Entscheidung
Der BGH hat das klageabweisende Urteil der Vorinstanz aufgehoben und die Sache zurückverwiesen:
„Zu Recht hat das Berufungsgericht (…) entschieden, dass die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens seitens der Beklagten ein (…) Feststellunginteresse noch nicht begründet hat.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses zu bejahen, wenn sich der Beklagte eines Anspruchs gegen den Kläger berühmt.
Dafür ist nicht notwendigerweise erforderlich, dass der Beklagte behauptet, bereits eine durchsetzbare Forderung gegenüber dem Kläger zu haben. Dessen Rechtsstellung ist schon dann schutzwürdig betroffen, wenn geltend gemacht wird, aus dem bestehenden Rechtsverhältnis könne sich unter bestimmten Voraussetzungen, deren Eintritt noch ungewiss ist, ein Anspruch gegen ihn ergeben (…).
Demgegenüber enthält die bloße Ankündigung, unter bestimmten Voraussetzungen in eine Prüfung einzutreten, ob ein Anspruch gegen den Kläger besteht, noch keinen ernsthaften, hinreichend bestimmten Eingriff in dessen Rechtssphäre, der ein alsbaldiges Interesse an gerichtlicher Klärung eines Rechtsverhältnisses der Parteien zu begründen vermag (…).
bb) In Anwendung dieses Maßstabs kann die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens als solche nicht als Berühmung angesehen werden (…).
Ein selbständiges Beweisverfahren ermöglicht die Klärung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für einen möglicherweise bestehenden Anspruch vorliegen. Dies gilt nicht nur für eine Begutachtung nach § 487 Abs. 2 ZPO, die ohnehin nur zulässig ist, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist und für die ein rechtliches Interesse nach § 487 Abs. 2 Satz 2 ZPO insbesondere dann anzuerkennen ist, wenn die angestrebte Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, sondern auch für eine Beweiserhebung nach § 487 Abs. 1 ZPO.
Eine solche kommt zwar auch während eines Rechtsstreits in Betracht. Wenn sie wie im Streitfall beantragt wird, bevor ein Rechtsstreit anhängig ist, kann aber ohne besondere Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zur Geltendmachung seines Anspruchs unabhängig vom Ausgang des Beweisverfahrens entschlossen ist.
Die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens als solche ist danach grundsätzlich nicht als Geltendmachung eines Anspruchs anzusehen, sondern als vorgelagerte Prüfung. Dies ist nach der eingangs aufgezeigten Rechtsprechung noch keine Berühmung. Wie bereits das OLG Dresden in dem vom Berufungsgericht zitierten Urteil aus dem Jahr 1929 ausgeführt hat, stünde eine abweichende Beurteilung in Widerspruch zur Zielsetzung des selbständigen Beweisverfahrens, einen Rechtsstreit nach Möglichkeit zu vermeiden (OLG Dresden, JW 1929, 519). Dies trifft auch für die heutige Rechtslage zu.
cc) Dass ein selbständiges Beweisverfahren nach § 487 Abs. 1 ZPO auch während eines bereits anhängigen Rechtsstreits zulässig ist und ein solches Verfahren im Einzelfall auch dazu dienen kann, zusätzliches Beweismaterial für einen bereits als feststehend dargestellten Anspruch zu erlangen oder zu sichern, führt entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
(1) In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall angenommen werden kann, dass der Antragsteller sich ungeachtet des von ihm angestrengten selbständigen Beweisverfahrens bereits eines Anspruchs berühmt. Eine solche Annahme kann jedenfalls nicht auf den Umstand gestützt werden, dass er ein solches Verfahren eingeleitet hat, sondern allenfalls auf ergänzende Erklärungen oder sonstiges Verhalten.
(2) Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass solche besonderen Umstände im Streitfall nicht vorliegen. (…)
Insbesondere hat das Berufungsgericht dem auf Vermeidung eines Rechtsstreits gerichteten Zweck von § 487 ZPO zu Recht dadurch Rechnung getragen, dass es Äußerungen, die bei isolierter Betrachtung als Berühmung angesehen werden könnten, vor dem Hintergrund des Verfahrens interpretiert hat, in dem sie erfolgt sind.“
So weit, so gut für die Beklagte. Allerdings hatte die Beklagte sich auch in der Sache gegen die negative Feststellungsklage verteidigt, und das wird ihr nach Ansicht des Senats zum Verhängnis:
„Eine die Erhebung einer negativen Feststellungsklage rechtfertigende Berühmung liegt im Streitfall (…) vor, weil die Beklagte nach Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens an ihrem Standpunkt festgehalten hat, ihr stünden gegen die Klägerin Ansprüche wegen Verletzung ihres Patents zu.
Mit dem Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens entfällt die Grundlage für die Annahme, dass entsprechende Äußerungen des Antragstellers nur erfolgen, um eine Prüfung möglicher Ansprüche zu ermöglichen. Anders als in Fällen, in denen es bereits zu einer Berühmung gekommen ist (…), muss der Antragsteller in dieser Situation zwar keinen Verzicht auf seine Ansprüche erklären, um ein rechtliches Interesse der Gegenseite an einer negativen Feststellungsklage auszuräumen.
Wenn der Antragsteller trotz Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens weiterhin geltend macht, er halte die Ansprüche für begründet, ist dies angesichts der geänderten Rahmenumstände aber grundsätzlich als Berühmung anzusehen, die ein hinreichendes Interesse des Gegners begründet, die Rechtslage gerichtlich klären zu lassen.“
Anmerkung
Für die anwaltliche Praxis ergibt sich daraus, dass in zweierlei Konstellationen Vorsicht geboten ist:
- Bei Abfassung einer Antragsschrift zur Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens sollte darauf geachtet werden, hinreichend vorsichtig zu formulieren, so dass die zuständigen Gerichte keinen Anlass haben, von einem „Berühmen“ auszugehen.
- Besondere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn eine negative Feststellungsklage bereits erhoben ist. Hält der Beklagte diese mangels „Berühmung“ für unzulässig, ist es einerseits riskant, sich lediglich gegen die Zulässigkeit zu verteidigen. Andererseits führt eine Verteidigung in der Sache nach Ansicht des BGH dazu, dass die Klage zulässig wird. Deshalb wird man es wohl für zulässig halten müssen, sich zunächst lediglich bezogen auf die Zulässigkeit zu verteidigen und das Gericht zu bitten, ggf. einen Hinweis zu erteilen, sollte es die Klage für zulässig halten (um sich dann auch in der Sache zu verteidigen).
Und zuletzt beschäftigt sich die Entscheidung (insoweit hier nicht wiedergegeben) mit einem „Klassiker“ im IZVR: Die Beklagte hatte die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gerügt – allerdings nicht schon in der Klageerwiderung. Deshalb waren deutsche Gericht jedenfalls gem. Art. 24 S. 1 EuGVVO wegen rügeloser Einlassung zuständig. (Das ist für regelmäßige Leser-/innen dieses Blogs übrigens nichts Neues.)
(Ich habe übrigens nicht verändert, der Senat zitiert mit beeindruckender Hartnäckigkeit § 487 Abs. 1 bzw. 2 ZPO, obwohl er § 485 Abs. 1 bzw. 2 ZPO meint.)
tl;dr: Die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens kann grundsätzlich nicht als Berühmung angesehen werden, die ein rechtliches Interesse des Gegners an einer negativen Feststellungsklage begründet. Das gilt auch, soweit der Antragsteller im selbständigen Beweisverfahren vorträgt, ihm stehe ein Anspruch zu, wenn er dennoch auf eine weitere Beweiserhebung dringt.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 02.10.2018 – X ZR 62/16.
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