LG Mannheim: § 269 Abs. 6 ZPO gilt nicht für Kosten des vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzes

Insbesondere für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes dürfte das Urteil des LG Mannheim vom 12.12.2017 – 2 O 111/17 interessant sein. Darum geht es um die Reichweite von § 269 Abs. 6 ZPO und dessen Anwendbarkeit bei einem dem Klageverfahren vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.

Sachverhalt

Die Klägerin nahm die Beklagte wegen angeblicher Patenverletzung u.a. auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch. Vor Klageerhebung hatte die Klägerin wegen des identischen Verletzungsvorwurfs den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, diesen Antrag aber zurückgenommen. Die Kosten des Verfahrens hatte das Landgericht auf Antrag der Beklagten der Klägerin auferlegt, die diese jedoch noch nicht an die Beklagte erstattet. Die Beklagte berief sich deshalb im Klageverfahren auf § 269 Abs. 6 ZPO.

Die Klägerin hatte hier zunächst im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung versucht, die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Diesen Antrag hatte sie jedoch zurückgenommen; mutmaßlich, weil es an der Eilbedürftigkeit fehlte. Auf Antrag der Beklagten hatte das Gericht deshalb die Kosten des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entsprechend § 269 Abs. 3, 4 ZPO (die auch im einstweiligen Rechtsschutz gelten) der Klägerin auferlegt. Ihren Anspruch auf Unterlassung verfolgte die Klägerin nun im Klagewege weiter. Allerdings hatte sie die Kosten der Beklagten (also insbesondere deren Anwaltskosten) aus dem einstweiligen Rechtsschutz dieser noch nicht erstattet. Die Beklagte berief sich deshalb auf die Vorschrift des § 269 Abs. 6 ZPO. Danach kann die beklagte Partei bei einer wiederholten Klageerhebung solange die Einlassung verweigern, bis ihr die Kosten des vorherigen Prozesses erstattet sind. Damit soll der Beklagte vor der Belästigung durch mehrfache Klagen bezüglich desselben Anspruchs bzw. Streitgegenstandes und den dadurch entsthenden Kosten geschützt werden. Die Vorschrift hat insbesondere zur Folge, dass gegen die beklagte Partei kein Versäumnisurteil ergehen kann, auch wenn sie ihre Verteidigungsbereitschaft nicht anzeigt (§ 331 Abs. 3 ZPO) oder im Termin nicht erscheint. Hat das Gericht der klagenden Partei eine Frist zur Kostenerstattung gesetzt und ist diese fruchtlos abgelaufen, ist die (neue) Klage als unzulässig abzuweisen. Allerdings hatte die Klägerin hier vorher nicht eine Klage gegen die Beklagte erhoben, sondern den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Deshalb stellte sich die Frage, ob auch in dieser Konstellation § 269 Abs. 6 ZPO anwendbar ist.

Entscheidung

Das Landgericht hat sich der Ansicht der Beklagten nicht angeschlossen:

„Die Einrede nach § 269 Abs. 6 ZPO greift nicht durch.

Wird eine zurückgenommene Klage von neuem angestellt, kann der Beklagte nach § 269 Abs. 6 ZPO die Einlassung auf die neue Klage verweigern, bis ihm die Kosten (der zurückgenommenen Klage) erstattet sind.

Diese Vorschrift mag zwar nicht nur in Ansehung von Klageverfahren, sondern auch mit Blick auf andere Verfahrensarten, namentlich im Rahmen von und betreffend einstweilige Verfügungsverfahren (entsprechend) anwendbar sein.

Der Beklagte kann die Einlassung auf eine Klage nach dieser Vorschrift aber nicht deshalb verweigern, weil der Kläger ihm die Kosten eines zurückgenommenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch nicht erstattet hat.

Schon dem Wortlaut nach setzt § 269 Abs. 6 ZPO voraus, dass das durch Rücknahme beendete und das neue Verfahren denselben Streitgegenstand („die Klage von neuem“) betreffen (…), woran es bei den hier in Rede stehenden unterschiedlichen Verfahrensarten fehlt. Ob auch ein Verhältnis der Präjudizialität genügen kann (…), bedarf hier keiner Erörterung, weil der Ausgang eines einstweiligen Verfügungsverfahrens für ein nachfolgendes Klageverfahren nicht vorgreiflich, insbesondere nicht bindend ist (…).

Eine erneute Klage im Sinn von § 269 Abs. 6 ZPO liegt auch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift jedenfalls nicht in einem nach Rücknahme eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung anhängig gemachten Hauptsacheverfahren. Dies gilt selbst dann, wenn in beiden Verfahren dieselben materiellen Ansprüche geltend gemacht werden.

Ein einstweiliges Verfügungsverfahren hat nicht denselben Streitgegenstand wie eine Klage (…). Es ist auf eine vom Klagebegehren abweichende Rechtsfolge gerichtet, indem es nicht auf die endgültige Zuerkennung des Verfügungsanspruchs, sondern dessen Sicherung oder vorläufige Regelung abzielt, mag diese auch (wie hier) als sogenannte Leistungsverfügung ausnahmsweise einer vorübergehenden Vorwegnahme der Hauptsache gleichkommen. Sein Erfolg hängt auch von zusätzlichen Voraussetzungen ab, namentlich vom Vorliegen eines Verfügungsgrunds. Dementsprechend steht außer Frage, dass beide Verfahrensarten (einstweiliger Verfügungsantrag und Klage) gleichzeitig anhängig sein können (siehe auch § 926 ZPO). Die Klägerin schließt daraus zutreffend, dass (erst recht) eine Kostenerstattungspflicht wegen Rücknahme eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung keine Auswirkungen auf das Klageverfahren haben kann.

Wollte man dem Beklagten in einem solchen Fall die Einrede des § 269 Abs. 6 ZPO zugestehen, stünde er insoweit besser, als es im Fall einer Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung möglich wäre. Denn letztere kann – selbst wenn sie unter Verneinung des Verfügungsanspruchs ergeht – eine (nachfolgende) Klage weder unter dem Gesichtspunkt eines Wiederholungsverbots noch mit Blick auf entstandene Kostenerstattungsansprüche verhindern. Für eine bessere Stellung des Beklagten nach Antragsrücknahme bestünde keine sachliche Rechtfertigung. Der Zweck des § 269 Abs. 6 ZPO kann nämlich nur eingreifen, wenn der Beklagte durch eine Sachentscheidung im vorangegangen Verfahren vor einer erneuten Inanspruchnahme (oder zumindest deren Erfolgsaussicht) geschützt gewesen wäre (…). Er liegt nämlich darin, den Beklagten davor zu bewahren, dass er demselben Kostenaufwand aufgrund einer – wegen Rücknahme der ersten Klage möglichen – erneuten Inanspruchnahme zweimal ausgesetzt ist (…). Insoweit sind einstweiliges Verfügungsverfahren und Klageverfahren voneinander unabhängig. Der zusätzliche Kostenaufwand für eine dem Verfügungsantrag nachfolgende Klage ist hinzunehmen.“

Anmerkung

Das dürfte ohne Frage überzeugend sein, soweit es um eine direkte Anwendung von § 269 Abs. 6 ZPO geht. Zu oberflächlich – oder zu unstrukturiert? – ist die Entscheidung m.E. aber, soweit es um eine entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift geht. Jedenfalls die dafür erforderliche vergleichbare Interessenlage wird man nämlich durchaus bejahen können, weil die beklagte Partei in ähnlicher Weise schutzwürdig ist. Dem steht auch insbesondere nicht die wenig überzeugende Argumentation im letzten Absatz der Entscheidung entgegen: Denn durch eine Sachentscheidung im ersten Prozess ist die Partei keinesfalls immer vor einer erneuten Inanspruchnahme geschützt. So kann § 269 Abs. 6 ZPO die beklagte Partei beispielsweise auch nicht vor einer erneuten Inanspruchnahme schützen, wenn die Klage („im ersten Versuch“) als unzulässig oder als derzeit unbegründet abgewiesen wird (s. zu letzterem OLG Oldenburg, Urteil vom 03.09.1997 –2 U 147/97). Bleibt die Frage nach der planwidrigen Regelungslücke, die aber ja bekanntermaßen nicht selten auch die Frage ist, ob das Gericht die Analogie „will“. tl;dr: Der Beklagte kann die Einlassung auf eine Klage nach § 269 Abs. 6 ZPO nicht deshalb verweigern, weil der Kläger ihm die Kosten eines zurückgenommenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung noch nicht erstattet hat. (Leitsatz des Gerichts) Anmerkung/Besprechung, LG Mannheim, Urteil vom 12.12.2017 – 2 O 111/17. Foto: Immanuel Giel | wikimedia.org | gemeinfrei