OLG Celle: Im einstweiligen Rechtsschutz sollte man sich besser beeilen

Olg_celle_forevermore_wikimedia_ccbysa3.0_breitSeit Längerem mal wieder eine interessante Entscheidung zum einstweiligen Rechtsschutz ist der Beschluss des OLG Celle vom 17.09.2015 – 13 U 72/15.

Darin geht es um die Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, genauer gesagt um die Frage, wie lange man sich im einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung der Berufung Zeit lassen darf, ohne dass dadurch die Eilbedürftigkeit widerlegt wird.

Sachverhalt

Soweit sich den Entscheidungsgründen ein Sachverhalt entnehmen lässt, hatte die Verfügungsklägerin irgendwann um den Jahreswechsel 2014/2015 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, die ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege erging. Auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten hob das Landgericht den Beschluss schließlich durch Urteil vom 20.05.2015 (!) auf (der Termin war mehrmals verlegt worden).

Die Verfügungsklägerin legte dagegen Berufung ein und beantragte, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern, was der Senat bewilligte. Nachdem auch drei Wochen und sechs Tage der verlängerten Berufungsbegründungsfrist abgelaufen waren, ging schließlich die Berufungsbegründung ein.

Der Fall ist ein gutes Beispiel, um sich das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz zu gegenwärtigen.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt einen Verfügungsanspruch (den materiell-rechtlichen Anspruch) und einen Verfügungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) voraus. Der Verfügungsgrund wird in bestimmten Konstellationen vermutet, so bei Besitzschutzansprüchen gem. §§ 861, 862 BGB, bei einem Antrag auf Bewilligung einer Vormerkung (§ 885 Abs. 1 S. 2 BGB) oder bei wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen (§ 12 Abs. 2 UWG).

Das Landgericht hatte hier die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bejaht und diese gem. §§ 936 i.V.m. 922 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss erlassen. (Die Parteien hießen in diesem Verfahrensstadium Antragsteller und Antragsgegner.)

Einziges Rechtsmittel gegen eine durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung ist der Widerspruch (§§ 936 i.V.m. 924 ZPO). Dadurch wird das die einstweilige Verfügung erlassende Gericht gezwungen, sich auch mit den Argumenten des Antragsgegners auseinanderzusetzen und seine Entscheidung aufgrund des Vortrags des Antragsgegners zu überprüfen. Aufgrund des Widerspruchs war daher mehrere Monate später – immer noch vor dem Landgericht – mündlich verhandelt worden. Und das Landgericht hatte seinen Beschluss – nun durch Urteil – aufgehoben und den Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. (Die Parteien hießen nun Verfügungskläger und Verfügungsbeklagter).

Gegen dies Urteil hatte die Verfügungsklägerin Berufung eingelegt. Mit der Begründung ihrer Berufung hatte sie sich jedoch ziemlich viel Zeit gelassen: Es war nicht nur die Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten (§ 520 Abs. 1  Satz 1) vergangen, sondern auch fast vier Wochen der durch das Gericht verlängerten Berufungsbegründungsfrist (vgl. § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO); seit Erlass des Urteils also fast drei Monate.

Entscheidung

Das OLG weist die Berufung nach vorherigem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurück, da es (inzwischen) an einem Verfügungsgrund fehle:

„Bei der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes im einstweiligen Verfügungsverfahren wird der Verfügungsgrund gemäß § 12 Abs. 2 UWG wegen der generellen Eilbedürftigkeit von Wettbewerbssachen zwar vermutet. Die Vermutung für das Bestehen der Dringlichkeit ist nach allgemeiner Auffassung aber widerlegt, wenn der Verletzte durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben hat, dass die Verfolgung des beanstandeten Verstoßes für ihn selbst nicht eilig ist.

Nach einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreitet vertretenen Auffassung gibt der erstinstanzlich unterlegene Antragsteller, der sich die Frist zur Berufungsbegründung nicht unerheblich verlängern lässt und diese verlängerte Frist nicht unerheblich ausnutzt, im Allgemeinen zu erkennen, dass es ihm mit der Verfolgung seines Anspruchs im einstweiligen Rechtsschutz nicht (mehr) dringlich ist […]. Der Senat teilt diese Auffassung.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich in der Berufungsinstanz in der Sache keine neuen Rechtsfragen stellen, die nicht bereits in erster Instanz herausgearbeitet worden wären. Ein Eingehen auf das Argument des Landgerichtes, mit dem dieses den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt und die zuvor im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben hat, bedurfte keines nennenswerten Aufwandes. Die Berufungsbegründung war in besonderem Maße einfach zu fertigen.

Eine Rechtfertigung, vor dem Hintergrund der von der Verfügungsklägerin angenommenen Dringlichkeit auch nur die reguläre Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO auszuschöpfen, ist daher schon zweifelhaft, auch wenn sich der sachbearbeitende Verfahrensbevollmächtigte der Verfügungsklägerin in diesem Zeitraum im Urlaub befunden hat.

Hinzu kommt, dass der Fristverlängerungsantrag vom 29. Juli 2015 auf eine Arbeitsüberlastung des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten der Verfügungsklägerin gestützt ist, weil viele Fristsachen „geradezu parallel abliefen und nahezu jeden Tag Gerichtstermine wahrgenommen werden“ müssten. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass das Zurückstellen der Fertigung der Berufungsbegründung unter Berücksichtigung der von der Verfügungsklägerin angenommenen Dringlichkeit gerechtfertigt gewesen wäre.

Schließlich ist weiter zu berücksichtigen, dass sich bereits das Verfügungsverfahren in erster Instanz aufgrund mehrerer Terminsverlegungsanträge von beiden Parteien erheblich verzögert hatte. Auch wenn jedenfalls für die Terminsverlegungsanträge der Verfügungsklägerin jeweils zwingende Gründe vorgelegen haben mögen, bestand angesichts der ohnehin übermäßig langen Dauer des Verfügungsverfahrens erst recht Anlass, die Berufungsbegründung bevorzugt zu fertigen. […]

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Landgericht die einstweilige Verfügung zunächst durch Beschluss antragsgemäß erlassen und erst auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten durch das angefochtene Urteil aufgehoben hat, hat der Verfügungskläger durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben, dass die Verfolgung des beanstandeten Verstoßes für ihn selbst nicht eilig ist.“

Anmerkung

Nichts wirklich Neues, aber eine Erinnerung daran, im einstweiligen Rechtsschutz im Zweifel die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Denn solange sich die Partei im Rahmen der gesetzlichen Frist hält, kann ihr das Gericht der Partei nach wohl allgemeiner Ansicht nicht vorhalten, es habe das Verfahren nicht hinreichend gefördert (s. nur OLG Hamm, Urteil v. 02.06.1992 – 4 U 74/92; OLG Frankfurt, Beschluss v. 22.11.2001 – 6 U 153/15; KG, Beschluss vom 16.04.2009 - 8 U 249/08).

Und wenn ein Fristverlängerungsantrag doch nicht zu vermeiden ist, lässt sich der Entscheidung immerhin die Erkenntnis entnehmen, dass man für den Verlängerungsantrag nicht den „Standard-Textbaustein“ verwenden sollte.

tl;dr: Die Dringlichkeit ist widerlegt, wenn sich der erstinstanzlich unterlegene Beteiligte die Berufungsbegründungsfrist nicht unerheblich verlängern lässt und diese verlängerte Frist nicht unerheblich ausnutzt.

OLG Celle, Beschluss vom 17.09.2015 – 13 U 72/15. Foto: Forevermore | wikimedia | CC BY-SA 3.0