Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat das Grundurteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen:
„aa) Das Berufungsgericht begründet das Vorliegen eines wesentlichen Mangel des Verfahrens des Landgerichts (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) mit der Erwägung, das Landgericht habe das Bestreiten der Beklagten zur Höhe des klägerischen Anspruchs übergangen.
Worauf das Berufungsgericht diese Feststellung stützt, wird nicht näher erläutert. Eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen in dem Tatbestand des Urteils des Landgerichts, die gemäß § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefern, fehlt. Das Landgericht hat es aber als unstreitig dargestellt, dass dem Kläger ein Schaden in Höhe von 69.166,07 € entstanden ist. Zur näheren Begründung der Schadenshöhe hat es ergänzend auf die Klageschrift Bezug genommen.
Einen Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes (§ 320 ZPO) haben die Beklagten nicht gestellt. Dass das Berufungsgericht gleichwohl ohne weitere Begründung von einem Bestreiten der Beklagten ausgegangen ist, lässt nur den Rückschluss zu, dass es den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und damit auch das Vorbringen der Parteien in der ersten Instanz entweder nicht zur Kenntnis genommen oder aber bei der Entscheidung nicht erwogen hat.
bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Beschwerdeerwiderung in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass einem Tatbestand keine Beweiswirkung zukommt, wenn er in sich widersprüchlich ist. Vorauszusetzen ist hierfür nämlich ein Widerspruch zwischen den tatbestandlichen Feststellungen und einem konkret in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vorbringen einer Partei […], an dem es hier fehlt.
Der weitere Hinweis der Beklagten, nach der Rechtsprechung des Senats […] hindere § 314 ZPO das Gericht nicht, den gesamten Streitstoff in den Grenzen der §§ 529 bis 531 ZPO zu berücksichtigen, ist unzutreffend. Richtig ist, dass einem Tatbestand keine negative Beweiskraft zukommt, so dass ein Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, nicht allein deshalb in dem Rechtsmittelverfahren unberücksichtigt bleiben kann, weil es in dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils keine Erwähnung gefunden hat.
Vorliegend geht es jedoch um die positive Beweiskraft des Tatbestands, die das Berufungsgericht zu beachten hat.“
Anmerkung
Kommt die Anfechtung eines Urteils ernsthaft in Betracht, läuft richtigerweise eine (wenn nicht gar in manchen Fällen die) entscheidende Rechtsmittelfrist nicht erst einen Monat sondern schon zwei Wochen nach Zustellung des Urteils ab, § 320 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO. Der Tatbestand des Urteils sollte daher unbedingt innerhalb von zwei Wochen auf unrichtige Feststellungen überprüft werden.
Bemerkenswert ist daneben übrigens einmal mehr, welche „Klimmzüge” der Bundesgerichtshof unternimmt, um § 544 Abs. 7 ZPO bejahen und unmittelbar aufheben und zurückverweisen zu können: Soweit sich dem Beschluss überhaupt eine Begründung für die Verletzung rechtlichen Gehörs entnehmen lässt, soll diese darin zu sehen sein, dass das Berufungsgericht die Ausführungen in der Berufungserwiderungsschrift zum Zeitpunkt des Bestreitens nicht zur Kenntnis genommen habe.
tl;dr: Der Tatbestand entfalte gem. § 314 ZPO positive Beweiskraft hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen. Diese entfällt nur, wenn der Tatbestand in sich widersprüchlich ist oder gem. § 320 ZPO auf Antrag berichtigt wurde.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 22.10.2015 – V ZR 146/14. Foto: David Brodbeck | wikimedia.org |
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