Korrektur der Kostenentscheidung über § 319 ZPO bei nachträglich geändertem Streitwert?

ComQuat wikimedia.org CC BY-SA 3.0Ändert das Gericht nach Erlass einer Endentscheidung den Streitwert, wird eine Kostengrundentscheidung gem. § 92 ZPO (Kostenquotelung) in Ansehung des geänderten Streitwerts nicht selten „unrichtig“.

Mit Beschluss vom 17.11.2015 – II ZB 20/14 hat sich der Bundesgerichtshof nun mit der Frage befasst, ob die „unrichtig gewordene“ Kostenentscheidung in einem solchen Fall entsprechend § 319 ZPO korrigiert und angepasst werden kann.

Sachverhalt

Das Landgericht hatte die acht beklagten Gesellschafter eines geschlossenen Immobilienfonds zur Zahlung verurteilt; den Beklagten zu 1 in Höhe von rund 200.000 EUR, den Beklagten zu 8 in Höhe von rund 400.000 EUR. Die Beklagten zu 1 und 8 legten gegen das Urteil Berufung ein, der Beklagte zu 8 aber nur, soweit er zur Zahlung eines über rund 200.000 EUR hinausgehenden Betrages verurteilt worden war.

Der Beklagte zu 8 nahm die Berufung vor der mündlichen Verhandlung zurück. Die Berufung des Beklagten zu 1 verwarf das Berufungsgericht als unzulässig. Den Streitwert setzte das Berufungsgericht auf 600.000 EUR fest, wobei es wohl die Beschränkung der Berufung des Beklagten zu 8 übersah. Die Kosten des Berufungsverfahrens verteilte das Gericht konsequenterweise entsprechend einer 1/3-2/3-Quote. Der Beklagte zu 1 legte gegen den Verwerfungsbeschluss Nichtzulassungsbeschwerde ein; der Beklagte zu 8 legte Streitwertbeschwerde ein und beantragte, die Kostenentscheidung entsprechend § 319 ZPO abzuändern. Das Berufungsgericht setzte daraufhin den Streitwert auf 400.000 EUR herab und änderte die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von § 319 ZPO in eine hälftige Kostenquotelung ab.

Der Beklagte zu 1 nahm seine Nichtzulassungsbeschwerde in der Folge zurück, legte aber gegen den die Kostenentscheidung ändernden Beschluss Rechtsbeschwerde ein.

Hier hatten beide Beklagte mit ihren Berufungen keinen Erfolg, sie hatten daher gem. §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 2 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Das Berufungsgericht war irrtümlich davon ausgegangen, dass beide im vollen Umfang ihrer Verurteilung Berufung eingelegt hatten und hatte den Streitwert für die Berufung daher auf 600.000 EUR festgesetzt. Die Kosten hatte das Gericht daher – vereinfacht – dem Beklagten zu 1 zu 1/3 und dem Beklagten zu 8 zu 2/3 auferlegt.

Richtigerweise hatte der Beklagte zu 8 aber auch nur in Höhe von 200.000 EUR Berufung eingelegt. Der Streitwert der Berufung war daher nur 400.000 EUR. Dementsprechend hätten beide die Kosten der Berufung jeweils zur Hälfte tragen müssen. Deshalb hatte das Gericht den Streitwert auf die Beschwerde des Beklagten zu 8 hin herabgesetzt, und die Kostenentscheidung entsprechend § 319 ZPO geändert.

Gem. § 319 ZPO kann das Gericht „Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten“ berichtigen. § 319 ZPO ist z.B. anwendbar, wenn das Gericht den berühmten Satz „Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“ vergisst, wenn es Parteibezeichnungen verwechselt o.Ä. Anwendbar ist § 319 ZPO also nur auf Fehler der Willensäußerung, nicht auf Fehler der Willensbildung.

Hier lag aber ein Fehler in der Willensbildung vor, weil das Gericht die Kostenentscheidung so treffen wollte, wie es sie getroffen hat. Fraglich war daher, ob § 319 ZPO auf diesen Fall entsprechend anwendbar ist und das Berufungsgericht dazu ermächtigte, die Kostenentscheidung abzuändern.

Entscheidung
Mit der Rechtsbeschwerde hatte der Beklagte zu 1 Erfolg:

„Eine infolge Streitwertänderung (rechnerisch) unrichtig (gewordene) Kostengrundentscheidung kann auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Rechtsstreit zwar noch nicht rechtskräftig entschieden, die Sache aber nicht mehr beim Berufungsgericht anhängig ist, vom Berufungsgericht nicht in entsprechender Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO geändert werden.

a) Das Berufungsgericht hat zutreffend gesehen, dass der Senat bereits mit Beschluss vom 30. Juli 2008 (II ZB 40/07 […]) entschieden hat, dass eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO in Fällen wie dem vorliegenden, in denen es an einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne einer versehentlichen Abweichung des vom Gericht Erklärten von dem von ihm Gewollten fehlt, nicht in Betracht kommt. Die Kostenentscheidung sollte auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung festgesetzten Streitwerts nach dem Willen des Berufungsgerichts gerade so, wie sie ergangen ist, ergehen. Sie wird erst „unrichtig“, wenn der Streitwert nachträglich geändert wird.

Eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO kommt nicht in Betracht, weil deren Voraussetzungen nicht vorliegen. Eine planwidrige Regelungslücke, die eine analoge Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO bei der vorliegenden Fallgestaltung rechtfertigen würde, liegt nicht vor. Eine analoge Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO würde vielmehr zu einer im Gesetz ausdrücklich nicht vorgesehenen isolierten „Anfechtbarkeit“ der Kostengrundentscheidung führen, wie der Senat in der Entscheidung vom 30. Juli 2008 […] im Einzelnen ausgeführt hat.

b) Auch die vorliegende Fallkonstellation gibt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung. Das Berufungsgericht war nicht deshalb zur Abänderung der Kostengrundentscheidung befugt, weil der Rechtsstreit im Hinblick auf die von dem Beklagten zu 1 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht rechtskräftig entschieden war.

aa) Die Rechtsprechung, die eine Abänderung der Kostenentscheidung durch das Rechtsmittelgericht bejaht (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2012 - IX ZB 111/10 […]), steht der Ablehnung der analogen Anwendung des § 319 Abs. 1 ZPO im vorliegenden Fall nicht entgegen. Damit nimmt das Rechtsmittelgericht lediglich eine Entscheidungskompetenz für sich in Anspruch, die ihm vor rechtskräftigem Abschluss des Rechtsstreits zukommt. Ob diese Entscheidungskompetenz auch dann besteht, wenn das Rechtsmittelgericht die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweist […], braucht der Senat im Streitfall nicht zu entscheiden. Denn der Beklagte zu 8 hat keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und der Beklagte zu 1 hat sie zurückgenommen.

bb) Soweit das Berufungsgericht meint, von dem in § 318 ZPO niedergelegten Grundsatz der innerprozessualen Bindung deshalb abweichen zu können, weil es anderenfalls für eine Partei ohne Rechtsmittel keine Korrekturmöglichkeit gebe, rechtfertigt dies eine Abänderung der Kostenentscheidung in analoger Anwendung von § 319 Abs. 1 ZPO ebenfalls nicht. Der mit dem Ergebnis auch des vorliegenden Falls verbundene Wertungswiderspruch zwischen der Abänderbarkeit des Streitwerts und der mangelnden Möglichkeit, die Kostengrundentscheidung dem geänderten Streitwert anzupassen, kann, worauf der Senat bereits im Beschluss vom 30. Juli 2008 […] hingewiesen hat, rechtlich nur durch ein Eingreifen des Gesetzgebers, dem die Problematik seit Langem bekannt ist, beseitigt werden.“

Anmerkung

M.E. lässt sich mit ebenso guten, wenn nicht gar besseren Gründen auch eine entsprechende Anwendbarkeit von § 319 ZPO begründen. Denn die Interessenlage ist äußerst ähnlich und das „Gerechtigkeitsdefizit“ manifest (für eine entsprechende Anwendung daher z.B. OLG Köln, Beschluss vom 16.05.2001 – 24 W 25/01; OLG Hamm, Beschluss v. 11.05.2001 – 7 WF 146/01; Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 319 Rn. 18). Und eine planwidrige Regelungslücke hat der BGH - insbesondere der II. Zivilsenat - schließlich noch immer gefunden, wenn er sie finden wollte (auch, wenn sie gar nicht planwidrig war, s. das sog. Eigenkapitalersatzrecht).

Für die Praxis dürfte die Problematik damit allerdings endgültig geklärt sein. Die Problematik zeigt aber einmal mehr, dass es durchaus sinnvoll sein kann, in schwierigeren Fällen den Streitwert schriftsätzlich und/oder in der mündlichen Verhandlung wenigstens kurz zu thematisieren, um solche „Flüchtigkeitsfehler“ zu vermeiden.

tl;dr: Bei einer nachträglichen Änderung des Streitwerts kann das erkennende Gericht die dadurch „unrichtig gewordene“ Kostenentscheidung nicht entsprechend § 319 ZPO ändern.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss v. 17.11.2015 – II ZB 20/14. Foto: ComQuat | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0