Fundstücke September 2016 - Untote und missverstandene Gesetzgebungsvorhaben, Textbaustein-Urteile am BGH

ZivilprozesSusanne Gerdom flickr CC BY-SA 2.0srecht

Das „untote Reformvorhaben im Zivilprozess” dürfte der Plan sein, englischsprachige Kammern für Handelssachen einzurichten. Den Vorschlag hat vor dem Hintergrund des besvorstehenden Brexits nun die Rechtsprofessorin Gisela Rühl in der FAZ erneut aufgegriffen. So könnte „im Windschatten des Brexits der Zugang zum deutschen Rechtssystem erleichtert und die internationale Attraktivität des Justizstandorts Deutschland gesteigert werden”. (Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde den Vorschlag äußerst sinnvoll, nehme aber Wetten an, dass eine solche Reform noch lange dauern wird, so sie denn überhaupt kommt.)

Klaus Ott zeigt sich in der Süddeutschen Zeitung enttäuscht, dass die Bundesregierung bei ihrem Reformvorhaben, Musterklagen für Verbraucher einzuführen, untätig bleibe. Ein Jahr sei mehr als genug, um die Voraussetzungen für eine Musterklage zu schaffen. Angesichts der Emsigkeit des BMJV mag das verwunderlich scheinen. Neben dem im Artikel implizierten Unwillen könnte die Verzögerung aber auch schlicht daran liegen, dass eine solche Regelung rechtstechnisch sehr schwierig umzusetzen ist.

Justizpolitik

Hohe Wellen schlägt nach wie vor das bereits auf den Weg gebracht Gesetzgebungsvorhaben, die Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte für Bild- und Tonübertragungen zu öffnen. Die Reichtweite des Vorhabens wohl nicht ganz erfasst hat die FAZ (Rheinhard Müller), die hysterisch „Recht im Zirkus“ titelt (Untertitel: „Heiko Maas will Live-Übertragung von Prozessen ermöglichen“ (!1!elf!)), zu berichten weiß, die „nun zulässigen Urteilsverkündungen dürften künftig mit launigen Bonmots gewürzt werden“, und schließt: „Live-Justiz wird in einer Manege mit Showmeistern, Clowns und Opfern spielen“. Deutlich sachlicher und ernstzunehmender antwortet darauf Frank Bräutigam auf blog.tagesschau.de und weist darauf hin, dass es auf Phoenix entsprechende Formate bei wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts schon gebe und beschreibt, wie diese aussehen. Mit Bezug zu den sich ebenfalls mit der Frage befassenden Beschlüssen des deutschen Juristentages berichten auch lto.de (Pia Lorenz) und sehr lesenswert deutschlandfunk.de (Gudula Geuther).

Der durch seine zeit-online-Kolumne zu erstaunlichem Ruhm gekommeneBundesrichter“ schreibt in seiner Kolumne vom 20.09.2016 über Justiz im Allgemeinen. Und die Ausführungen dazu sind trotz der wohl unvermeidlichen Rundumschläge seit Langem wieder sehr lesenswert.

In der Causa Schulte-Kellinghaus gibt es eher bemerkenswerte Neuigkeiten: Wie lto.de (Constantin Baron van Lijnden) berichtet, ist der Verhandlungstermin am 05.10.2016 aufgehoben worden, nachdem der Kollege den gesamten BGH-Senat wegen Befangenheit abgelehnt hat. Begründung: Die Pressemitteilung des BGH (leider auf der BGH-Homepage nicht mehr verfügbar, aber beispielsweise hier nachzulesen) sei zu kurz bzw. verkürzend und lasse nicht erkennen, worum es eigentlich gehe. Na dann.

BGH-Perle

Das auch am höchsten deutschen Zivilgericht Arbeitsersparnis eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich an einer ganzen Reihe von Beschlüssen des VI. Zivilsenats (u.a. VI ZR 115/15). Wohl um den Text nicht jedes mal an das Geschlecht der Parteien anpassen zu müssen, findet sich einfach ein: „(im Folgenden: klagende Partei)“.

Foto: Susanne Gerdom/Flaschenpost | flickr | CC BY-SA 2.0

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