Entscheidung
Der Kläger hatte (wohl entsprechend Art. 5 Ziff. 3 Rom-II-Verordnung) die Auffassung vertreten, der Ort des den Schaden verursachenden Ereignisses liege in Österreich. Denn das Fahrrad sei dort in den Verkehr gebracht worden, indem es dem Endnutzer in Form eines kommerziellen Vertriebs zur Verfügung gestellt worden sei.
Das überzeugt den EuGH jedoch nicht. Der EuGH führt zunächst aus, dass nach der Systematik der EuGVVO die Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaats des Beklagten die Regel sei. Die besonderen Zuständigkeitsregeln in Art. 5-7 der EUGVVO seien als Ausnahmen von dieser Regel eng auszulegen. Der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist" in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO sei so zu verstehen, dass er sowohl den Erfolgsort als auch den Handlungsort erfasse. In Produkthaftungsfällen sei auf den Handlungsort abzustellen, d.h. den Ort, an dem das betreffende Produkt hergestellt wurde.
„Da die räumliche Nähe zu dem Ort, an dem sich das Ereignis verwirklicht hat, das zu dem Schaden an dem Produkt selbst geführt hat, insbesondere aufgrund der Möglichkeit, dort die Beweise zum Nachweis der in Rede stehenden Fehlerhaftigkeit zu erheben, eine sachgerechte Gestaltung des Prozesses und mithin eine geordnete Rechtspflege erleichtert, steht die Zuweisung der Zuständigkeit an das Gericht, in dessen Bezirk dieser Ort liegt, im Einklang mit dem Sinn und Zweck der in Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen besonderen Zuständigkeit, dass nämlich zwischen der Streitigkeit und dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, eine besonders enge Verknüpfung besteht […].
Eine Zuweisung der Zuständigkeit an das Gericht des Ortes, an dem das in Rede stehende Produkt hergestellt wurde, entspricht darüber hinaus dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, da sowohl der beklagte Hersteller als auch der klagende Geschädigte vernünftigerweise vorhersehen können, dass dieses Gericht am besten in der Lage sein wird, über einen Rechtsstreit zu entscheiden, der u.a. die Feststellung einer Fehlerhaftigkeit dieses Produkts umfasst.
Daher ist festzustellen, dass in dem Fall, dass die Haftung eines Herstellers für ein fehlerhaftes Produkt geltend gemacht wird, der Ort des ursächlichen Geschehens der Ort ist, an dem das betreffende Produkt hergestellt wurde."
Das Interesse der geschädigten Person, vor den Gerichten desjenigen Mitgliedstaats klagen zu können, in dem sie wohnt, müsse zurücktreten. Denn Art. 5 Ziff. 3 EuGVVO bezwecke nicht, der schwächeren Partei einen verstärkten Schutz zu gewährleisten. Zudem erwerbe man Produkte nicht zwingend im eigenen Wohnsitzstaat, so dass die vom Kläger favorisierte Auslegung auch nicht stets dazu führe, dass die Gerichte seines Wohnsitzstaates zuständig seien.
Anmerkung
Auf den ersten Blick erscheint das Ergebnis wie ein Konjunkturprogramm für Gutachter: Denn zuständig ist nun zwar immer das Gericht am Herstellungsort, dies muss jedoch jeweils das Recht desjenigen Staats anwenden, in dem das Produkt erworben wurde (und das wird nicht selten das Recht eines anderen Mitgliedsstaats sein).
Trotzdem überzeugt das Ergebnis: Denn auf diese Weise ist die gerichtliche Zuständigkeit weitgehend vorhersehbar. Und die Unterschiede im anzuwendenden Recht dürften vergleichsweise gering sein. Denn das ProdHaftG und die entsprechenden Regelungen anderer Mitgliedsstaaten beruhen auf einer EG-Richtlinie. Und die anwendbaren Sicherheits- und Verhaltensregeln richten sich gem. Art. 17 Rom-II-Verordnung nach dem Recht des Herstellungsortes und sind daher unabhängig vom jeweiligen Recht identisch.
tl;dr: Im Anwendungsbereich der EuGVVO richtet sich die internationale Zuständigkeit für Produkthaftungsansprüche gem. Art. 7 Ziff. 7 EuGVVO n.F. (Art. 5 Ziff. 3 EuGVVO a.F.) nach dem Herstellungsort.
Anmerkung/Besprechung, EuGH, Urteil vom 16.01.2014 – C-45/13 Foto:
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