Manchmal richtet’s erst der BGH: Feststellungsinteresse auch ohne drohende Verjährung?

Mit Urteil vom 10. Juli 2014 – IX ZR 197/12 hat sich der Bundesgerichtshof (erneut) mit der Zulässigkeit von Feststellungsklagen auf Ersatz künftiger Schäden befasst. In der Sache ging es darum, ob eine Feststellungsklage erst dann zulässig ist, wenn der Anspruch durch die drohende Verjährung gefährdet ist.

Sachverhalt

Der Klägerin drohten aufgrund einer Betriebsprüfung erhebliche Steuernachzahlungen. Deshalb beauftragte sie den Beklagten schon vor Erlass der Steuerbescheide damit, wegen Beratungsfehlern Feststellungsklage gegen ihren (ehemaligen) Steuerberater zu erheben. Das Landgericht wies die Klage wegen mangelnder Substanziierung als unbegründet ab. Das Berufungsgericht wies die Klage als unzulässig ab. Es fehle ihr am Feststellungsinteresse. Ein Schaden sei ihr noch gar nicht entstanden, ein etwaiger Anspruch drohe auch noch nicht zu verjähren. Die Kosten beider Instanzen in Höhe von gut 23.000 EUR wurden der Klägerin auferlegt.

Diese gut 23.000 EUR verlangte die Klägerin nun von ihrem ersten Prozessbevollmächtigten ersetzt und verklagte diesen wegen eines Beratungsfehlers auf Schadensersatz. Denn sie hätte die Feststellungsklage nicht erhoben, wenn der Beklagte sie pflichtgemäß über deren Unzulässigkeit aufgeklärt hätte. Damit hatte sie vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Erfolg. Diese schlossen sich dabei der Rechtsauffassung an, dass die ursprüngliche Klage mangels Feststellungsinteresse nicht zulässig gewesen sei, weil eine Verjährung nicht gedroht habe.

Für die Begründetheit der zweiten Klage kam es hier darauf an, ob die erste (Feststellung-)Klage tatsächlich unzulässig gewesen war. Wenn ja, dann haftete der Beklagte wegen eines Beratungsfehlers aus § 280 Abs. 1 BGB, weil er die Klägerin darüber nicht aufgeklärt hatte.

Im zweiten Prozess ging es daher inzident um die Zulässigkeit der ersten Klage. Seinerzeit konnte die Klägerin ihren Schaden noch nicht beziffern, da das Finanzamt die entsprechenden Nachforderungsbescheide noch nicht erlassen hatte. Sie hatte daher gegen ihren Steuerberater eine Feststellungsklage erhoben, nach deren Antrag das Gericht feststellen sollte, dass der Steuerberater ihr zum Ersatz künftiger Schäden verpflichtet sei. Ein solcher Anspruch wäre ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO und die Feststellungsklage damit statthaft.

Bei einer Feststellungsklage ist aber immer zu beachten, dass diese zur Leistungsklage i.d.R. subsidiär ist: Kann der Gläubiger Leistung verlangen, soll er auch auf Leistung klagen. Hier war konnte die Klägerin einen etwaigen Leistungsanspruch aber noch nicht beziffern. Auch insoweit begegnete die Feststellungsklage also keinen Bedenken.

Zuletzt setzt eine Leistungsklage immer auch ein schützenswertes rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung voraus. Ein solches Feststellungsinteresse soll allgemein bei Ansprüchen oder Rechten immer dann vorliegen, wenn dem Recht eine gegenwärtige Gefahr droht. Das ist z.B. bei einer bevorstehenden Verjährung der Fall.

Begehrt der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger Schäden, richtet sich das Feststellungsinteresse danach, wie wahrscheinlich ein Schadenseintritt ist:

  • Geht es um Schäden wegen der Verletzung eines Rechtsguts oder absoluten Rechts (i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB), reicht schon die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus. Die Gerichte sind bei der Beurteilung relativ großzügig; ein Feststellungsinteresse wird nur verneint, wenn bei verständiger Würdigung mit dem Eintritt eines Schadens nicht einmal zu rechnen ist (s. dazu jüngst die Asbest-Entscheidung des BGH).
  • Geht es hingegen – wie hier – um die Feststellung der Ersatzpflicht künftiger Vermögensschäden, muss der Eintritt eines künftigen Schadens nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich sein.

Diese Voraussetzung hatten die Gerichte jedoch nicht (mehr) geprüft. Sie hatten neben diesen Voraussetzungen auch noch verlangt, dass eine Verjährung des Anspruchs drohe. Und da dies offensichtlich nicht der Fall war, hatten sie die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Nach Ansicht des BGH setzt ein Feststellungsinteresse aber nicht zwingend voraus, dass die Verjährung des Anspruchs droht:

„Allein der fehlende Lauf der Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den früheren Berater der Klägerin genügt […] nicht, um einer gegen diesen gerichteten Feststellungsklage das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse abzusprechen

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Zulässigkeit einer Feststellungsklage bei reinen Vermögensschäden von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab […]. Ausreichend ist, dass nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein erst künftig aus dem Rechtsverhältnis erwachsender Schaden angenommen werden kann. Dagegen besteht ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch auf Ersatz eines allgemeinen Vermögensschadens regelmäßig dann nicht, wenn der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiss ist […].

Hat die Verjährung etwaiger Ansprüche des Mandanten wegen fehlerhafter Beratung mit der Beendigung des Auftrags begonnen, folgt daraus ohne weiteres ein rechtliches Interesse des Mandanten an der alsbaldigen Klärung der Haftungsfrage […].

b) Daraus, dass eine Feststellungsklage gegen den anwaltlichen oder steuerlichen Berater regelmäßig zulässig ist, wenn der Anspruch des Mandanten entstanden ist und die Verjährung zu laufen begonnen hat, folgt aber nicht, dass die Zulässigkeit einer Klage gegen den Berater, mit der dessen Haftung für einen dem Mandanten entstandenen Schaden festgestellt werden soll, stets den Beginn der Verjährung der Ansprüche gegen diesen voraussetzt.

Maßgeblich ist vielmehr auch in diesen Fällen, dass nach allgemeinen Grundsätzen eine Vermögensgefährdung, das heißt, die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens, substantiiert dargetan ist […].

Bei einer anderen Sichtweise könnten Feststellungsklagen gegen Rechts- und Steuerberater auf Feststellung von Schadensersatzforderungen ausschließlich erhoben werden, um einem eventuellen Verjährungseintritt vorzubeugen. Steuerberatermandanten hätten vor dem Erlass sie belastender Steuerbescheide keine Möglichkeit, Feststellungsklage wegen zukünftig zu erwartender Schäden aufgrund pflichtwidrigen Handelns ihres Beraters zu erheben. Für eine derartige Beschränkung der Zulässigkeit von Feststellungsklagen gegen Berater spricht nichts.

Das erforderliche Feststellungsinteresse kann sich auch aus anderen Gründen als dem drohenden Ablauf der Verjährungsfrist ergeben. Insoweit ist es im Rahmen der Feststellungsklage auch nicht geboten, Art, Umfang und Ausmaß des Schadens einzeln zu belegen, erforderlich und genügend ist vielmehr ein Vortrag, aus dem sich die Kenntnis von der Vermögensbeeinträchtigung und der Verursachung in ihrer wesentlichen Gestaltung ergibt […].

c) Im Streitfall hätten danach das Berufungsgericht des Vorprozesses und die Regressgerichte im ersten und zweiten Rechtszug das Bestehen eines Feststellungsinteresses nicht allein deshalb verneinen dürfen, weil die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den früheren Berater der Klägerin noch nicht begonnen hatte. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob aufgrund der Darlegungen der Klägerin zu möglichen Pflichtverletzungen ihres früheren Beraters ein auf die Verletzungshandlung zurückzuführender Schaden wahrscheinlich war oder ob auf der Grundlage der Darlegungen der Klägerin der Eintritt irgendeines Schadens noch als ungewiss angesehen werden musste. […]

Das erforderliche Feststellungsinteresse kann sich etwa aus der aufgrund der Betriebsprüfungsberichte unmittelbar bevorstehenden nachteiligen Steuerfestsetzung ergeben haben.“

Nach insgesamt fünf mit der Sache befassten „Spruchkörpern“ (2x LG, 2x OLG, 1x BGH) und einer Prozessdauer von insgesamt ca. 10 Jahren könnte es sein, dass die Klägerin am Ende leer ausgeht – und auf den Kosten beider Verfahren „sitzenbleibt“. Und auch wenn das Urteil m.E. nach in der Sache richtig ist: Das Vertrauen der Klägerin in die Justiz wird es nicht gerade stärken…

tl;dr: Eine Feststellungsklage auf Ersatz zukünftiger Vermögensschäden setzt nicht voraus, dass schon eine Verjährung der Schadensersatzansprüche droht. Ein Feststellungsinteresse ist vielmehr schon dann anzunehmen, wenn der Eintritt des Schadens wahrscheinlich ist.

Anmerkung/Besprechung, BGH, Urteil v. 10. Juli 2014 – IX ZR 197/12. Foto: ComQuat, BGH - Empfangsgebäude, CC BY-SA 3.0