BGH: Verschwiegenheitspflicht, Amtsverschwiegenheit und Zeugnisverweigerungsrecht

Tobias Helferich wikimedia cc-by-sa 3.0Eine sehr gute Gelegenheit, sich mit der Abgrenzung von Amtsverschwiegenheit (§ 376 ZPO) und dem Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) zu befasst, ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.02.2016 – VI ZR 441/14.

In der Entscheidung finden sich außerdem sehr lesenswerte und auch auf andere Konstellationen übertragbare Ausführungen zur Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts aus berufliche Gründen.

Sachverhalt

Der Kläger begehrte von den Beklagten Schadensersatz aus § 826 BGB wegen angeblicher Falschberatung beim Erwerb von Wertpapieren. Dazu behauptete er, die Beklagten hätten Kunden systematisch falsch beraten und berief sich zum Beweis dieser Tatsache auf das Zeugnis zweier Mitarbeiter einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die im Auftrag der BaFin bei der von den Beklagten geleiteten Gesellschaft eine Sonderprüfung durchgeführt hatten.

Die von der BaFin mit solchen Prüfungen gem. § 4 FinDAG beauftragten Personen dürfen aber gem. §§ 8 WpHG, 9 KWG „die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse eines Instituts oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten, nicht unbefugt offenbaren oder verwenden“.

Nachdem die BaFin eine Aussagegenehmigung für die Zeugen nicht erteilt hatte, lehnten die Vorinstanzen gestützt auf die Regelungen im KWG und im WpHG i.V.m. § 376 ZPO eine Vernehmung der Zeugen ab, und wiesen die Klage ab, da der Kläger für die behauptete systematische Falschberatung beweisfällig geblieben sei.

Der Kläger hatte hier zwei Personen als Zeugen benannt, bei denen nicht klar war, ob diese überhaupt aussagen durften. Denn diese waren von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit einer Prüfung beauftragt worden und deshalb nach den genannten Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Fraglich war aber, wie diese Verschwiegenheitspflicht juristisch zu werten war:

  • Handelte es sich um eine Amtsverschwiegenheit gem. § 376 ZPO (vgl. § 54 StPO), durften die Zeugen nur Aussagen, wenn die BaFin ihnen eine Aussagegenehmigung erteilt hätte (s. § 37 BeamtStG). Da es daran fehlte, ergab sich aus §376 Abs. 1 ZPO i.V.m § 37 Abs. 3 BeamtStG ein Vernehmungsverbot. Der Kläger hätte ggf. auf dem Verwaltungsrechtsweg auf Erteilung einer Aussagegenehmigung klagen müssen (Verpflichtungsklage).
  • Die Verschwiegenheitspflicht konnte aber auch lediglich ein Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. §§ 52 ff. StPO) begründen. Dann musste das Gericht im Einzelfall entscheiden, wie weit das Zeugnisverweigerungsrecht reichte und darüber ggf. durch Zwischenurteil entscheiden, § 387 ZPO.
Entscheidung

Der BGH arbeitet zunächst heraus, dass die Zeugen keine Amtsverschwiegenheit i.S.d. § 376 ZPO trifft:

„Nach § 376 Abs. 1 ZPO gelten für die Vernehmung von Richtern, Beamten und anderen Personen des öffentlichen Dienstes als Zeugen über Umstände, auf die sich ihre Pflicht zur Amtsverschwiegenheit bezieht, und für die Genehmigung zur Aussage die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften.

376 Abs. 1 ZPO setzt mithin – ebenso wie der gleichlautende § 54 Abs. 1 StPO – eine durch andere Bestimmungen begründete Pflicht des Zeugen zur Amtsverschwiegenheit voraus […] und überträgt diese Pflicht in das Prozessrecht […]. Infolgedessen besteht, wenn dem Zeugen von der zuständigen Behörde keine Aussagegenehmigung erteilt wird, ein Vernehmungsverbot […]. Dadurch sollen die öffentlichen Geheimhaltungsinteressen auch im gerichtlichen Verfahren geschützt werden […]

[Die Zeugen] sind […] keine Richter oder Beamte und entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch keine sonstigen Personen des öffentlichen Dienstes. Zwar waren die Zeugen aufgrund ihrer Beauftragung durch die Bundesanstalt deren Hilfspersonen und wurden […] unmittelbar in Erfüllung von Angelegenheiten tätig, die für die Behörde Verwaltungsaufgaben waren […]. Dies begründete aber jedenfalls deshalb kein Vernehmungsverbot gemäß § 376 Abs. 1 ZPO, weil den Zeugen keine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit im Sinne dieser Vorschrift auferlegt worden war […]

Eine für das Eingreifen von § 376 Abs. 1 ZPO erforderliche Pflicht zur Amtsverschwiegenheit folgt schließlich auch nicht aus der sich aus § 8 Abs. 1 WpHG und § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht. […] Zwischen der sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht einerseits und der allgemeinen Amtsverschwiegenheit andererseits bestehen wesentliche Unterschiede […]. Anders als die beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht erfassen § 8 WpHG und § 9 KWG keine Tatsachen, deren Geheimhaltung im eigenen Interesse der Bundesanstalt liegt, sondern Geschäfts-, Betriebs- und Privatgeheimnisse der beaufsichtigten Marktteilnehmer und sonstiger Dritter […]. Zwar bezwecken beide Vorschriften damit nicht nur den Schutz der privaten Träger des Geheimhaltungsinteresses. Vielmehr sollen auch das notwendige Vertrauen in die Integrität der Aufsichtspraxis, eine entsprechende Kooperationsbereitschaft der beaufsichtigten Marktteilnehmer und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Märkte für Finanzinstrumente sichergestellt werden […].

Das ändert aber nichts daran, dass die geschützten Personen über den Schutz ihrer Geheimnisse disponieren können. Willigen sie in die Offenbarung einer Tatsache ein, erfolgt die Offenbarung nicht unbefugt und die Verschwiegenheitspflicht entfällt […].

Einer Zustimmung der Bundesanstalt bedarf es dafür in Ermangelung eines entsprechenden Genehmigungsvorbehalts nicht. Demgegenüber besteht die von § 376 Abs. 1 ZPO in Bezug genommene Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gegenüber dem öffentlichen Dienstherrn, der allein dazu berufen ist, den Bediensteten von dieser Pflicht zu entbinden […].“

Dann erklärt der BGH, warum auch das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 3 ZPO einer Vernehmung der Zeugen nicht entgegensteht:

„Nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind Personen, denen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes Tatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten ist, in Betreff der Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht, zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, haben [die Zeugen] bislang nicht erklärt. Schon deshalb wären sie grundsätzlich zu vernehmen gewesen (vgl. § 386 Abs. 3 ZPO).

Anderes ergibt sich auch nicht aus § 383 Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht selbst dann, wenn ein nach § 383 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 ZPO zeugnisverweigerungsberechtigter Zeuge zur Aussage bereit ist, nur solche Fragen stellen bzw. zulassen, durch deren Beantwortung der Zeuge nicht erkennbar gegen Verschwiegenheitspflichten verstößt […]. Regelmäßig beschränkt die Vorschrift mithin allein den Kreis der im Rahmen einer Vernehmung zulässigen Fragen, macht aber die Vernehmung des angebotenen Zeugen als solche weder unzulässig noch entbehrlich […].

Ob – ausnahmsweise – anderes gelten kann, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass der Zeuge mit jeder Aussage zum Beweisthema gegen seine Schweigepflicht verstieße, kann offenbleiben. Denn eine solche Konstellation ist im Streitfall […] hinsichtlich der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 9 Abs. 1 Satz 1 KWG ergebenden Verschwiegenheitspflicht [nicht] gegeben.

Die sich aus § 8 WpHG und § 9 KWG ergebende und von § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO geschützte Verschwiegenheitspflicht der Zeugen […] ist nicht allumfassend. Sie greift ihrem Schutzzweck entsprechend nur, wenn Geheimhaltungsinteressen der beaufsichtigten Marktteilnehmer oder sonstiger Dritter betroffen sind […]. Über Tatsachen, deren Geheimhaltung […] im Interesse eines Dritten liegt, insbesondere über dessen personenbezogene Daten (§ 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG), dürfen die Zeugen deshalb nur aussagen, wenn und soweit der Dritte in die Offenbarung eingewilligt hat. Das gilt insbesondere für identifizierende Angaben über einzelne von der Stichprobe erfasste ehemalige Kunden […].

Den Zeugen ist es dadurch aber insbesondere nicht verwehrt, in anonymisierter Weise über die Zusammensetzung der von ihnen geprüften Depots sowie ihr Vorgehen bei der Prüfung selbst zu berichten. Dass dem Berufungsgericht entsprechende Angaben der Zeugen genügt hätten, sich davon zu überzeugen, dass die unter Beweis gestellten Behauptungen des Klägers zutreffen, ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.“

Und dann folgt noch eine „Segelanweisung“ unter Hinweis darauf, dass das Gericht über das Zeugnisverweigerungsrecht ggf. gemäß §§ 387 ff. ZPO durch Zwischenurteil entscheiden müsse.

Anmerkung

Der Entscheidung lassen sich m.E. zwei wichtige und im Übrigen auch in anderen Prozessordnungen geltende Aussagen entnehmen:

1.) Spezialgesetzliche Verschwiegenheitspflichten begründen nicht stets eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gem. § 376 ZPO. Dient die Regelung nicht öffentlichen Geheimhaltungsinteressen, sondern schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen Dritter, ist von einem Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen gem. § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO auszugehen, mit der Möglichkeit einer Schweigepflichtentbindung gem. § 385 Abs. 2 ZPO. So ist beispielsweise begründet beispielsweise auch die Verschwiegenheitspflicht des Notars gem. § 18 BNotO lediglich ein Zeugnisverweigerungsrecht (vgl. BGH, Beschluss vom 09.12.2004 - IX ZB 279/03).

2.) Bei einem Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen i.S.d. § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO ist stets genau zu prüfen, wen die Verschwiegenheitspflicht schützen soll und inwieweit dessen Interessen durch eine Aussage beeinträchtigt wären. Über die Berechtigung zur Zeugnisverweigerung ggf. durch Zwischenurteil zu entscheiden.

tl;dr: Die sich aus §§ 8 WpHG, 9 KWG ergebende Verschwiegenheitspflicht stellt keine unter § 376 Abs. 1 ZPO fallende Pflicht zur Amtsverschwiegenheit dar, kann aber ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383Abs. 1 Ziff. 6 ZPO begründen. Inwieweit dies den Zeugen von seiner Aussagepflicht entbindet, ist jeweils im Einzelfall genau zu prüfen.

 Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Urteil v. 16.02.2016 – VI ZR 441/14. Foto: Tobias Helferich | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0