OLG Karlsruhe zu Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bei teilweiser Erledigung

Die Kostenentscheidung bzw -erstattung nach einem selbständigen Beweisverfahren dürfte zu den schwierigeren und aus anwaltlicher Sicht potentiell haftungsträchtigen Bereichen des Prozessrechts gehören. Eine wichtige Hilfestellung dabei ist das Urteil des OLG Karlsruhe vom 05.04.2018 – 12 U 175/17, in dem es um die Frage geht, wie über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu entscheiden ist, wenn der Streitgegenstand des Hauptprozesses erheblich hinter dem Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens zurückbleibt.

Sachverhalt (vereinfacht)

Der Beklagte hatte sein asbesthaltiges Garagendach mittels eines Dampfstrahlers reinigen lassen und dabei den Garten der klagenden Nachbarn mit Asbestschlamm verunreinigt. Auf behördliche Anordnung wurde in der Folge ein Teil des Gartens der Kläger inklusive Bewuchs, Terrasse und Gartenteich angetragen und entsorgt. Mit Anwaltsschreiben forderten die Kläger den Beklagten daraufhin auf, den an ihrem Grundstück entstandenen Schaden dem Grunde nach anzuerkennen und einen Vorschuss in Höhe von 25.500 EUR für die Kosten der Neuanlage des Gartens zu zahlen. Der Beklagte zahlte lediglich 5.000 EUR und gab keine Erklärung zu seiner Haftung dem Grunde nach ab. Deshalb leiteten die Kläger in der Folge ein selbständiges Beweisverfahren ein, im Rahmen dessen der Sachverständige die Wiederherstellungskosten auf 20.500 EUR zzgl. 9.000 EUR für Ingenieurleistungen (Planung und Überwachung) bezifferte. Nach Eingang des Gutachtens zahlte der Beklagte weitere 15.000 EUR. Die Kläger nahmen den Beklagten daraufhin in Höhe der verbleibenden Differenz sowie Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage nur in geringem Umfang stattgegeben, die Klage hinsichtlich der Kosten für die Ingenieurleistungen abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits den Klägern auferlegt. Dagegen wenden sich die Kläger mit der Berufung und begehren u.a. die Abänderung der Kostenentscheidung mit der Begründung, die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens seien insoweit anteilig vom Beklagten zu tragen, als dieser vor Klageerhebung 15.000 EUR an sie gezahlt habe.

Das selbständige Beweisverfahren in §§ 485 ff. ZPO ist ein besonderes Verfahren, in dem während oder – praktisch relevanter – außerhalb eines Prozesses Beweis erhoben werden kann und damit die Beweisaufnahme quasi „vorgezogen“ wird. Denn das Beweisergebnis ist im späteren Prozess zwischen den Beteiligten bindend, wenn sich eine der Parteien darauf beruft, § 493 ZPO. Zulässig ist ein selbständiges Beweisverfahren, soweit die Beteiligten ein rechtliches Interesse an der Feststellung bestimmter Tatsachen haben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn zwischen den Parteien nur oder im Wesentlichen Fragen tatsächlicher Natur im Streit sind. Denn dann kann schon deren verbindliche Klärung u.U. einen Rechtsstreit vermeiden. Hier war zwischen den Parteien die Höhe der Kosten für die Wiederherstellung des Gartens der Kläger streitig. Deshalb hatte das Gericht in dem selbständigen Beweisverfahren darüber Beweis erhoben. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens (insbesondere die Auslagen für das Sachverständigengutachten) hatten dabei die Kläger getragen. Eine Kostenentscheidung, mittels derer der Antragsteller seine Kosten gegen den Antragsgegner festsetzen lassen kann, sieht das Gesetz jedoch nicht vor. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind vielmehr Kosten des späteren Prozesses, über diese ist daher gem. §§ 91 ff. ZPO zusammen mit den weiteren Prozesskosten zu entscheiden. Hier hatte das Landgericht die Kosten insgesamt den Klägern auferlegt, weil sie im Prozess ganz überwiegend unterlegen waren. Dabei stellte sich die Frage, ob es tatsächlich überzeugend war, den Klägern auch die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens in vollem Umfang aufzuerlegen. Denn nach Eingang des Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren hatte der Beklagte ja 15.000 EUR gezahlt. In dieser Höhe war das selbständige Beweisverfahren also „erfolgreich“ gewesen.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht hat (u.a.) die Kostenentscheidung abgeändert und die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu ¾ dem Beklagten auferlegt:

„Hinsichtlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens besteht in analoger Anwendung von § 96 ZPO die Möglichkeit der Trennung und vom Obsiegen in der Hauptsache abweichenden Verteilung der Kosten, von der der Senat nach dem ihm insoweit zukommenden Ermessen hier Gebrauch macht.

a) Die Vorschrift des § 96 ZPO ist im Streitfall entsprechend anwendbar. Dementsprechend können dem in der Hauptsache Obsiegenden Kosten eines im Klageverfahren nicht weiterverfolgten Teils des vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahrens auferlegt werden (…).

Nachdem die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens auch dann in vollem Umfang Kosten des späteren Rechtsstreits sind, wenn der Streitgegenstand nur teilweise übereinstimmt (…), kann ihre Verteilung allein nach den für die Kosten des Rechtsstreits geltenden Maßstäben der §§ 91, 92 ZPO zu unbilligen Ergebnissen führen. Angesichts dessen ist anerkannt, dass die Kosten eines im Klageverfahren nicht weiterverfolgten Teils des selbständigen Beweisverfahrens dem im Rechtsstreit siegreichen Antragsteller analog § 96 ZPO insbesondere dann auferlegt werden können, wenn der Gegenstand der Klage deshalb hinter dem Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens zurückbleibt, weil sich dort ergeben hat, dass der geltend gemachte Anspruch insoweit unbegründet war (…).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann aber zu Lasten des Antragsgegners grundsätzlich nichts Anderes gelten, wenn im Rechtsstreit ein Teil des selbständigen Beweisverfahrens deshalb nicht weiterverfolgt wird, weil sich der geltend gemachte Anspruch dort insoweit als begründet erwiesen hat und infolgedessen vor Klageerhebung durch den Antragsgegner erfüllt worden ist. Auch in diesem Fall sind in der Regel Kosten eines erfolglosen Angriffs- und Verteidigungsmittels eines am späteren Rechtsstreit Beteiligten angefallen, die diesem nach § 96 ZPO selbst dann auferlegt werden können, wenn er in der – verbleibenden – Hauptsache später obsiegt.

Ein abweichendes Ergebnis ist nicht deshalb geboten, weil es sich bei dem Beweissicherungsantrag an sich um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel des Antragstellers handelt. Denn unabhängig von der formellen Stellung des Antragsgegners geht die Erhebung des Beweises regelmäßig auf sein Bestreiten z.B. eines Schadens oder – wie im Streitfall – der Schadenshöhe zurück, das ebenfalls ein Angriffs- oder – wie hier – ein Verteidigungsmittel im Sinne des § 96 ZPO darstellt (...).

b) Damit kann über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens nach § 96 ZPO abweichend von der Kostenverteilung in der Hauptsache entschieden werden.“

Anmerkung

Die entsprechende Anwendung von § 96 ZPO auf die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens eröffnet somit einen - trotz seiner kostenrechtlich großen Bedeutung häufig übersehenen (so BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 96 Rn. 4b.1) - Weg zu einer sachgerechten Kostenentscheidung, wenn Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens und des nachfolgenden Prozesses nur teilweise übereinstimmen. Wie eine Kostenerstattung möglich ist, wenn das rechtliche Interesse während oder nach Ende des selbständigen Beweisverfahrens vollständig wegfällt, war hier übrigens kürzlich noch Thema. Weil immer wieder übersehen wird, dass zusammen mit den Kosten des Prozesses auch über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu entscheiden ist (wie der Sachverhalt hier deutlich vor Augen führt), sollten die Kostenfolge und die (beabsichtigte) Kostenentscheidung nach Möglichkeit kurz in der mündlichen Verhandlung thematisiert werden. Die Entscheidung ist übrigens noch in einer weiteren Hinsicht interessant. Denn da die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens in der Kostenentscheidung des Landgerichts nicht selbständig genannt waren, hatte die Klägerin insoweit die Ergänzung der Kostenentscheidung gem. § 321 ZPO beantragt und das Landgericht ein entsprechendes Ergänzungsurteil erlassen. Dieses hat das OLG aufgehoben und darauf hingewiesen, dass bei Teilidentität der Gegenstände von selbständigem Beweisverfahren und Prozess die Kostenentscheidung im Prozess die Kosten des selbständigen Beweisverfahren auch dann erfasst, wenn sie nicht ausdrücklich genannt sind. tl;dr: Über die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens kann das Gericht des Folgeprozesses entsprechend § 96 ZPO entscheiden, wenn Gegenstand des Prozesses und des vorangegengenen selbständigen Beweisverfahrens nur teilweise übereinstimmen. Anmerkung/Besprechung, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.04.2018 – 12 U 175/17. Foto: Andreas Praefcke | Karlsruhe OLG 2 | CC BY 3.0