BGH zur Befangenheit eines früheren Privatsachverständigen

Ablehnungsgesuche werden im Zivilprozess wohl deutlich häufiger gegen Sachverständige gestellt, als gegen Mitglieder des erkennenden Gerichts. Nicht selten wird die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit dabei nicht mit einem Verhalten des Sachverständigen im Rahmen der Begutachtung begründet, sondern mit dessen vorangegangener Tätigkeit als Privatsachverständiger. Eine der insoweit seit Langem umstrittene und äußerst praxisrelevante Frage hat nun der VI. Zivilsenat des BGH mit Beschluss vom 10.01.2017 – VI ZB 31/16 beantwortet.
Sachverhalt
Der Kläger verlangte von der Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens, weil die von der Beklagten hergestellte und ihm implantierte Hüftgelenksprothese mangelhaft sei. Den vom Gericht benannten Sachverständigen lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, dieser habe in einem gleich gelagerten Rechtsstreit ein entgeltliches Privatgutachten über eine Prothese derselben Baureihe erstellt. Dabei habe er die Mangelhaftigkeit der Prothese bejaht. Landgericht und Oberlandesgericht wiesen das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück.

Nicht nur Richter, sondern auch Sachverständige können gem. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Das ist der Fall, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen. Grund dafür ist, dass der Sachverständige „Gehilfe“ des Gerichts ist und als solcher ebenfalls unparteiisch sein muss. Ein solches Ablehnungsgesuch muss gem. § 406 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustellung des Bestellungsbeschlusses angebracht werden; danach ist eine Ablehnung nur noch möglich, wenn die Partei glaubhaft macht, von dem Ablehnungsgrund erst nachträglich erfahren zu haben. Gem. § 406 Abs. 3 ZPO muss der Ablehnungsgrund in dem Ablehnungsantrag glaubhaft gemacht (§ 294 ZPO) werden (vgl. § 44 Abs. 2 ZPO). Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht gem. § 406 Abs. 4 ZPO durch Beschluss. Wird das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt, steht dem Ablehnenden dagegen gem. § 406 Abs. 5 ZPO die sofortige Beschwerde zu. Begründet ist das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen nicht erst, wenn der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Schon der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein fehlender Neutralität rechtfertigt die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit. Fraglich war daher hier, ob die vorherige Tätigkeit des Sachverständigen als Privatgutachter in einem Parallelprozess die Besorgnis begründete, er könne die von ihm im Rechsstreit zu beantwortende Frage nicht unvoreingenommen beantworten.
Entscheidung
Der BGH hat den Beschluss des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen:

„Hat der Sachverständige für einen nicht unmittelbar oder mittelbar am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einem gleichartigen Sachverhalt erstattet, so wird die Frage einer daraus herleitbaren Besorgnis der Befangenheit unterschiedlich beurteilt.

Die wohl überwiegende Meinung bejaht in diesen Fällen – teilweise unter der Voraussetzung, dass die Interessen des Dritten denen der ablehnenden Partei in gleicher Weise wie die der anderen Partei entgegengesetzt sind – einen Ablehnungsgrund […]. Nach anderer Ansicht soll eine solche Fallgestaltung für die Annahme eines Ablehnungsgrundes nicht ausreichen […].

Der Senat schließt sich der erstgenannten Meinung an. Zwar hat ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auch Privatgutachten unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Trotz dieser objektiven Pflichtenlage ist vom Standpunkt des Ablehnenden die Befürchtung, der Gutachter könnte sich jedenfalls in Zweifelsfällen und auf der Grundlage der Angaben seines Auftraggebers für ein diesem günstiges Ergebnis entscheiden, nicht als unvernünftig von der Hand zu weisen. Dass Zweifelsfälle bei der Begutachtung von Medizinprodukten gänzlich ausgeschlossen sind, ist […] nicht anzunehmen.

Vor allem aber steht auch bei vernünftiger Betrachtung aus Sicht des Ablehnenden die Befürchtung im Raum, der Sachverständige werde nicht geneigt sein, bei der gerichtlich angeordneten Begutachtung von seinem früheren Privatgutachten abzuweichen oder sich gar in Widerspruch zu diesem zu setzen.

Zwar kann von einem Sachverständigen erwartet werden, dass er bereit ist, seine zuvor gewonnene Überzeugung zu überprüfen und, wenn nötig, zu korrigieren. Aus diesem Grund ist die Ablehnung eines gerichtlich beauftragten Sachverständigen, der in einem anderen Verfahren ebenfalls als Gerichtssachverständiger ein Gutachten erstattet hat, nicht gerechtfertigt […].

Anders als im Falle seiner gerichtlichen Beauftragung ist der Sachverständige aber im Falle seiner Beauftragung mit einem Privatgutachten mit einer der an der jeweiligen Streitigkeit beteiligten Personen vertraglich verbunden. Beurteilt er den Sachverhalt, der Gegenstand des Privatgutachtens war, später anders, so setzt er sich möglicherweise dem – gleich ob berechtigten oder unberechtigten – Vorwurf seines Auftraggebers aus, das Privatgutachten nicht ordnungsgemäß erstattet oder sonstige vertragliche Pflichten verletzt zu haben. Diesem Vorwurf seines Auftraggebers kann er sich auch dann ausgesetzt sehen, wenn an der Streitigkeit, in der er später als Gerichtssachverständiger tätig wird, andere Personen beteiligt sind, es aber um einen gleichartigen Sachverhalt und eine gleichartige Fragestellung geht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren.

Die Möglichkeit eines Konflikts des Sachverständigen zwischen Rücksichtnahme auf den früheren Auftraggeber und der Pflicht zu einer von der früheren Begutachtung losgelösten, objektiven Gutachtenerstattung im Auftrag des Gerichts ist geeignet, das Vertrauen des Ablehnenden in eine unvoreingenommene Gutachtenerstattung zu beeinträchtigen.“

Und die „Segelanweisung“ enthält dann auch noch einen sehr interessanten Hinweis:

„Sollten [die weiteren erforderlichen Feststellungen] ergeben, dass es sich um einen gleichartigen Sachverhalt handelt, so würde die damit begründete Besorgnis der Befangenheit nicht dadurch in Frage gestellt, dass nicht viele Sachverständige für das betroffene Sachgebiet zur Verfügung stehen und das Verhalten der Beklagten für den erhöhten Bedarf an Gutachten womöglich mitursächlich war.“

Anmerkung
Daraus lassen sich folgende Grundsätze für die Befangenheit von Sachverständigen ableiten, die bereits in gleicher oder ähnlicher Sache tätig waren:
  • Hat ein Sachverständiger als Gerichtsgutachter bereits ein Gutachten zu einer gleichgelagerten Fragestellung erstattet, begründet dies keine Besorgnis der Befangenheit (OLG München, Beschluss vom 23.04.1993 – 1 W 1374/93).
  • Hat der Sachverständige (oder ein Sozius) des Sachverständigen in derselben Sache für eine der Parteien ein Privatgutachten erstattet, ist eine Besorgnis der Befangenheit i.d.R. begründet (s. nur OLG Hamm, Beschluss vom 26.03.2014 – 32 W 6/14 mit Besprechung hier).
  • Hat ein Sachverständiger für Dritte ein Privatgutachten erstattet, begründet dies einen Ablehnungsgrund nur, wenn es a) um eine gleichartige Fragestellung handelt und b) die Interessen der jeweiligen Parteien in gleicher Weise kollidieren.
tl;dr: Ein Sachverständiger kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er für einen nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein entgeltliches Privatgutachten zu einer gleichartigen Fragestellung in einem gleichartigen Sachverhalt erstattet hat und wenn die Interessen der jeweiligen Parteien in beiden Fällen in gleicher Weise kollidieren. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 10.01.2017 – VI ZB 31/16. Foto: Immanuel Giel | wikimedia.org | gemeinfrei