OLG Frankfurt: Keine Prozesskostenhilfe für Karnevalsverein

pixabay CC0Prozesskostenhilfe kann nicht nur natürlichen Personen und Parteien kraft Amtes gewährt werden, sondern unter den Voraussetzungen des § 116 Nr. 2 ZPO auch juristischen Personen.

Mit den Voraussetzungen dieser relativ unbekannten Vorschrift hat sich jüngst das OLG Frankfurt mit Beschluss vom 05.04.2016 – 8 W 19/16 befasst.

Sachverhalt

Der klagende (gemeinnützige) Karnevalsverein begehrte Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der Ansprüche aus einem Kaufvertrag geltend gemacht werden sollten. Gegenstand des Kaufvertrags waren u.a. „14 Gardekostüme nebst dazugehörigen Petticoats“. Das Landgericht hatte den Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen. Dagegen wendete sich der klagende Verein mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hatte.

Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe (früher deshalb auch „Armenrecht“ genannt). Sie soll auch wenig bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen. Neben hinreichenden Erfolgsaussichten setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei natürlichen Personen außerdem voraus, dass diese bedürftig sind.

Prozesskostenhilfe kann aber nicht nur natürlichen Personen gewährt werden, sondern gem. § 116 Ziff. 1 ZPO auch Parteien kraft Amtes (praktisch bedeutsam insbesondere bei Insolvenzverwaltern) und gem. § 116 Ziff. 2 ZPO unter den dort genannten Voraussetzungen auch juristischen Personen. An die Stelle der Bedürftigkeit tritt bei juristischen Personen (s. § 21 BGB), a.) dass die Kosten weder von der juristischen noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und 2.) dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

Entscheidung

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hatte auch vor dem Oberlandesgericht aus gleich drei Gründen keinen Erfolg:

„Der Kläger hat es nämlich versäumt, entsprechende Rücklagen für die Prozessführung zu bilden (1). Zudem ist nicht dargetan, dass die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten – die Vereinsmitglieder – nicht in der Lage sind, die erforderlichen Kosten aufzubringen (2). Schließlich liegen im Streitfall auch die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZPO nicht vor (3).

1. Es kann offen bleiben, ob der klagende Verein selbst derzeit über ausreichende Mittel verfügt, um die Kosten der weiteren Rechtsverfolgung zu bestreiten. Denn selbst wenn der Kläger die weiteren Kosten des Rechtsstreits zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aus eigenen Einnahmen und tatsächlich vorhandenem Vermögen bestreiten könnte, kann dem Prozesskostenhilfegesuch nicht entsprochen werden. Denn er müsste sich in diesem Fall entgegenhalten lassen, dass er, obwohl er […] die voraussichtliche Notwendigkeit einer Prozessführung erkannt haben musste, die Bildung von entsprechenden Rücklagen unterlassen hat.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Partei ist zwar grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag; gibt eine Partei jedoch Vermögenswerte weg, obwohl sie von der Notwendigkeit der Finanzierung eines Rechtsstreits weiß, oder unterlässt sie es, in Ansehung von Rechtsstreitigkeiten zu deren Finanzierung Rücklagen zu bilden, muss sie sich so behandeln lassen, als sei das Vermögen (noch) vorhanden […]

Überdies spricht die relativ geringe Höhe der jährlichen Mitgliedsbeiträge von € 15,00 dafür, dass der Kläger seine Möglichkeiten zur Verbesserung der Einnahmenseite - sei es durch eine Erhöhung der Beiträge, sei es durch einen auf die Finanzierung des vorliegenden Verfahrens bezogenen Spendenaufruf - noch nicht voll ausgeschöpft hat […]. Ist zudem eine Kreditaufnahme möglich, so hat diese zunächst zu erfolgen […].

2. Überdies setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen eingetragenen Verein voraus, dass auch die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht in der Lage sind, die erforderlichen Kosten aufzubringen.

Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Vereinsmitglieder sind nämlich als „wirtschaftlich Beteiligte“ im Sinne des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO anzusehen.

Zweck dieser Bestimmung ist es zu verhindern, dass vermögende Personen, die sich unvermögender juristischer Personen im Rechtsverkehr bedienen oder am Ausgang des Verfahrens wirtschaftlich interessiert sind, die Kosten des Prozesses auf die Allgemeinheit verlagern. […] Über den engen Wortlaut hinaus ist deshalb auch derjenige als am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligter anzusehen, der ein eigenes Interesse am Streitgegenstand hat und der als sachlich Betroffener durch die juristische Person repräsentiert wird. Der Begriff des wirtschaftlich Beteiligten umfasst daher auch die Mitglieder von (gemeinnützigen) Idealvereinen […].

Dies zugrunde gelegt sind die Mitglieder des klagenden Vereins im Rechtssinne wirtschaftlich Beteiligte. Denn ihre mit der Mitgliedschaft verfolgten Ziele sind identisch mit dem Vereinszweck; ihre Ziele werden durch die Klage des Klägers repräsentiert […]

3. Es kommt hinzu, dass im Streitfall die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch deswegen nicht vorliegen, weil das nach dem Willen des Gesetzgebers auf besondere Ausnahmefälle […] zugeschnittene Tatbestandsmerkmal des § 116 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 ZPO ebenfalls nicht gegeben ist.

Der Gesetzgeber hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe an juristische Personen oder parteifähige Vereinigungen durch § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO in Einklang mit dem Grundgesetz an das spezielle Erfordernis geknüpft, dass das Unterlassen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. […]

Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich mithin auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können. Ein allgemeines Interesse kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch das Unterlassen der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde. Danach läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwider, wenn die Vereinigung ohne die Durchführung des Rechtsstreits gehindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen […]. Gleiches kann gelten, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht. Das Unterlassen der Rechtsverfolgung kann auch dann allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn eine große Zahl von Kleingläubigern betroffen ist.

Allein die Gemeinnützigkeit einer Vereinigung begründet hingegen noch kein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung […]. Ohne Bedeutung ist auch das Einzelinteresse an einer richtigen Entscheidung oder der Umstand, dass Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung zu beantworten sind […].

Berücksichtigt man alle hier in Betracht kommenden Umstände, läuft das Unterlassen der weiteren Rechtsverfolgung durch den Kläger keinen allgemeinen Interessen zuwider.

Durch das Unterlassen einer Rechtsverfolgung wird hier nicht ein erheblicher Kreis von Personen in Mitleidenschaft gezogen. Rückwirkungen auf größere Teile der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens sind nicht zu erwarten, wenn die Streitsache nicht weiter durchgeführt wird. Es droht auch nicht der Verlust einer erheblichen Zahl von Arbeitsplätzen. Auch eine Gefährdung einer Vielzahl von Gläubigern scheidet aus.“

Anmerkung

Bleibt die - nicht sehr juristische - Frage, ob die Oberlandesgerichte in Köln, Düsseldorf oder Koblenz das insbesondere hinsichtlich der letzten Voraussetzung anders gesehen hätten. ;-)

tl;dr: Die Mitglieder eines eingetragenen Idealvereins sind wirtschaftlich Beteiligte i.S.d. § 116 Ziff. 2 ZPO.

Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.04.2016 – 8 W 19/16. Foto: pixabay | CC0