BGH zur Berücksichtigung der notariellen Schweigepflicht bei Vorlageanordnungen gem. § 142 ZPO

BGH_Empfangsgebäude ComQuat wikimedia.org CC BY-SA 3.0Mit Urteil vom 17.07.2014 – III ZR 514/13 hat sich der BGH zu damit befasst, inwieweit die Verschwiegenheitspflicht eines Notars der Anordnung der Vorlage von Notarakten gem. § 142 Abs. 1 ZPO entgegensteht.

Sachverhalt

In dem Verfahren klagte eine Bank gegen einen Notar. Der Beklagte hatte zwei Kaufverträge über eine Immobilie beurkundet. Diese Immobilie hatte der Zwischenerwerber im Oktober 2007 für 80.000 EUR gekauft und dann im Juni 2008 für 235.000 EUR weiterverkauft. Die Klägerin hatte den späteren Kauf in Höhe von 232.500 EUR finanziert. Nachdem die Letzterwerber ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen waren, hatte die Klägerin für die Immobilie in der Zwangsversteigerung jedoch nur noch gut 50.000 EUR erhalten.

Die Klägerin behauptete nun (unter anderem), der Beklagte habe den Antrag auf Eigentumsumschreibung auf den Zwischenerwerber schon gestellt, bevor dieser den Kaufpreis an den ursprünglichen Eigentümer gezahlt habe. Seine eigene Kaufpreisschuld habe der Zwischenerwerber erst mit den von der Klägerin zur Verfügung gestellten Mitteln beglichen. Zum Beweis dieser Tatsache hatte die Klägerin beantragt, dem Beklagten aufzugeben, dessen Notarnebenakten oder jedenfalls die Anweisungen betreffend das Notaranderkonto vorzulegen.

Die Klägerin konnte den ihr obliegenden Beweis hier nur mit Urkunden führen, die nicht ihr sondern ihrem Prozessgegner zur Verfügung standen. Dafür sieht die ZPO grundsätzlich das förmliche Verfahren gem. §§ 421 ff. ZPO vor. Dabei hätte die Klägerin Beweis angetreten, indem sie den Antrag gestellt hätte, dem Kläger aufzugeben, diese Urkunden vorzulegen. Wäre der Beklagte dem nicht nachgekommen, hätte das Gericht die unter Beweis gestellte Tatsache gem. § 427 Satz 2 ZPO als bewiesen ansehen können. Nur setzt die Vorlageanordnung gem. §§ 421 ff. ZPO einen materiell-rechtlichen Herausgabeanspruch voraus. Ein solcher dürfte sich im Rahmen eines notariellen Treuhandauftrages aus §§ 666, 667 BGB ergeben.

Allerdings ging es hier um die Abwicklung des ersten Kaufvertrages über die Immobilie. Und hinsichtlich dieser standen die Parteien in keinerlei rechtlicher Beziehung, so dass auch kein Herausgabe- oder Vorlageanspruch bestand.

Die Klägerin konnte daher lediglich anregen, dem Beklagten die Vorlage dieser Urkunden gem. § 142 ZPO aufzugeben. Eine solche Anordnung ist grundsätzlich auch von Amts wegen möglich und soll es dem Gericht ermöglichen, sich selbst einen Überblick über den Streitstand zu verschaffen. Nach h.M. darf § 142 Abs. 1 ZPO auch zu Beweiszwecken dienen. Dabei erlaubt § 142 ZPO aber keine Amtsaufklärung; das Gericht darf einer vorgelegten Urkunde nichts entnehmen, was nicht eine Partei auch vorgetragen hat.

Ob das Gericht allerdings eine Vorlage gem. § 142 Abs. 1 ZPO anordnet, steht allein in dessen Ermessen und ist nur auf Ermessensfehler überprüfbar.

Das Landgericht und das Kammergericht hatten die begehrte Vorlageanordnung nicht erlassen und die Klage abgewiesen, da die Klägerin für ihre Behauptung beweisfällig geblieben sei.

Entscheidung

Auch vor dem BGH hatte die Klägerin keinen Erfolg. Zunächst „erläutert“ der BGH noch einmal § 142 ZPO:

„Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann das Gericht anordnen, dass eine Partei die sich in ihrem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Die Anordnung der Urkundenvorlegung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO steht im Ermessen des Gerichts. Bei seiner Ermessensentscheidung kann das Gericht den möglichen Erkenntniswert und die Verhältnismäßigkeit einer Anordnung, aber auch berechtigte Belange des Geheimnis- und Persönlichkeitsschutzes berücksichtigen.

Die Nichtbefolgung einer Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO ist nicht mit einer speziellen Sanktion belegt, sondern lediglich gemäß §§ 286, 427 Satz 2 ZPO frei zu würdigen. Die Handhabung des durch § 142 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens ist der revisionsgerichtlichen Kontrolle dabei weitgehend entzogen. Das Revisionsgericht hat aber anhand der Urteilsgründe zu überprüfen, ob der Tatrichter von einem ihm eingeräumten Ermessen überhaupt Gebrauch gemacht hat […].“

Ermessensfehler kann der BGH jedoch nicht erkennen:

„Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht sein Ermessen ausgeübt und dabei - rechtlich bedenkenfrei - wegen der Verschwiegenheitspflicht des Beklagten gemäß § 18 BNotO eine Anordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO abgelehnt. Die Verschwiegenheitspflicht des Notars dient allein dem Schutz des Beteiligten, den der Notar betreut hat […].

Zwar kann der Notar berechtigt sein, wegen eines rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) oder in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) auch ansonsten der Geheimhaltungspflicht unterliegende Umstände zu offenbaren. Einem derartigen Recht zur Aussage folgt aber nicht eine entsprechende Aussageverpflichtung […]. Im Rahmen der Ermessensentscheidung war es deshalb fehlerfrei, den Geheimhaltungsinteressen, auf die sich der Beklagte berufen hat, ausschlaggebendes Gewicht beizumessen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der sich weigernden Partei das Gesetz keine Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Urkundenvorlage vorsieht. Die Weigerung wäre allenfalls nach §§ 286, 427 ZPO frei zu würdigen, wobei auch bei dieser Würdigung das Geheimhaltungsgebot zu beachten gewesen wäre und sich daher die Weigerung der Vorlage nicht ohne Weiteres zum Nachteil des Beklagten hätte auswirken dürfen beziehungsweise müssen […].“

Zum Schluss erteilt der BGH der Klägerin noch einige „Ratschläge“, die mir angesichts des (nicht nur leicht dubios erscheinenden) Sachverhaltes allerdings relativ lebensfern erscheinen.

„Im Übrigen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei berücksichtigt, dass das Unterbleiben einer Anordnung nach § 142 ZPO nicht von vornherein die Klägerin in Beweisnot bringt. Sie kann die Verkäufer des vorangegangenen Kaufvertrags und den Zwischenerwerber K. als Zeugen benennen und diese im Rahmen der Zeugenvernehmung befragen. Zudem kann sie diese Personen selbst um eine Befreiung des Beklagten von der Verschwiegenheitspflicht bitten, so dass er sich nicht mehr hierauf berufen könnte.“

Anmerkung

Die Entscheidung halte ich im Ergebnis für vollkommen richtig, nur hinterlässt sie trotzdem einen ziemlich schalen Beigeschmack, denn sie zeigt das „Problem", das § 142 ZPO mit sich bringt:

Das Landgericht hätte sein Ermessen m.E. durchaus auch anders ausüben und den Beklagten zur Vorlage verpflichten können. Am Ende kann dann der Ausgang eines Verfahrens allein davon abhängen, wie das Gericht dieses Ermessen ausübt. Und das bringt das Gericht leicht in Willkürverdacht und könnte ein Einfallstor für - vielleicht gar nicht völlig von der Hand zu weisende - Ablehnungsanträge sein.

tl;dr: Bei der Frage, ob da Gericht eine Vorlage von Urkunden gem. § 142 ZPO anordnet, kommt dem Tatgericht ein erhebliches Ermessen zu, das nur auf Ermessensfehler überprüfbar ist. Dabei darf das Gericht auch die berufliche Verschwiegenheitspflicht einer der Parteien berücksichtigen.

Anmerkung/Besprechung, Urteil v. 17.07.2014 – III ZR 514/13.

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