BGH: Mahnbescheid hemmt bei bewusst unrichtigen Angaben die Verjährung nicht

Endlich auch in kompletter Fassung und nicht nur als Pressemitteilung liegt nun das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14 vor.

Darin geht es um die insbesondere (aber nicht nur) in Kapitalanlagesachen relevante Frage, ob die Zustellung des Mahnbescheids die Verjährung auch dann hemmt, wenn die klagende Partei im Mahnantrag bewusst unrichtige Angaben gemacht hat.

Sachverhalt

Der Kläger begehrte von der beklagten Bank Schadensersatz wegen angeblich fehlerhafter Aufklärung im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Eigentumswohnung. Dabei ging der Kläger im Wege des sog. „großen“ Schadensersatzes vor, d.h. er begehrte Rückzahlung des gesamten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung der Wohnung.

Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers den Erlass eines Mahnbescheids. Dabei gaben sie an, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhänge. Die Vorinstanzen hatten die Klage wegen Verjährung abgewiesen und festgestellt, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers insoweit bewusst unrichtige Angaben gemacht hätten.

Soll kurz die Verjährung kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist unterbrochen werden, ist die Erhebung einer Klage (§ 204 Abs. 1 Ziff. 1 BGB) jedenfalls in komplizierteren Verfahren nicht unbedingt ratsam, da dies wegen der Anforderungen an die Darlegung erheblichen Aufwand bedeutet.

Nicht selten wird deshalb zum Mahnverfahren gegriffen, da auch die Zustellung des Mahnbescheids gem. § 204 Abs. 1 Ziff. 3 BGB die Verjährung unterbricht (ein anderes beliebtes Mittel ist auch der Güteantrag gem. Ziff. 4). Denn der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids fordert lediglich die in § 690 Abs. 1 ZPO genannten Angaben. Erst nach Widerspruch und Überleitung ins schriftliche Verfahren (§ 696 ZPO) muss der Anspruch dann „in einer der Klageschrift entsprechenden Form“ begründet werden, § 697 Abs. 1 ZPO.

Das Mahnverfahren ist allerdings gem. § 688 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO unstatthaft, wenn „die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist“. Und hier begehrte der Kläger „großen“ Schadensersatz gem. §§ 281, 283 BGB. Und im Rahmen dessen war er verpflichtet, der Bank die Wohnung im Falle eines Obsiegens zurückzuübertragen. Trotzdem hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Antrag angegeben, der Anspruch hänge nicht von einer Gegenleistung ab.

Fraglich war daher, ob die Zustellung des Mahnbescheids trotzdem die Verjährung gehemmt hatte.

Entscheidung

Der Bundesgerichthof führt zunächst aus, dass nach ständiger Rechtsprechung die die Zustellung des Mahnbescheids die Verjährung auch bei unrichtigen Angaben die Verjährung hemmt:

„Richtig hat das Berufungsgericht dabei zum Ausgangspunkt genommen, die Zustellung des Mahnbescheids hemme trotz eines Verstoßes gegen § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO [...] nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB die Verjährung [...]"

Allerdings könne sich der Kläger gem. § 242 BGB dann nicht auf die Verjährungshemmung berufen, wenn er bewusst unrichtige Angaben gemacht und damit das Mahnverfahren missbraucht habe:

„Die § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO widerstreitende Geltendmachung des „großen" Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, stellt, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen […].

Denn der Antragsteller, dem der Gesetzgeber eine Erleichterung auf dem Weg zu einem vollstreckungsfähigen Titel nur gegen eine klare Festlegung zu den Voraussetzungen des Mahnverfahrens gewährt, überspielt damit zielgerichtet die Sicherungen, die das Mahnverfahren als Kompensation für die lediglich begrenzte Schlüssigkeitsprüfung […] zugunsten des Antragsgegners vorsieht.

Macht der Geschädigte seinen Anspruch auf Leistung "großen" Schadensersatzes im Klageverfahren geltend und ist der Schädiger säumig, kann der Geschädigte aufgrund des von Amts wegen zu berücksichtigenden Grundsatzes der Vorteilsausgleichung nach § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO eine Verurteilung nur Zug um Zug erlangen. Die Schlüssigkeit seines Begehrens setzt im Klageverfahren die Schilderung des schädigenden Ereignisses, hier des darlehensfinanzierten Erwerbs von Wohnungseigentum aufgrund einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung der Bank als Schädigerin, voraus.

Damit ist das Erlangen eines schadensersatzrechtlich beachtlichen Vorteils Teil des nach § 331 Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO zu berücksichtigenden Vortrags. Der Richter wird deshalb von Amts wegen, sollte der Klageantrag nicht schon auf eine Verurteilung Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils lauten, einen Zug-um-Zug-Vorbehalt aussprechen […].

Wählt der Geschädigte stattdessen das Mahnverfahren und gibt im Bewusstsein der die Vorteilsausgleichung beherrschenden Grundsätze eine nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO falsche Erklärung ab, erreicht er, weil im Mahnverfahren nur eine begrenzte Schlüssigkeitsprüfung stattfindet, ein vorbehaltloses Erkenntnis zulasten des Schädigers. Er nutzt damit – anders als ein Antragsteller, der etwa mangels juristischer Vorbildung die Vorteilsausgleichung in ihren Rechtsfolgen nicht einzuordnen weiß – die gegenüber dem Klageverfahren andere Verfahrensgestaltung des Mahnverfahrens mit der Aussicht, sich einen geldwerten Vorteil gegenüber der ansonsten von Amts wegen zu berücksichtigenden materiellen Rechtslage zu verschaffen.

Dass der Kläger, der sich das Verhalten seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 166 BGB, § 85 Abs. 2 ZPO), nach § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hat, hat das Berufungsgericht festgestellt. Dass diese Feststellung im Revisionsverfahren beachtliche Rechtsfehler aufwiese, zeigt die Revision nicht auf und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Der Kläger hat den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids, auf dessen verjährungshemmende Zustellung er sich beruft, durch einen Rechtsanwalt stellen lassen, der durch seinen Zug-um-Zug-Vorbehalt in der Anspruchsbegründungsschrift deutlich zu erkennen gegeben hat, um die Unvereinbarkeit seiner Verfahrensweise mit § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu wissen. Im Übrigen wurden die aus der oben zitierten älteren höchstrichterlichen Rechtsprechung für § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu ziehenden Konsequenzen bereits im Jahr 2005 in der Literatur dargestellt [...].“

Anmerkung

Ob es wirklich taktisch so klug war, in der Anspruchsbegründung „nur“ noch einen Zug-um-Zug-Antrag zu stellen? Ich bin mir nicht so sicher. Die Tatsacheninstanzen hätten sich dann mit der Begründung des Vorsatzes immerhin etwas mehr Mühe geben müssen…

Der III. Zivilsenat hat sich der Entscheidung in seinem Urteil vom 16.07.2015 – III ZR 238/14 mit identischer und weitgehend wortgleicher (!) Begründung angeschlossen.

tl;dr: Die Zustellung des Mahnbescheids hemmt die Verjährung auch bei unrichtige Angaben im Antrag. Auf die Verjährungshemmung kann sich aber nicht berufen, wer bewusst falsche Angaben gemacht hat.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14. Foto:Andreas Praefcke | Karlsruhe BGH Eingangsbereich | CC BY 3.0