweislastumkehr zu beschäftigen ist der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.05.2014 – IX ZR 267/12.

Bild des BundesgerichtshofsIn der Sache ging es (soweit ich das aus den Gründen herauslesen konnte) um eine Klage gegen einen Rechtsanwalt oder Steuerberater, die vom LG und OLG abgewiesen wurde, da die erforderliche Kausalität der Falschberatung für den Vermögensschaden nicht dargelegt sei. Dagegen wendeten sich die Kläger und vertraten sie Ansicht, das OLG sei zu Unrecht davon ausgegangen war, dass sich eine Beweiserleichterung für den Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ergebe. Denn in der Anlageberatungshaftung gehe der Bundesgerichtshof von einer Beweislastumkehr zu Lasten des Anlageberaters aus. Dies sei auf andere Fälle der Beraterhaftung zur übertragen.

Bei richterrechtlichen Vermutungen oder Beweiserleichterungen ist stets danach zu differenzieren, ob es sich lediglich um eine tatsächliche Vermutung bzw. einen Anscheinsbeweis handelt, oder ob die Vermutung zu einer Umkehr der Beweislast führt:

Kehrt eine Vermutung die Beweislast um, führt dies gem. § 292 ZPO dazu, dass die andere Partei das Gericht vollständig (§ 286 ZPO) vom Gegenteil überzeugen muss. Typische Bespiele für gesetzliche Vermutungen sind §§ 280 Abs. 1 Satz 2, 476 und 831 Abs. 1 Satz 2 und 1006 BGB. Ein typisches Beispiel für eine richterrechtliche Vermutung, die zu einer Beweislastumkehr führt, findet man bei fehlerhaften Produkten: Ist ein Produkt fehlerhaft, werden die Pflichtwidrigkeit und das Verschulden des Produzenten vermutet. Der Geschädigte muss daher lediglich die Fehlerhaftigkeit des Produkts, seine Rechtsgutverletzung und die Ursächlichkeit des Produktfehlers für die Rechtsgutverletzung darlegen.

Eine tatsächliche Vermutung/ein Anscheinsbeweis beruht hingegen lediglich darauf, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung einem bestimmten Erfolg in der Regel („dem ersten Anschein nach“) eine bestimmte Ursache vorausgeht. Sie kehren die Beweislast nicht um sondern erleichtern nur die Beweisführung. Deshalb muss die Partei, zu deren Lasten ein Anscheinsbeweis eingreift, nicht das vollständige Gegenteil beweisen. Es reicht vielmehr aus, das Gericht von der Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs zu überzeugen. Dann gelten (wieder) die allgemeinen Beweislastregeln.

Typische Beispiele für tatsächliche Vermutungen sind:

  • Die Vermutung, dass derjenige schuldhaft handelt, der im Straßenverkehr auf den Vordermann auffährt;
  • die Vermutung, dass eine Vertragsurkunde die Vereinbarung vollständig und richtig wiedergibt;
  • die Vermutung, dass der Inhaber einer EC-Karte die PIN nicht sorgfältig verwahrt hat, wenn mit der Karte unberechtigt Geld abgehoben wird (str.)

Bei der Beraterhaftung von besonderer Bedeutung sind Beweiserleichterungen im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität: Hier wird allgemein vermutet, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte (sog. Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens). In Anlageberatungsfällen vertritt der BGH in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass diese Vermutung zu einer Beweislastumkehr führt. Nach der bisherigen Rechtsprechung zur Anwalts- und Steuerberatungshaftung soll diese Vermutung nur zu einer Beweiserleichterung i.S. eines Anscheinsbeweises führen, da rechtliche Beratung sehr durch die Umstände des Einzelfalls geprägt sei.

Die Kläger waren hier der Ansicht, dass auch bei der Anwalts- und Steuerberatungshaftung von einer Beweislastumkehr auszugehen sei.

Eine Verschärfung der Regeln für Rechtsberater hält der Bundesgerichtshof jedoch für unnötig:

„Unter welchen Voraussetzungen in Fällen der Rechtsberaterhaftung für den Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden zugunsten des Mandanten Beweiserleichterungen in Betracht kommen, lässt sich der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entnehmen, die bereits durch das Grundsatzurteil vom 30. September 1993 (IX ZR 73/93 […]) begründet worden ist. Es handelt sich um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises. Vorausgesetzt ist demnach ein Sachverhalt, der nach der Lebenserfahrung aufgrund objektiv deutlich für eine bestimmte Reaktion sprechender Umstände einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich ist. Dies ist anzunehmen, wenn bei zutreffender rechtlicher Beratung vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus allein eine Entscheidung nahe gelegen hätte […].

Demgegenüber vermag auf anderem Gebiet ergangene Rechtsprechung zum aufklärungsrichtigen Verhalten weder Klärungs- noch Rechtsfortbildungsbedarf zu begründen. Dies gilt auch für die neueren Entscheidungen zur Anlageberatungshaftung […]. Danach besteht zu Lasten des Anlageberaters eine zur Beweislastumkehr führende widerlegbare tatsächliche Vermutung, dass der Schaden bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht eingetreten wäre. Sie wird mit dem besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfertigt und greift auch dann ein, wenn der pflichtgemäß aufgeklärte Anleger verschiedene Handlungsalternativen gehabt hätte […]. Auf Umstände, die nach der Lebenserfahrung typischerweise die Annahme eines bestimmten Geschehensablaufs rechtfertigen, ist diese Rechtsprechung wegen ihrer Begründung aus dem Schutzzweck der verletzten Pflicht nicht angewiesen.

Mit dem Ansatz einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung hat sich der Senat schon in seinem Grundsatzurteil vom 30. September 1993 […] auseinandergesetzt und entschieden, dass nur die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu einer angemessenen Risikoverteilung zwischen rechtlichem Berater und Mandanten führen. Daran wird festgehalten.“

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss v. 15.05.2014 – IX ZR 267/12 Foto: © H.D.Volz / www.pixelio.de