Ebenso wie die Vorinstanzen hält auch der Bundesgerichtshof den ordre public-Einwand der Schuldnerin für unbeachtlich. Denn die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel dürfe im Vollstreckungsstaat nicht in der Sache selbst nachgeprüft werden:
„Art. 21 EuVTVO eröffnet für die Gerichte des Vollstreckungsstaats die Möglichkeit, unter Geltung der Verordnung die Zwangsvollstreckung dauerhaft zu verweigern, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Im Übrigen ist weder die zu vollstreckende Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsstaat in der Sache selbst nachprüfbar, Art. 21 Abs. 2 EuVTVO.
Die Verordnung lässt eine ordre public-Prüfung durch die Gerichte im Vollstreckungsstaat nicht zu. Zum ordre public gehört einerseits der materiellrechtliche ordre public, der Verstöße gegen das materielle Recht und das Kollisionsrecht erfasst, und andererseits der verfahrensrechtliche ordre public […]. Zum verfahrensrechtlichen ordre public gehören unter anderem der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union […].
Ob die polnischen Gerichte Verfahrensverstöße begangen haben, kann dahingestellt bleiben, denn mit der Verordnung hat der EU-Verordnungsgeber für Titel, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, das Erfordernis der Anerkennung und das Vollstreckbarerklärungsverfahren sowie die Möglichkeit der ordre public-Kontrolle ersatzlos abgeschafft […].
Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 5 EuVTVO. Der ordre public-Vorbehalt ist in der Systematik des Europäischen Zivilverfahrensrechts im Rahmen der Anerkennung und des Verfahrens zur Vollstreckbarerklärung verortet. Insofern folgt aus der mit Art. 5 EuVTVO statuierten Anerkennung und Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung bei dem gleichzeitigen Ausschluss der Möglichkeit, die Anerkennung anzufechten, dass für eine ordre public-Prüfung unter Anwendung der Verordnung kein Raum bleibt.
Konsequent zur Abschaffung des Erfordernisses der Anerkennung und des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in Art. 5 EuVTVO fehlt in der Verordnung auch eine Vorschrift, die Art. 34 EuGVVO entsprechen würde.
Art. 21 EuVTVO bestätigt dies, indem der Verordnungsgeber in Absatz 1 als einzigen Grund nach der Verordnung, die Vollstreckung dauerhaft zu versagen, die Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung in einem Mitgliedsland oder einem Drittstaat festlegt und in Absatz 2 jegliche Nachprüfung der Entscheidung selbst sowie der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel untersagt.
Dementsprechend enthält Art. 23 EuVTVO nur die Möglichkeit, die Vollstreckung für den Zeitraum, in dem der Schuldner im Ursprungsstaat gegen die zu vollstreckende Entscheidung als solche oder die Bestätigung als Vollstreckungstitel vorgeht, vorläufig zu beschränken oder auszusetzen […].
Die Abschaffung des Erfordernisses der Anerkennung sowie des Vollstreckbarerklärungsverfahrens innerhalb der Union zur Schaffung eines funktionierenden Binnenmarkts entspricht dem ausdrücklichen Willen des Verordnungsgebers. […]
Niedergelegt ist dies in Erwägungsgrund 18 der Verordnung. Darin heißt es: "Gegenseitiges Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege in den Mitgliedstaaten rechtfertigt es, dass das Gericht nur eines Mitgliedstaats beurteilt, ob alle Voraussetzungen für die Bestätigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel vorliegen, so dass die Vollstreckung der Entscheidung in allen anderen Mitgliedstaaten möglich ist, ohne dass im Vollstreckungsstaat zusätzlich von einem Gericht nachgeprüft werden muss, ob die prozessualen Mindestvorschriften eingehalten worden sind." […]
Dass unter Geltung der Verordnung die ordre public-Kontrolle im Vollstreckungsstaat abgeschafft ist, wird auch im Schrifttum erkannt, wenn auch teilweise rechtspolitisch kritisiert […]."
Auch wenn das – angesichts der Missachtung grundlegender Verfahrensvorschriften durch die polnischen Gerichte – auf den ersten Blick durchaus Unbehagen auslöst: Anders wird man die EuVTVO nicht verstehen bzw. auslegen können.
Der Bundesgerichtshof erklärt m.E. aber erstaunlich deutlich, was er von dem Vorgehen der polnischen Gerichte hält und wie die Schuldnerin weiter vorgehen kann/sollte:
„Fehlentscheidungen in Einzelfällen, die sich daraus ergeben, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates eine Entscheidung als europäischen Vollstreckungstitel bestätigen, obwohl diese unter Missachtung der Verfahrensvorschriften der Art. 13 bis 17 EuVTVO zustande gekommen ist, sind entsprechend dem Willen des Verordnungsgebers ebenso wie Fehlentscheidungen innerstaatlicher Gerichte hinzunehmen. Ob dem Schuldner andere Rechtsschutzmöglichkeiten gegen den als fehlerhaft behaupteten Titel und die Bestätigung, z.B. vor nationalen Verfassungsgerichten, dem Gerichtshof der Europäischen Union oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, zustehen, ist dabei ohne Belang."
Zuletzt verneint der BGH noch eine Vorlagepflicht an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV unter Hinweis auf die sog. acte claire-Doktrin. Denn es bestünden keinerlei vernünftige Zweifel daran, dass ein Europäischer Vollstreckungstitel nicht im Vollstreckungsstaat auf einen ordre public-Verstoß überprüft werden kann. Das habe im Übrigen auch der österreichische Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 22. Februar 2007 – 3 Ob 253/06m so entschieden.
Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 24.04.2014 – VII ZB 28/13. Foto:
ComQuat,
BGH - Empfangsgebäude,
CC BY-SA 3.0