Entscheidung
Auch der Bundesgerichtshof hält die Zeugnisverweigerung für rechtmäßig:
„a) Der weitere Beteiligte ist als geschiedener Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO […] zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt. Nach dieser Vorschrift hat der Ehegatte einer Partei, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht, ein Zeugnisverweigerungsrecht.
Diese Regelung findet nach ihrem Sinn und Zweck entsprechende Anwendung, wenn die Partei eine juristische Person ist und der Zeuge, wie im vorliegenden Fall, Ehegatte des gesetzlichen Vertreters dieser Partei ist oder war […].
Der Weigerungsgrund des § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO beruht auf der Überlegung, dass ein Zeuge, der mit einer der Parteien familiär verbunden ist, mit großer Wahrscheinlichkeit in einen Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme gerät, wenn er über Tatsachen aussagen soll, die für den Angehörigen nachteilig sind. Ein solcher Zeuge soll weder durch eine wahre Aussage zu Ungunsten des Angehörigen die Integrität der Familie gefährden, noch aus Rücksicht auf den Angehörigen falsch aussagen. Das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO schützt mit der Familie den Bereich, der typischerweise zur engeren Privatsphäre des Zeugen gehört […].
Dieser Regelungszweck rechtfertigt es, § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch dann anzuwenden, wenn der Zeuge nicht Ehegatte einer Partei ist, sondern wenn die Partei eine juristische Person ist und der Zeuge Ehegatte des gesetzlichen Vertreters dieser juristischen Person ist oder war. In diesem Fall befindet sich der Zeuge in einem vergleichbaren Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und familiärer Rücksichtnahme wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Der weitere Beteiligte als früherer Ehegatte der Geschäftsführerin der beklagten GmbH ist mithin entsprechend § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.
b) Die Rechtsbeschwerde macht ohne Erfolg geltend, das Zeugnisverweigerungsrecht, das dem Zusammenhalt der Familie diene, könne diese Zweckbestimmung in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die Ehe längst geschieden sei, nicht mehr erfüllen. Eine Zweckbestimmung, die nicht mehr erfüllt werden könne, rechtfertige eine entsprechende Anwendung der Norm nicht. Außerdem liege es auf der Hand, dass der weitere Beteiligte als Zeuge nichts bekunden könne, was er aufgrund seiner früheren Ehe erfahren habe. Seine Ehefrau sei nämlich erst nach der Scheidung der Ehe Geschäftsführerin der Beklagten geworden.
Diese Einwände greifen nicht durch. Dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nach Scheidung der Ehe fortbesteht, ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Vorschrift. Im Übrigen ist es ohne Einfluss auf das Recht zur Zeugnisverweigerung, ob der nach § 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zur Zeugnisverweigerung berechtigte Zeuge bei seiner Aussage tatsächlich in den beschriebenen Konflikt geraten würde […].“
Anmerkung
Ehrlich gesagt erschien mir die Frage vor Lektüre der Entscheidung so eindeutig, dass ich sie gar nicht in einem Kommentar nachgeschlagen hätte – ich hätte das Zeugnisverweigerungsrecht ohne Weiteres bejaht. Denn m.E. braucht es die vom BGH bemühte Analogie gar nicht: Denn die juristische Person „lebt" bzw. handelt ohnehin nur durch ihre Organe (vgl. § 31 BGB), so dass nicht auf die juristische Person selbst, sondern auf deren Organvertreter abzustellen ist.
Die Frage der (entsprechenden) Anwendung ist in der Literatur aber sehr umstritten, eine entsprechende Anwendbarkeit von § 383 Abs. 1 Nrn. 1-3 ZPO in Fällen wie dem hier vorliegenden verneinen beispielsweise MünchKommZPO/Damrau, § 383 Rn. 11, Musielak/Voit/Huber, § 383 Rn. 2 und BeckOK-ZPO/Scheuch, § 383 Rn. 13 (allerdings sämtlich ohne nähere Begründung).
Die Ausführungen des BGH dürften im Übrigen entsprechend auch für die weiteren auf verwandtschaftlichen Verhältnissen beruhenden Zeugnisverweigerungsrechte in § 383 Abs. 1 Nr. 1, 2a und 3 und damit auch für § 384 Nr. 1 und 2 ZPO gelten.
Update v. 29.11.2015: Dem Zeugen hätte nach wohl überwiegender Ansicht ein Zeugnisverweigerungsrecht auch aus seiner Stellung als „Zeuge in eigener Angelegenheit" zugestanden (s. Uhlenbruck/Mock, § 80 Rn. 23; Nerlich/Römermann/Kruth/Wittkowski, § 80 Rn. 32; m.E. zu Recht ablehnend aber Jaeger/Windel, § 80 Rn. 166). Das hat aber wohl im gesamten Verfahren niemand gesehen, auch nicht der BGH (dankenswerter Weise aber ein Leser, s. die Kommentare unten).
tl;dr: § 383 Abs. 1 Nr. 1-3 ZPO sind entsprechend anwendbar, wenn eine verwandtschaftliche Beziehung des Zeugen zu einem Mitglied des Vertretungsorgans einer am Rechtsstreit beteiligten juristischen Person besteht.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – XI ZB 6/15. Foto: Tobias Helferich | wikimedia |
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