Entscheidung durch Beschluss oder Urteil - das ist hier die Frage!

Mit einer schon länger umstrittenen Frage des einstweiligen Rechtsschutzes hat sich das OLG Karlsruhe mit Beschluss vom 15.11.2017 – 9 W 30/17 befasst. Darin geht es um die richtige gerichtliche Entscheidungsform, wenn das Gericht über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der einstweiligen Verfügung mündlich verhandelt.

Sachverhalt

Der Originalsachverhalt ist ziemlich komplex (und auch materiell-rechtlich interessant) und lässt sich für die Zwecke dieser Anmerkung wie folgt vereinfachen: Die Parteien – so das OLG – „beschäftigen sich seit vielen Jahren mit historischen Ferrari-Fahrzeugen“ und stritten um das Eigentum an einem „Ferrari Typ 500 Testarossa Spider Scaglietti“. Die Rechtslage war tatsächlich nicht ganz einfach, weil der Ferrari vor vielen Jahren gestohlen und dann – wortwörtlich – in mehreren Teilen wieder aufgetaucht war (u.a. wurde der Motor von der italienischen Polizei gefunden). Ursprünglich hatte der Ferrari im Eigentum des Antragstellers gestanden, nun befand er sich im Besitz der Antragsgegnerin, die behauptete, aufgrund verschiedener Verträge zwischen den Parteien inzwischen Eigentümerin zu sein. (Und die Vollkaskoversicherung meldete als Nebenintervenientin ebenfalls Ansprüche an). Der Antragsteller begehrte deshalb, der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Verfügung aufzugeben, das Fahrzeug an einen Gerichtsvollzieher als Sequester herauszugeben. Diesen Antrag hat das Landgericht durch Beschluss vom 20.07.2017 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, über die das Landgericht mündlich verhandelt und der es durch Beschluss vom 13.09.2017 nicht abgeholfen hat. Vor dem Oberlandesgericht verfolgt der Antragsteller nun seine Beschwerde weiter, wo er u.a. die Auffassung vertritt, das Landgericht hätte nach der mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden müssen. Gegen den Abhilfebeschluss hat er außerdem „weitere sofortige Beschwerde“ sowie hilfsweise Berufung eingelegt.

Der Fall führt tief in das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ist aber äußerst lehrreich. Das Gericht kann über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung durch Beschluss oder durch Urteil entscheiden. Ist der Antrag unzulässig, unschlüssig oder sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht glaubhaft gemacht, weist das Gericht den Antrag durch Beschluss zurück, ohne den Antragsgegner anzuhören, § 937 Abs. 2. Der Beschluss wird dem Antragsgegner nicht mitgeteilt, § 936 i.V.m. § 922 Abs. 3 ZPO. Liegen die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung hingegen vor, hat das Gericht die Wahl:
  • Ist die Sache in besonderem Maße eilbedürftig, erlässt das Gericht die begehrte einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners, und zwar durch Beschluss, § 937 Abs. 2 ZPO.
  • Ohne (ganz) besondere Eilbedürftigkeit i.S.d. § 937 Abs. 2 ZPO bestimmt das Gericht kurzfristig einen Termin zur mündlichen Verhandlung und lädt die Parteien. Kommt in dem Termin zur mündlichen Verhandlung keine Einigung zustande, entscheidet das Gericht durch (normales) Urteil, §§ 936 i.V.m. 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
(Die Beteiligten heißen übrigens zunächst „Antragsteller“ und „Antragsgegner“, sobald das Gericht mündlich verhandelt „Verfügungskläger“ und „Verfügungsbeklagter“.) Den Beschluss, mit dem der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wird, kann der Antragsteller – wie hier – gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO mit der sofortigen Beschwerde angreifen. Im Beschwerdeverfahren hat zunächst das Ausgangsgericht zu prüfen, ob der Beschwerde abzuhelfen ist, § 572 Abs. 1 ZPO. Ist dies der Fall, hat es der Beschwerde abzuhelfen, und zwar durch Beschluss, § 572 Abs. 4. Hier hatte das Landgericht – was selten vorkommt – auf die sofortige Beschwerde hin im Abhilfeverfahren mündlich verhandelt. Das kann es jederzeit, wie sich im Umkehrschluss aus gem. § 128 Abs. 4 ZPO ergibt. Allerdings stellte sich nunr die Frage, in welcher Form es danach entscheiden musste: Durch Urteil, weil §§ 937 Abs. 2, 936, 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO die spezielleren Vorschriften waren und das Gericht über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jetzt ja nach mündlicher Verhandlung entschied? Oder durch Beschluss, weil § 572 Abs. 4 ZPO vorrangig war, weil es sich um eine Entscheidung im Abhilfeverfahren handelte?

Entscheidung

Das Oberlandesgericht hat das Vorgehen des Landgerichts, trotz der mündlichen Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden, für richtig gehalten:

„a) Das Landgericht war berechtigt, nach Einlegung der sofortigen Beschwerde im Abhilfeverfahren mündlich zu verhandeln. Die Befugnis des Ausgangsgerichts, nach einer sofortigen Beschwerde mündlich zu verhandeln, ergibt sich aus § 128 Abs. 4 ZPO.

Bestimmte Entscheidungen (Urteile und andere Entscheidungen, in denen nach der Zivilprozessordnung eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist) können nur nach mündlicher Verhandlung ergehen. Für alle anderen Entscheidungen eines Gerichts gilt hingegen der Grundsatz der fakultativen mündlichen Verhandlung. Das heißt, dass eine mündliche Verhandlung vor jeder anderen Entscheidung des Gerichts nach der Zivilprozessordnung möglich, jedoch nicht vorgeschrieben ist. Mithin ist es zulässig, rechtliches Gehör beispielsweise auch bei Nebenentscheidungen, wie Kostenentscheidungen oder Berichtigungs-beschlüssen oder auch vor einer Abhilfeentscheidung in einem beliebigen Beschwerdeverfahren durch Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zu gewähren.

Der Umstand, dass über die Abhilfe nach einer sofortigen Beschwerde in der Regel ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ändert an der sich aus § 128 Abs. 4 ZPO ergebenden Befugnis nichts. (…). Die Frage, ob das Ausgangsgericht nach einer sofortigen Beschwerde vor der Abhilfeentscheidung eine mündliche Verhandlung durchführt, richtet sich nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Im vorliegenden Fall gab es für das Landgericht nachvollziehbare Erwägungen, mündlich zu verhandeln, um den Sachverhalt aufzuklären und um die Möglichkeit einer vergleichsweisen Lösung zu erörtern.

b) Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Abhilfeverfahren ändert nichts daran, dass das Landgericht durch Beschluss und nicht etwa durch Urteil zu entscheiden hatte. Die Form der Entscheidung des Landgerichts ergibt sich aus § 572 Abs. 1 ZPO. Bei einer sofortigen Beschwerde hat das Ausgangsgericht über die Frage der Abhilfe durch Beschluss zu entscheiden (…). Der Umstand, dass das Landgericht im Abhilfeverfahren von der Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung gemäß § 128 Abs. 4 ZPO Gebrauch gemacht hat, ändert am Gang des Abhilfeverfahrens und an der gebotenen Form der Entscheidung durch Beschluss nichts (…).

Die Gegenauffassung, die in derartigen Fällen eine Entscheidung des Ausgangsgerichts durch Urteil für erforderlich hält (…) übersieht, dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung im Abhilfeverfahren auch nach einer einstweiligen Verfügung auf § 128 Abs. 4 ZPO beruht, und nicht etwa auf den speziellen Vorschriften für den Arrest bzw. für die einstweilige Verfügung. § 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Entscheidung nach einer mündlichen Verhandlung durch Endurteil) findet keine Anwendung; denn das Landgericht hat über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung am 20.07.2017 ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die weitere Entscheidung vom 13.09.2017 war keine Entscheidung über „das Gesuch“ im Sinne von § 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sondern eine Entscheidung im Beschwerde-Abhilfeverfahren.

Für eine über den Wortlaut von § 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinausgehende Auslegung (Entscheidung durch Urteil auch nach einer mündlichen Verhandlung im Beschwerde-Abhilfeverfahren) besteht kein Anlass. Denn dies würde dem durch § 567 ff. ZPO vorgegebenen Charakter des Beschwerdeverfahrens widersprechen. Mit der Einlegung der sofortigen Beschwerde soll der Antragsteller gerade im Verfahren des Arrests und der einstweiligen Verfügung die Möglichkeit erhalten, eine möglichst schnelle Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch die höhere Instanz zu erreichen. Daher ist das Landgericht gemäß § 572 Abs. 1 ZPO in jedem Fall verpflichtet, die Beschwerde dem Oberlandesgericht vorzulegen, wenn es nicht selbst abhilft. Das Ausgangsgericht ist gemäß § 572 Abs. 1 ZPO nicht berechtigt, eine sofortige Beschwerde ohne Vorlage an das nächst höhere Gericht zurückzuweisen. Diesem Prinzip würde eine Entscheidung durch Urteil (nach mündlicher Verhandlung im Abhilfeverfahren) widersprechen.

Ob etwas anderes dann gelten kann, wenn im Verfahren der einstweiligen Verfügung mit einer Beschwerde erstmals neue Anträge gestellt werden (…) kann dahinstehen. Denn der Antragsteller verfolgt im Beschwerdeverfahren dasselbe Ziel wie mit seinem ursprünglichen Antrag (…).“

Anmerkung

Das kann man übrigens auch durchaus anders sehen, wie beispielsweise das OLG Hamburg (Urteil vom 27.02.2013 – 8 U 10/13 unter Bezugnahme auf MünchKommZPO/Drescher, § 922 Rn. 15). Gerade, wenn das Gericht tatsächlich abhilft und die Verfügung erlässt, ist das Ergebnis erstaunlich - eine aufgrund mündlicher Verhandlung durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung. Und die Frage ist auch praktisch relevant, und zwar nicht nur für das weitere Verfahren (Berufung gegen das Urteil oder Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens?), sondern beispielsweise auch für Fragen der Präklusion: Handelt es sich um eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung, ist Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr zu berücksichtigen (§ 296a ZPO), während im Abhilfeverfahren § 571 Abs. 2 und 3 ZPO gelten. Eine lesenswerte Darstellung der materiell-rechtlichen (versicherungsrechtlichen AGB-) Probleme, findet sich übrigens hier. tl;dr: Eine mündliche Verhandlung im Abhilfeverfahren ändert nichts daran, dass das Erstgericht - auch im Einstweiligen Rechtsschutz - durch Beschluss entscheidet und die sofortige Beschwerde dem Beschwerdegericht vorzulegen hat, wenn es nicht abhilft. (Leitsatz des Gerichts) Anmerkung/Besprechung, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15.11.2017 – 9 W 30/17. Foto: Andreas Praefcke | Karlsruhe OLG 2 | CC BY 3.0