BGH: Von § 29c Abs. 1 ZPO zu Lasten des Verbrauchers abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Entscheidungen zur örtlichen Zuständigkeit sind eher selten. Das Urteil des BGH vom 30.10.2014 – III ZR 474/13 zur Abdingbarkeit von § 29c Abs. 1 ZPO ist jedoch für die Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen und dürfte auch praktisch von größerer Relevanz sein.

Sachverhalt

In dem Rechtsstreit machte der Kläger gegen die in Liechtenstein ansässige Beklagte Ansprüche aus einem Vermögensverwaltungsvertrag geltend. Der Vertrag unterlag liechtensteinischem Recht; Erfüllungsort und Gerichtsstand sollten in Vaduz sein. Der Beklagten sollte es aber freistehen, ihre Ansprüche auch am Wohnsitz des Beklagten oder bei jedem anderen zuständigen Gericht geltend zu machen.

Der Kläger behauptete nun ein Haustürgeschäft, widerrief seine zum Vertragsschluss führende Willenserklärung und klagte an seinem Wohnsitzgericht auf Rückzahlung. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen die Klage als unzulässig ab, da die Parteien wirksam die Zuständigkeit der liechtensteinischen Gerichtsbarkeit vereinbart hätten. Diese Vereinbarung stehe einer Zuständigkeit der angerufenen deutschen Gerichte entgegen.

Zum Verständnis der Entscheidungen sollte man sich kurz die verschiedenen Arten von Gerichtsständen gegenwärtigen. Es gibt allgemeine Gerichtsstände am Sitz (§ 17 ZPO) bzw. Wohnsitz (§ 13 ZPO) des Beklagten. Zudem gibt es besondere Gerichtsstände für bestimmte Arten von Rechtsstreitigkeiten. Diese besonderen Gerichtsstände können eine ausschließliche Zuständigkeit begründen (z.B. § 29a ZPO für Mietsachen) oder dem Kläger als Wahlgerichtsstände weitere Möglichkeiten eröffnen (z.B. gem.  § 29 ZPO am Erfüllungsort oder gem. § 32 ZPO am Deliktsort). Gem. §§ 38 ff. ZPO können die Parteien unter den dort genannten Voraussetzungen Vereinbarungen über die gerichtliche Zuständigkeit treffen.

Zum Verständnis dürfte es außerdem helfen, § 29c ZPO einmal vollständig und genau zu lesen. § 29c Abs. 1 ZPO statuiert in Satz 1 einen Wahlgerichtsstand am Wohnort des Verbrauchers. Satz 2 bestimmt, dass dieser Gerichtsstand für Klage gegen den Verbraucher ausschließlich gilt. Abs. 3 bestimmt, dass abweichende Vereinbarungen zulässig sind, wenn der Verbraucher keinen Wohnsitz in Deutschland hat. Das war hier nicht erkennbar.

Die Vorinstanzen hatten § 29c Abs. 3 ZPO wohl gar nicht geprüft, sondern die Vereinbarung lediglich an den allgemeinen Vorschriften zur Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen gemessen (§§ 38-40 ZPO). Nach § 38 Abs. 1 ZPO sind Gerichtsstandsvereinbarungen unter Einbeziehung von Verbrauchern grundsätzlich nicht möglich. § 38 Abs. 2 ZPO macht davon aber eine Ausnahme, mindestens eine der Vertragsparteien keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat. Das war hier der Fall, denn die Beklagte hatte ihren allgemeinen Gerichtsstand ja in Liechtenstein. Und § 40 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 ZPO stand nicht entgegen. Denn es klagte ja der Verbraucher und nach § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO ist der Gerichtsstand nur für Klagen gegen Verbraucher ausschließlich. Insoweit war die Argumentation der Vorinstanzen also durchaus überzeugend.

Entscheidung

Nach Ansicht des BGH steht § 29c Abs. 3 ZPO aber einer abweichenden Gerichtsstandsvereinbarung entgegen. Das begründet der BGH mit einer fast schulbuchmäßigen Auslegung der Vorschrift:

„Der Gerichtsstand für Klagen des Verbrauchers ist in § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO als besonderer Gerichtsstand ausgestaltet, um dem Verbraucher zugleich die Möglichkeit zu erhalten, am allgemeinen Gerichtsstand der anderen Vertragspartei und am Erfüllungsort zu klagen […].

Die Ausgestaltung des § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO als besonderer Gerichtsstand bedeutet indes nicht, dass Gerichtsstandsvereinbarungen, durch die dieser Gerichtsstand derogiert wird, gesetzlich nicht begrenzt beziehungsweise ausgeschlossen sein können. Letzteres erfolgt in § 29c Abs. 3 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist die streitgegenständliche Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig.

a) Nach § 29c Abs. 3 ZPO ist eine von § 29c Abs. 1 ZPO abweichende Vereinbarung zulässig für den Fall, dass der Verbraucher nach Vertragsschluss seinen Wohn- oder Aufenthaltsort ins Ausland verlegt oder sein Wohn- und Aufenthaltsort im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist. Die Vorschrift erlaubt damit für den von ihr genannten Fall in Abweichung von § 29c Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung […].

b) Hierin erschöpft sich der Regelungsgehalt des § 29c Abs. 3 ZPO jedoch nicht. Vielmehr wird durch die Vorschrift jenseits der dort genannten Ausnahmen jegliche von § 29c Abs. 1 ZPO, das heißt auch von – wie vorliegend – § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichende Vereinbarung ausgeschlossen […].

aa) Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut von § 29c Abs. 3 ZPO, der sich uneingeschränkt auf den gesamten Absatz 1 von § 29c ZPO und nicht nur auf dessen Satz 2 bezieht […]. Zwar betreffen die in § 29c Abs. 3 ZPO geregelten Fallkonstellationen, in denen ausnahmsweise eine abweichende Vereinbarung zulässig ist, Klagen gegen den Verbraucher und mithin § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO. Daraus folgt indes nicht, dass sich § 29c Abs. 3 ZPO insgesamt nur auf § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO bezieht.

bb) Auch Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Norm sprechen für eine Auslegung von § 29c Abs. 3 ZPO dahingehend, dass Gerichtsstandsvereinbarungen, die für Klagen des Verbrauchers von § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichen, nicht zulässig sind.

(1) Die […] Vorschrift des § 29c ZPO ist an die Stelle von § 7 des Gesetzes über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG) […] getreten […]. Nach § 7 Abs. 1 HWiG war das Gericht für Klagen aus Haustürgeschäften ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Kunde zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Für Klagen des Verbrauchers galt mithin ein ausschließlicher Gerichtsstand, der nach § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht derogiert werden konnte. Sinn und Zweck des ausschließlichen Gerichtsstandes nach § 7 Abs. 1 HWiG war es, den Verbraucher davor zu schützen, seine Rechte im Wege der Klageerhebung an einem unter Umständen weit entfernt liegenden Gericht geltend machen zu müssen […].

(2) Durch die Neufassung von § 7 Abs. 1 HWiG in § 29c Abs. 1 ZPO sollte der Verbraucher in gleicher Weise wie bisher geschützt werden und zusätzlich die Möglichkeit erhalten, am allgemeinen Gerichtsstand der anderen Vertragspartei und am Erfüllungsort zu klagen […]. Mit der somit vom Gesetzgeber ausdrücklich angestrebten Aufrechterhaltung des bisherigen Schutzniveaus wäre es indes nicht vereinbar, wenn durch die Neufassung nunmehr – entgegen § 7 Abs. 1 HWiG – dem Vertragspartner des Verbrauchers die Möglichkeit eröffnet würde, durch eine Gerichtsstandsvereinbarung dem Verbraucher den Gerichtsstand des § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO zu nehmen und ihn auf diese Weise dazu zu zwingen, seine Rechte an einem unter Umständen weit entfernt liegenden Gericht geltend machen zu müssen […]. Hierdurch würde der Schutz des Verbrauchers im Verhältnis zur bisherigen Rechtslage nicht erweitert, sondern eingeschränkt.

Der Sinn und Zweck dieser ursprünglich spezialgesetzlichen Regelung besteht auch nach ihrer Einfügung in die Zivilprozessordnung unverändert darin, den Verbraucher im Prozessfall davor zu bewahren, seine Rechte bei einem möglicherweise weit entfernten Gericht geltend machen zu müssen […].

Dieser fortbestehende Zweck und die vom Gesetzgeber beabsichtigte Aufrechterhaltung des Schutzniveaus des § 7 Abs. 1 HWiG unter gleichzeitiger Eröffnung zusätzlicher Gerichtsstände werden nur durch eine Auslegung von § 29 Abs. 3 ZPO dahingehend gewährleistet, dass der bisherige, durch § 7 Abs. 1 HWiG eröffnete Gerichtsstand für den Verbraucher erhalten bleibt und weiterhin nicht derogiert werden kann, von § 29c Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichende Vereinbarungen mithin nicht zulässig sind.“

Klingt ziemlich überzeugend, finde ich. tl;dr: § 29c Abs. 3 ZPO ist zukünftig mit einem „nur“ vor dem „zulässig“ zu lesen. Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil vom 30.10.2014 – III ZR 474/13. Foto: Tobias Helfrich, Karlsruhe bundesgerichtshof alt, CC BY-SA 3.0