(Neue) Rechtsunsicherheit bei öffentlichen Zustellungen gem. § 185 Ziff. 3 ZPO?

Das Urteil des OLG Hamburg vom 25.05.2018 – 8 U 51/17 (schöner Titel: „Gefrierfleisch für Ägypten“, von einer entsprechenden Bebilderung habe ich abgesehen) liegt schon etwas länger zurück. Ich hatte es ursprünglich gesehen, es aber nur für mittelmäßig interessant (und auch nur mittelmäßig sprachlich und inhaltlich gelungen und somit „verblogbar“) befunden. Allerdings hatte ich vor einigen Wochen eine Akte auf dem Schreibtisch, bei dem mir die Entscheidung wieder in den Sinn kam und bei der mir bewusst wurde, welche weitreichenden Folgen die Entscheidung und die darin zum Ausdruck kommende Auffasung haben könnte.

Sachverhalt (vereinfacht)

Der klagende Insolvenzverwalter nahm die Beklagte, die ihren Sitz in Ägypten hat, aus Lieferungen von Tiefkühlgefrierfleisch in Anspruch. Dem lag eine lange Geschäftsbeziehung der Vertragsparteien zugrunde, im Rahmen derer vor allem per Email kommuniziert wurde. Die Klagschrift wurde mitsamt Anlagen in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt drei Mal an das ägyptische Justizministerium (als zentrale Behörde i.S.d. Art. 2 HZÜ) zum Zwecke der Zustellung im Rechtshilfeverkehr übersandt. Dieses sandte die Unterlagen jeweils kommentarlos zurück. Nach einem entsprechenden Hinweis beantragte der Kläger daraufhin die öffentliche Zustellung der Klageschrift. Diese erfolgte formal ordnungsgemäß mit Beschluss aus Juni 2013. Im September 2013 erließ das Landgericht im schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil, in welchem die Beklagte zur Zahlung von 1.773.115,63 USD verurteilt wurde. Auch das Versäumnisurteil wurde wiederum öffentlich zugestellt Die Beklagte wurde zu keiner Zeit (formlos) über die öffentlichen Zustellungen informiert. 2015 schließlich legte die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil ein. Das Landgericht hat daraufhin das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Gem. § 185 Nr. 3 ZPO kann eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn „eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht“. Das hatte das Landgericht hier bejaht, nachdem die Zustellversuche gescheitert waren. Die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgt gem. § 186 Abs. 2 ZPO dadurch, dass eine Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung an der Gerichtstafel ausgehängt wird. Die Zustellung wird also faktisch durch eine reine Fiktion ersetzt. Die öffentliche Zustellung muss daher immer ultima ratio bleiben, da sie die prozessualen Rechte der betroffenen Partei abschneidet. Andererseits ist sie zwingend erforderlich, soll ein Anspruchsinhaber in den in § 185 ZPO genannten Fällen nicht rechtlos stehen. Hier stellte sich zum einen die Frage, ob die Voraussetzungen von § 185 Ziff. 3 ZPO wirklich vorlagen. Und selbst wenn dies der Fall war, stellte sich die Folgefrage, ob der Kläger nicht hätte versuchen müssen, die Beklagte irgendwie über den Rechtsstreit zu informieren. Denn: Ist die öffentliche Zustellung unwirksam, setzt diese nicht die Einspruchsfrist gem. § 339 Abs. 1 ZPO in Gang. Die beklagte Partei kann deshalb auch noch Jahre später Einspruch einlegen. Und der hat dann regelmäßig zur Folge, dass das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen wird. Denn sechs Monate nach der unwirksamen öffentlichen Zustellung endet gem. § 204 Abs. 2 BGB die Hemmung der Verjährung und die Verjährungsfrist läuft weiter (und ggf. ab).

Entscheidung

Das OLG stellt zunächst fest, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung gem. § 185 Ziff. 3 ZPO schon deshalb nicht vorgelegen hätten, weil angesichts der Zustellung im Parallelverfahren eine Zustellung unter Vermittlung der deutschen Botschaft in Ägypten hätte versucht werden müssen. (Das scheint angesichts der Regelung in Art. 14 HZÜ durchaus überzeugend.) Außerdem sei die öffentliche Zustellung aber auch unwirksam, weil die Beklagte über diese nicht per Email in Kenntnis gesetzt worden sei:

„Darüber hinaus leidet die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils an einem Verfahrensmangel, weil eine informelle Information der Beklagten unterblieben ist. Dieses Erfordernis folgt aus dem Gebot des rechtlichen Gehörs, welches sich aus Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta ergibt, und dem nur dann ausreichend Rechnung getragen wird, wenn die Beklagte von der öffentlichen Zustellung informell in Kenntnis gesetzt wird.

Angesichts der besonderen Bedeutung des Grundrechts auf rechtliches Gehör wird daher überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine informelle Information des Zustelladressaten – sei es durch einfachen Brief, durch Übermittlung per Kurier, per Telefax oder per Email – neben der öffentlichen Zustellung zwingend erforderlich ist, wenn – wie vorliegend – die Anschrift oder sonstige Kontaktmöglichkeiten bekannt sind (...). Dies gilt erst recht, wenn es sich um eine langjährige Geschäftsbeziehung handelt, in der regelmäßig auf den üblichen Wegen des internationalen kaufmännischen Geschäftsverkehrs per Fax oder Email kommuniziert worden war (...).

Zum Teil wird in der Literatur demgegenüber die Auffassung vertreten, dass eine informelle Information des Adressaten einer öffentlichen Zustellung zwar wünschenswert wäre, dies jedoch keine Wirksamkeitsvoraussetzung der öffentlichen Zustellung sei, da § 185 ZPO dies nicht vorschreibe (...). Ein solches Verständnis dürfte allerdings mit der Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs nicht vereinbar sein.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs soll die ordnungsgemäße Erfüllung der Zustellvorschriften gewährleisten, dass der Adressat Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (...). Ob schon jeder Zustellungsmangel zur Verfehlung dieses verfassungsrechtlich gebotenen Zwecks führt, hat das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 26.10.1987 (NJW 1988, 2361) zwar offengelassen. Es hat jedoch die Zustellfiktion der öffentlichen Bekanntmachung im Fall der öffentlichen Zustellung wegen unbekannten Aufenthalts (§ 185 Abs. 1 ZPO…) nur dann für verfassungsrechtlich gerechtfertigt angesehen, „wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist, sei es wegen des unbekannten Aufenthalts des Zustellungsempfängers, sei es wegen der Vielzahl oder Unüberschaubarkeit des Kreises der Betroffenen“ (BVerfG a.a.O). Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Zustellfiktion des § 185 ZPO danach nur dann, wenn eine Kenntnisnahme des Zustellempfängers auf anderen Wegen ersichtlich keinen oder nur geringen Erfolg verspricht.

Hieraus folgt für den Fall des bekannten Aufenthalts des Zustelladressaten im Ausland, der mit modernen Kommunikationsmitteln ohne weiteres erreicht werden kann und diese zudem in der Vergangenheit erkennbar regelmäßig im Geschäftsverkehr genutzt hat, zwingend das Gebot, ihn im Fall einer öffentlichen Zustellung über diese Informationswege von dem Verfahren und insbesondere von einem vollstreckbaren Titel in Kenntnis zu setzen. Dies gebietet eine verfassungskonforme Auslegung des § 185 ZPO. Denn nur so kann im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs der Zweck der Zustellvorschriften gewährleistet werden.“

Anmerkung

Und mit dieser Ansicht steht das OLG Hamburg nicht allein, auch nach Ansicht anderer Gerichte soll es trotz der öffentlichen Zustellung gem. § 185 Nr. 3 ZPO erforderlich sein, den Empfänger formlos über die öffentliche Zustellung in Kenntnis zu setzen. Welche Mitteilungswege dabei (alternativ oder komulativ?) für erforderlich gehalten werden, wird allerdings unterschiedlich beurteilt. Genannt werden u.a. einfacher Brief, Einschreiben mit Rückschein, Telefax, E-Mail und sogar ein Ersuchen an die Botschaft des Empfangsstaats um formlose Mitteilung (so jüngst OLG München, Beschluss vom 20.12.2018 – 25 W 962/18; OLG Köln, Beschluss vom 26.05.2008 – 16 Wx 305/07; ähnlich z.B. OLG Düsseldorf, Rn. 15; Urteil vom 14.10.2003 – 20 W 38/03 OLG Köln, Beschluss vom 27.11.1997 – 14 WF 160/97). Praeter legem die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung von weiteren Erfordernissen abhängig zu machen, erweist der Rechtssicherheit und der um Rechtsschutz nachsuchenden klagenden Partei allerdings keinen Dienst. Denn was vom jeweiligen Gericht an Mühen und Übermittlungswegen für die formlose Mitteilung als erforderlich erachtet wird, damit ein Titel nicht Jahre nach einer öffentlichen Zustellung gem. § 185 Ziff. 3 ZPO plötzlich aufgehoben wird, ist kaum abzusehen - und unterliegt mit fortschreitender Digitalisierung vermutlich auch stetigen Änderungen Was ist z.B., wenn die Klägerin über eine Handynummer des Beklagten verfügt und die Möglichkeit besteht, dass der Beklagte diese noch nutzt: Muss das Gericht dann den Beklagten telefonisch über die öffentliche Zustellung in Kenntnis setzen? Was ist, wenn dieser keine dem Gericht geläufige Sprache spricht? Muss das Gericht dann einen Dolmetscher beiziehen, um das Telefonat zu führen? Oder muss das Gericht ihm über ein Diensthandy (Bereitschaftshandy?) eine MMS (WhatsApp dürfte datenschutzrechtlich schwierig sein) mit einem Foto des Aushangs der öffentlichen Zustellung (ggf. mit Übersetzung) zusenden? Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt – eine Kreativität, die im Gesetz keine Stütze findet und sich massiv zu Lasten der Rechtssicherheit auswirkt. Denn eine klagende Partei kann sich - obwohl die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind - kaum noch sicher sein, dass die öffentliche Zustellung tatsächlich wirksam ist; sie wird damit in ihren Rechtsschutzmöglichkeiten stark beschränkt. So richtig es daher ist, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Empfänger über die öffentliche Zustellung in Kenntnis zu setzen: Überzeugender scheint es, die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung nicht (auch noch) von einer formlosen Mitteilung abhängig zu machen, will man die öffentliche Zustellung (jedenfalls diejenige gem. § 185 Ziff. 3 ZPO) nicht insgesamt weitgehend entwerten. tl;dr: Wenn bei einer Zustellung ins Ausland der Aufenthalt des Zustellungsempfängers bekannt ist, er mit modernen Kommunikationsmitteln erreichbar ist und er diese in der Vergangenheit – für das Gericht erkennbar – regelmäßig im Geschäftsverkehr genutzt hat, ist es für die Wirksamkeit einer öffentlichen Zustellung nach § 185 Nr. 3 ZPO erforderlich, dass er parallel zu der öffentlichen Zustellung über diese informellen Informationswege von dem zuzustellenden Schriftstück in Kenntnis gesetzt wird. Anmerkung/Besprechung, OLG Hamburg, Urteil vom 25.05.2018 – 8 U 51/17. Foto: Andreas Praefcke | Hamburg OLG 1 | CC BY 3.0