OLG Braunschweig: Keine Bindungswirkung des Verfügungsverfahrens für Anspruch aus § 945 ZPO
- das Verfahren auf Erlass der einstweiligen Verfügung
- das Hauptsacheverfahren (das ebenfalls auf Unterlassung der Vermietung gerichtet gewesen wäre, zu dem es hier aber nicht gekommen war) und
- das hier gegenständliche Verfahren auf Ersatz des durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung entstandenen Schadens.
Entscheidung
Das Oberlandesgericht hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.„Nach § 945 ZPO ist eine Partei, die eine einstweilige Verfügung erwirkt, die sich später als von vornherein ungerechtfertigt erweist, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht.
Als von Anfang an ungerechtfertigt erweist sich eine Maßnahme, wenn der Verfügungsanspruch oder der Verfügungsgrund von vornherein fehlte. Maßgebend für den Verfügungsanspruch ist dabei die materielle Rechtslage zum Zeitpunkt des Schadensersatzprozesses, und für den Verfügungsgrund, ob die Annahme der Besorgnis einer Rechtsverletzung zur Zeit des Erlasses der einstweiligen Verfügung vom Standpunkt eines objektiven Beurteilers gerechtfertigt war (…).
Dabei ist das Gericht des Schadensersatzprozesses in der Beurteilung der anfänglichen Rechtfertigung der einstweiligen Verfügung grundsätzlich frei.
Die Frage, ob und inwieweit im Eilverfahren gemäß §§ 935 ff ZPO getroffene formell rechtskräftige Entscheidungen über den Verfügungsanspruch den Schadensersatzrichter im nachfolgenden Verfahren nach § 945 ZPO binden, ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Für den hier zu entscheidenden Fall der Bindungswirkung negativer summarischer Entscheidungen über den Verfügungsanspruch wurde nach der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen, dass der Schadensersatzrichter an die Eilentscheidung gebunden sei, wenn danach der Verfügungsanspruch von Anfang an nicht bestanden habe und deshalb die einstweilige Verfügung aufgehoben worden sei (…). Diese Auffassung wurde in erster Linie im Wesentlichen mit der Erwägung begründet, dass die Haftungsnorm des § 945 ZPO auch in dem Fall, dass sich die einstweilige Anordnung als von Anfang an ungerechtfertigt erweise, ein ausgesprochen formales Element enthalte. Der Anspruch sei an formale, leicht festzustellende Voraussetzungen geknüpft und verfolge den Grundsatz, dass derjenige, der von einem noch nicht endgültig rechtsbeständigen Titel Gebrauch mache, aber im weiteren Verlauf des Rechtsstreits unterliege, dem Gegner auch ohne Verschulden Schadensersatz zu leisten habe. Ob diese höchstrichterliche Rechtsprechung Fortgeltung beansprucht, ist offen. In den hierzu nachfolgend ergangenen Entscheidungen hat sich der Bundesgerichtshof nicht positioniert und weder an seiner bisherigen Rechtsprechung festgehalten noch die gegenteilige Ansicht bestätigt (…).
In Teilen der Rechtsprechung und in der weit überwiegenden Literatur wird demgegenüber die Auffassung vertreten, dass von vornherein keine Bindungswirkung für den Schadensersatzrichter an Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bestehe (…).
Hierfür wird angeführt, im summarischen Sicherungsverfahren stehe allein die Notwendigkeit der Sicherung der Rechtsstellung zum Zwecke der Rechtsverwirklichung im Hauptsacheverfahren in Frage, nicht aber die Rechtserkenntnis über das Bestehen oder Nichtbestehen des die zu sichernde Rechtsstellung begründenden Anspruchs im Hauptverfahren. Wenn aber – nach allgemeiner Meinung – eine Bindungswirkung im Rahmen des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens nicht bestehe, sei es systemwidrig, dass aufgrund der Vorverlagerung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens eine Bindung des Richters im Schadensersatzprozess angenommen werde.
Es gehe nicht an, zwischen dem eigentlichen Hauptsacheverfahren, für das das Eilverfahren unstreitig keinerlei Rechtskraftwirkung entfalte, und dem Schadensersatzprozess zu differenzieren. Maßgeblich für das Fehlen einer Bindungswirkung sei zudem, dass die Streitgegenstände von Eilverfahren und Schadensersatzprozess unterschiedlich seien. Jede im Eilverfahren über den geltend gemachten Anspruch getroffene Entscheidung sei notwendig eine vorläufige, die im Hauptsacheverfahren korrigiert werden könne, das gelte ebenso im nachfolgenden Schadensersatzprozess. Hinzu komme, dass im Eilverfahren weit geringere Beweisanforderungen (Glaubhaftmachung) gälten, während auf das Schadensersatzverfahren die Grundsätze des Strengbeweises Anwendung fänden. Schließlich würde die Annahme einer auf die Fälle ohne Hauptsacheentscheidung beschränkten materiellen Bindungswirkung den Gläubiger des Eilverfahrens letztlich dazu zwingen, ein ansonsten vermeidbares Hauptsacheverfahren allein deshalb durchzuführen, weil er nur auf diese Weise die Bindungswirkung der Entscheidung im summarischen Verfahren ausräumen könnte. Dies wäre dem anzunehmenden Parteiinteresse keineswegs förderlich.
Der Senat macht sich die nach eigener Prüfung und Bewertung die überzeugenden Gründe der letztgenannten Auffassung vor dem Hintergrund zu eigen, dass das summarische Verfahren eine geringere Richtigkeitsgarantie bietet und sich eine etwaige Verkürzung prozessualer Rechte sonst in unzulässiger Weise in einem ordentlichen Verfahren fortsetzen würde. Im Ergebnis ist entgegen der Auffassung der Klägerin deshalb eine Bindungswirkung an die Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu verneinen.
Die vor diesem Hintergrund vorzunehmende Prüfung des Verfügungsanspruches zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Amtsgerichts Goslar ergibt, dass den Beklagten ein Unterlassungsanspruch aus § 15 Abs. 3 WEG i.V.m. § 1004 BGB im Hinblick auf das Wohnungseigentum zustand. (…)“