BVerfG: Verstoß gegen § 937 Abs. 2 ZPO kann mit Verfassungsbeschwerde angreifbar sein
Entscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden im Ergebnis zwar nicht zur Entscheidung angenommen, die Ausführungen sind aber trotzdem bemerkenswert:„Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung wendet, haben sich die von ihr unmittelbar angegriffenen Beschlüsse erledigt.
Ein fortwirkendes Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Wiederholungsgefahr […]. Die Beschlüsse erschöpften sich in der Ablehnung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Die Beschwerdeführerin hat einen hierin liegenden Verstoß gegen Verfassungsrecht nicht substantiiert. Insbesondere hat sie nicht geltend gemacht, dass sie insoweit ein spezifisches Interesse an vorläufigem Vollstreckungsschutz gehabt habe, sondern beruft sich – hier wie vor den Fachgerichten – allein auf Gehörsverstöße bezüglich der insoweit zugrundeliegenden einstweiligen Verfügung.
Dass es insoweit aber auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt, wenn die Fachgerichte den Antrag auf die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 936, § 924 Abs. 3 Satz 2, § 707 ZPO nicht für geeignet halten, um unabhängig von einem sachlichen Vollstreckungsschutzinteresse mittelbar Grundrechtsverletzungen zu rügen, die sich auf die zugrundeliegenden einstweiligen Verfügungen beziehen, ist nicht ersichtlich.“
Damit hätte es schon sein Bewenden haben können. Die Kammer wollte aber offensichtlich noch etwas „loswerden“:„Auch soweit die Verfassungsbeschwerden so auszulegen sein sollten, dass die Beschwerdeführerin mittelbar eine Verletzung ihrer Grundrechte durch die ihrer Ansicht nach prozessrechtswidrig erlassenen einstweiligen Verfügungen selbst rügt, sind die Verfassungsbeschwerden unzulässig.
Eine gegen sie gerichtete Verfassungsbeschwerde kann jedenfalls zurzeit keinen Erfolg haben.
aa) Die gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlungen geheilt.
Die Funktionenteilung zwischen der Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit betraut zunächst die Fachgerichte mit der Korrektur bereits verwirklichter Grundrechtseingriffe […]. Im Besonderen – so auch hier – gilt das für die grundsätzlich mögliche Heilung von Gehörsverstößen durch nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs […]. Die Beschwerdeführerin hat selbst hervorgehoben, dass das Landgericht ihr im Zuge der auf ihren Widerspruch nach §§ 936, 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO veranlassten mündlichen Verhandlungen rechtliches Gehör gewähren würde. Insoweit war sie nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG von vornherein auf den Rechtsweg zu verweisen.
bb) Soweit die Beschwerdeführerin der Sache nach eine Verletzung ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG und auf ein faires Verfahren aus Art. 20 Abs. 3 GG durch die einstweiligen Verfügungen selbst rügt, sind ihre Verfassungsbeschwerden verfristet.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ihr vor Erlass der einstweiligen Verfügungen ohne sachlichen Grund und unter bewusster Umgehung ihrer prozessualen Rechte das rechtliche Gehör verwehrt würde, während das Landgericht zugleich der Antragstellerseite telefonische Hinweise erteile, die weder offen gelegt würden noch überhaupt rekonstruierbar seien. Das Landgericht verlasse sich dabei auf die von der Rechtsprechung für Eilfälle und Sondersituationen anerkannten Heilungsmöglichkeiten, um die Entscheidung entsprechend ständiger Praxis zunächst sehenden Auges unter Übergehung der prozessualen Rechte der Beschwerdeführerin zu treffen; hierdurch würden ihre Verteidigungsmöglichkeiten beeinträchtigt.
Die Verfassungsbeschwerden sind hinsichtlich dieser Rügen verfristet. Maßgeblich für den Fristbeginn ist insoweit der Zeitpunkt der Entscheidung über die einstweiligen Verfügungen. Die Rügen beziehen sich auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die einstweiligen Verfügungen selbst.
Dabei können die Verfügungen hinsichtlich der insoweit geltend gemachten Grundrechtsverletzungen vor den Fachgerichten aber nicht wirksam angegriffen werden. Zwar können die einstweiligen Verfügungen in Blick auf andere Rechtsverletzungen – materieller Art, aber auch wegen Verstoßes gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden und kann diesbezüglich möglicherweise auch ihre Aufhebung erreicht werden.
Die geltend gemachte Grundrechtsverletzung des bei Erlass der Verfügungen bewussten Übergehens prozessualer Rechte kann damit jedoch nicht beseitigt werden. Auch gibt es insoweit keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen Vorgehens zu erwirken.
Demzufolge kann aber eine Verfassungsbeschwerde in diesen Fällen unmittelbar gegen die einstweilige Verfügung selbst erhoben werden. Zwar kann auch die Verfassungsbeschwerde die gerügten Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie auf ein fortwirkendes Feststellungsinteresse gestützt werden kann.
Die für eine unmittelbar gegen die einstweiligen Verfügungen gerichtete Verfassungsbeschwerde geltende Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG ist indes abgelaufen.“