BGH: Urkunden müssen genau bezeichnet werden, wenn Gegner diese vorlegen soll

Nur Zivilprozessrecht im weiteren Sinne, dafür aber eine interessante Konstellation im Zusammenhang mit dem Urkundenbeweis zum Gegenstand hat das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.05.2014 – XI ZR 264/13.

AktenordnerDie Beklagte in dem zugrunde liegenden Verfahren hatte sich gegenüber der Klägerin – einer Bank – für die Verbindlichkeiten einer („ihrer“) GmbH & Co. KG verbürgt. Nachdem über das Vermögen der Gesellschaft(en) das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, nahm die Klägerin nun die Beklagte aus den Bürgschaften in Anspruch. Die Beklagte verteidigte sich mit dem Einwand, die Darlehensforderung gegen die Gesellschaft sei erloschen, denn die Klägerin habe sich in Höhe voller Höhe am Vermögen der Gesellschaft schadlos halten können.

Das Landgericht hatte der Klägerin – gestützt auf § 258 HGB – aufgegeben, „zwei Aktenordner“ mit Korrespondenz zwischen ihr und dem Insolvenzverwalter vorzulegen, um nachvollziehen zu können, inwieweit dies der Fall sei. Da die Klägerin dem nicht nachgekommen war, hatte das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hatte die Klage ebenfalls abgewiesen, die Vorlagepflicht der Klägerin jedoch auf §§ 422, 423 ZPO, 810 Fall 2 BGB gestützt. Aus den Akten ergab sich zudem wohl, dass die Klägerin tatsächlich nur sehr zögerlich die von ihr erzielten Verwertungserlöse eingeräumt hatte.

Nicht selten benötigt eine beweisbelastete Partei zur Beweisführung Urkunden, die sich nicht in ihrem Besitz befinden und die sie daher nicht einfach gem. § 420 ZPO vorlegen kann. So war es hier: Die Beklagte wusste nicht, in welcher Höhe die Hauptforderung der Klägerin durch den Insolvenzverwalter getilgt worden war.

Die dazugehörige Korrespondenz befand sich aber bei der Klägerin. Fraglich war daher zunächst einmal, wie die Beklagte an diese Unterlagen kommen könnte. Befindet sich die relevante Urkunde in der Hand des Gegners, kann die Partei gem. §§ 421, 424 ZPO Beweis dadurch antreten, dass sie beantragt, dem Gegner die Vorlage der Urkunde aufzugeben. Das setzt aber voraus, dass der Gegner „nach bürgerlichem Recht“ zur Vorlage der Urkunde verpflichtet ist. Eine solche Pflicht kann sich z.B. aus §§ 259 Abs. 1 (Rechenschaftspflicht), 402 (Abtretung) oder 716 (GbR) ergeben. Hier kam ein Anspruch auf Einsicht in diese Unterlagen aus § 810 Var. 2 BGB in Betracht.

Unabhängig von einem Antrag des Beweiführers kann das Gericht aber auch von Amts wegen gem. § 142 ZPO die Vorlage von Urkunden anordnen. Dafür reicht es aus, dass die beweispflichtige Partei auf diese Urkunden (hinreichend substantiiert) Bezug genommen hat.

Ist der Antrag auf Vorlage zulässig und kommt die Partei der Vorlage nicht nach, gilt der (vereitelte) Beweis als erbracht, vgl. § 427 Satz 2 ZPO. Dann wäre hier zugunsten der Beklagten davon auszugehen gewesen, dass die Darlehensforderung vollständig getilgt ist. Wegen der Akzessorietät der Bürgschaft hätte die Klägerin dann auch keinen Anspruch gegen die Beklagte gehabt.

Fraglich war aber, ob der Antrag der Beklagten auf Vorlage der „zwei Aktenordner" zulässig war.

Der BGH hebt das Urteil des OLG auf, da die Urkunden von der Beklagten nicht konkret genug bezeichnet worden seien. § 810 BGB dürfe nicht zur Ausforschung missbraucht werden.

„[…] rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Bürgen gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners grundsätzlich ein Einsichtsrecht in die das Rechtsverhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner betreffenden Urkunden zusteht (§ 810 Fall 2 BGB i.V.m. §§ 422, 423 ZPO).

a) Danach kann jeder die Gestattung der Einsicht in eine Urkunde von deren Besitzer verlangen, wenn in der Urkunde ein zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist und der Anspruchsteller ein rechtliches Interesse an der Einsichtsgewährung hat. […]

b) Gleichfalls noch zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass es sich bei der von der Beklagten zur Einsicht begehrten Korrespondenz der Klägerin mit dem Insolvenzverwalter der Hauptschuldnerin und dem Zwangsverwalter von deren Betriebsgrundstück um Urkunden im Sinne von § 810 BGB handelt. Im Hinblick auf das sich aus § 810 BGB ergebende Einsichtsrecht ist von den Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO, mithin vom zivilprozessualen Urkundenbegriff auszugehen. Urkunden sind danach durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen, die Aussagen über Rechtsgeschäfte oder Rechtsverhältnisse zum Inhalt haben, gleichgültig, in welcher Weise die Niederschrift erfolgt […].

3. Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht der Beklagten aus § 810 BGB i.V.m. § 422 ZPO ein Einsichtsrecht in mehrere Aktenordner, die den kompletten Schriftwechsel der Klägerin mit Dritten, also eine undifferenzierte Vielzahl von Urkunden beinhalten, zugebilligt hat.

a) Zur Begründung des rechtlichen Interesses eines Anspruchstellers im Sinne von § 810 BGB müssen hinreichend bestimmte Anhaltspunkte vorliegen, die auf einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der zur Einsichtnahme begehrten Urkunde und dem Rechtsverhältnis hinweisen, zu dessen Klarstellung die Einsicht verlangt wird. Ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Einsichtsrechts ist dabei die Schutzwürdigkeit dieses rechtlichen Interesses des Anspruchstellers […]. Hieran fehlt es, wenn ein Anspruchsteller lediglich aufgrund vager Vermutungen Urkundeneinsicht verlangt, um erst dadurch Anhaltspunkte für eine spätere Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde oder gegen Dritte zu gewinnen. In einem solchen Fall zielt das Einsichtsverlangen auf eine unzulässige Ausforschung […].

Außerdem muss eine vorzulegende Urkunde stets genau bezeichnet werden, insbesondere wenn sie sich in Akten befindet. Deshalb genügt es nicht, wenn der Anspruchsteller beantragt, ihm Einsicht in komplette Akten, andere Urkundensammlungen oder in sämtliche, einen bestimmten Vertrag betreffende Schriftstücke zu gewähren […]. Der für die Voraussetzungen einer Einsichtsgewährung nach § 810 BGB darlegungs- und beweispflichtige Anspruchsteller muss deshalb außer dem objektiven Zusammenhang des konkreten Rechtsverhältnisses mit der Urkunde und seinem rechtlichen Interesse auch die Urkunde selbst und deren angeblichen Inhalt genau bezeichnen […].“

Das sei hier aber nicht passiert, es fehle daher an einem Anspruch i.S.d. §§ 422 ZPO, 810 BGB.

Bleibt noch § 142 ZPO, nach dem das Gericht auch von Amts wegen die Vorlage bestimmter Urkunden anordnen kann. Auch dessen Voraussetzungen hält der Bundesgerichtshof aber nicht für gegeben:

„Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO), denn die Anordnung der Vorlage des gesamten Schriftwechsels der Klägerin mit dem Insolvenz- bzw. Zwangsverwalter der Hauptschuldnerin kann auch nicht mit Erfolg auf § 142 ZPO gestützt werden.

Zwar dient diese Vorschrift nicht unmittelbar Beweiszwecken, sondern primär der materiellen Prozessleitung, mit deren Hilfe sich das Gericht möglichst frühzeitig einen umfassenden Überblick über den Prozessstoff verschaffen bzw. das Parteivorbringen richtig verstehen können soll. Dabei darf das Gericht jedoch einer Urkunde nichts entnehmen, was von den Parteien im Prozess noch nicht vorgetragen worden ist, denn auch § 142 ZPO ermöglicht keine Amtsaufklärung. Das Gericht darf mit seiner Anordnung deshalb keinesfalls die Grenzen des Parteivortrages überschreiten. Die Bedeutung einer konkret zu bezeichnenden Urkunde für die begehrte Entscheidung muss sich vielmehr aus dem schlüssigen Parteivortrag ergeben. Die pauschale Aufforderung zur Vorlage ganzer Urkundensammlungen, Dokumentationen oder einer kompletten Korrespondenz ist deshalb auch nach § 142 ZPO unzulässig […].

[…] Auch die Vorschrift des § 142 Abs. 1 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, aber nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast […]. Dem entsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum Zwecke bloßer Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags anordnen […].

Da der Vortrag der Beklagten diesen Anforderungen nicht genügt, sind die Voraussetzungen, unter denen der Tatrichter eine Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO treffen kann, nicht gegeben.“

Und wem fällt jetzt das Gerede vom „Bankensenat“ ein? Denn das klingt ja alles ganz überzeugend. Aber sind die Anforderungen, die der BGH da an die Konkretisierung der Urkunden stellt, nicht doch etwas hoch? Woher soll die Beklagte denn wissen, welche Unterlagen die Klägerin genau erstellt hat und sich genau in diesen Aktenordnern befinden? Mich überzeugt das nicht so richtig…

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 27.05.2014 – XI ZR 264/13.

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