OLG Frankfurt zur fristwahrenden Auslandszustellung nach der EuZVO

Wird nach der EuZVO zunächst ohne Übersetzungen zugestellt, kann der Zustellungsempfänger gem. Art. 8 Abs. 1 EuZVO die Annahme der Zustellung verweigern;  gem. Art. 8 Abs. 3 EuZVO ist dann mit Übersetzung erneut zuzustellen.

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 01.07.2014 – 6 U 104/14 nun die Voraussetzungen konkretisiert, unter denen in einem solchen Fall trotzdem eine Frist (hier die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO) gewahrt ist.

Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht am 13.03.2013 zugunsten der Antragstellerin eine Unterlassungsverfügung gegen ein italienisches Unternehmen erlassen, die der Antragstellerin am 15.03.2017 zugestellt wurde. Die Antragstellerin versuchte zunächst, die Verfügung nach Art. 14 EuZVO (per Einschreiben mit Rückschein) zustellen zu lassen, ohne Übersetzungen ins Italienische beizufügen. Der Zustellungsversuch erfolgte am 08.04.2013; die Antragsgegnerin verweigerte aber am 15.04.2013 die Annahme, da keine Übersetzungen beigefügt waren.

Nachdem das Landgericht der Antragstellerin dies am 26.04.2013 mitteilte, schrieb die Antragstellerin zunächst, es solle nichts veranlasst werden. Erst am 04.07.2013 beantragte sie dann die Übersetzung der einstweiligen Verfügung und die Veranlassung der Auslandszustellung. Am 17.09.2013 schließlich wurde die (übersetzte) einstweilige Verfügung der Antragsgegnerin zugestellt.

Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hob das Landgericht die einstweilige Verfügung mit der Begründung auf, diesesei  nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden. Dagegen wendete sich die Antragstellerin mit ihrer Berufung.

Gem. §§ 935, 929 Abs. 2 ZPO müssen einstweilige Verfügungen binnen eines Monats nach Verkündung oder Zustellung „vollzogen“ werden. Bei einer Unterlassungsverfügung erfolgt dies durch Zustellung der Verfügung an den Gegner.

Da die Gegnerin hier ihren Sitz in Italien hatte, richtete sich die Zustellung nach der EuZVO. Nach deren Art. 14 war die Zustellung per Einschreiben mit Rückschein möglich. Auch brauchten zunächst keine Übersetzungen ins Italienische beigefügt zu sein, wie sich aus Art. 5 Abs. 1 EuZVO ergibt. Die Antragsgegnerin war durch Art. 8 Abs. 1 hinreichend geschützt, da sie die Annahme verweigern durfte, wenn sie kein Deutsch verstand.

In einem solchen Fall ist für eine wirksame Zustellung gem. Art. 8 Abs. 3 Satz 1 aber erforderlich, dass das Schriftstück dem Empfänger mit einer Übersetzung erneut zugestellt wird. Gem. Art. 8 Abs. 3 Satz 2 gilt dann zwar grundsätzlich das Datum der Zustellung der Übersetzungen als Zustellungsdatum; soll die Zustellung aber eine Frist wahren, gilt als Zustellungsdatum die Zustellung des ersten (nicht übersetzten) Schriftstücks, Art. 8 Abs. 3 Satz 3. Auf diese Weise soll die Zustellung innerhalb der EU vereinfacht werden, indem überflüssige Übersetzungskosten entfallen.

Dem OLG stellte sich daher zunächst die Frage, ob die Zustellung der Übersetzungen am 17.09. gem. Art. 8 Abs. 3 Satz 3 EuZVO auf den Zeitpunkt der ersten Zustellung am 08.04.2014 zurückwirkte. Dann wäre die Verfügung unproblematisch innerhalb der Monatsfrist vollzogen worden.

Sollte dies nicht der Fall sein, stellte sich die weitere Frage, ob die Zustellung am 17.09. „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO erfolgt war und daher auf einen Zeitpunkt innerhalb der Monatsfrist zurückwirkte.

Entscheidung

Das OLG Frankfurt hat die Aufhebung der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht für richtig gehalten.

1. Zunächst legt der Senat dar, wann bei einer Zustellung einer einstweiligen Verfügung im Ausland die Vollziehungsfrist gewahrt ist:

„Die Vollziehung einer Unterlassungsverfügung nach § 929 Abs. 2 ZPO setzt regelmäßig die fristgemäße Zustellung der einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb voraus.

Ist der Titelschuldner allerdings – wie im vorliegenden Fall – im Ausland ansässig, reicht es nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (…) zur Wahrung der Vollziehungsfrist aus, wenn der Gläubiger innerhalb dieser Frist den Antrag auf Auslandszustellung bei Gericht einreicht und die tatsächliche Zustellung entweder gleichfalls innerhalb dieser Frist oder aber jedenfalls „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt; letzteres setzt jedenfalls voraus, dass die Zustellung ohne jede vom Gläubiger zu vertretende Verzögerung bewirkt wird (…).“

2. Hier fehle es aber an einer fristgerechten Vollziehung.

a) Die erste Zustellung (ohne Übersetzungen) am 08.04.2014 sei zwar innerhalb der Vollziehungsfrist erfolgt; die Zustellung sei aber schwebend unwirksam geworden, weil die die Annahme der Zustellung zu Recht verweigert habe:

„Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Annahmeverweigerung unberechtigt war, weil die Antragsgegnerin die deutsche Sprache versteht.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass es insoweit nicht auf die Sprachkenntnisse des Verkaufsleiters der Antragsgegnerin, Herrn Z1, ankommt. Die EuZVO regelt nicht, auf wessen Sprachkenntnisse bei Zustellungen an juristische Personen abzustellen ist. Nach herrschender Meinung kann allerdings nicht gefordert werden, dass ein Organmitglied die entsprechende Sprache beherrscht. Es genügt vielmehr, wenn im Rahmen einer üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens die mit der Sache befasste Abteilung über einen entsprechenden Sprachkundigen verfügt, dessen Einschaltung in die Übersetzung des Schriftstücks nach den gesamten Umständen erwartet werden kann (...). Über die Organisationsstruktur der Antragsgegnerin wurde nichts mitgeteilt. Üblicherweise gelangen Posteingänge an die Poststelle oder einen mit Posteingängen befassten Sachbearbeiter. Von dort aus werden sie an die zuständige Abteilung weitergeleitet. Im Falle gerichtlicher Schreiben ist mit einer Weiterleitung an die Rechtsabteilung oder an die Geschäftsführung zu rechnen. Mit der Einschaltung des Verkaufsleiters ist grundsätzlich nicht zu rechnen. Auch im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass der Verkaufsleiter mit der Beantwortung gerichtlicher Verfügungen betraut ist.“

b) Die zweite Zustellung (mit Übersetzungen) wirke nicht gem. Art. 8 Abs. 3 Satz 3 EuZVO auf den Tag der ersten Zustellung innerhalb der Vollziehungsfrist zurück, da diese nicht unverzüglich veranlasst worden sei:

„Im Fall einer berechtigten Annahmeverweigerung kann die Zustellung einer Übersetzung gemäß Art. 8 Abs. 3 EuZVO nachgeholt werden. Sofern die Zustellung – wie hier – innerhalb einer bestimmten Frist zu erfolgen hat, ist als Zustellungsdatum im Fall der Nachreichung der Tag maßgeblich, an dem das ursprüngliche Schriftstück zugestellt worden ist (Art. 8 Abs. 3 Satz 3). Mit dieser Regelung soll erreicht werden, dass die in der Verordnung vorgesehene Möglichkeit, Schriftstücke nicht in die Amtssprache des Empfangsstaats übersetzen lassen zu müssen, praktische Wirksamkeit („effet utile“) erlangt (…). Voraussetzung ist allerdings, dass die Übersetzung unverzüglich, also so schnell wie möglich übersandt wird (…).

Daran fehlt es. (…) Erst mit Schriftsatz vom 04.07.2013 bat die Antragstellerin um Übersetzung der einstweiligen Verfügung ohne Anlagen sowie um Veranlassung der Auslandszustellung. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine Heilungsmöglichkeit mehr. Die Antragsgegnerin musste nicht mehr mit der Rückwirkung der Zustellung rechnen. Die entsprechenden Schriftstücke wurden der Beklagten am 17.09.2013 zugestellt. Erst an diesem Tag kann von einer wirksamen Zustellung ausgegangen werden. Die Vollziehungsfrist war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen.“

3. Und zuletzt sei die (wirksame) Zustellung am 17.09.2013 nicht „demnächst“ erfolgt und wirke deshalb nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück:

„Unter den dargestellten Umständen ist die Zustellung auch nicht „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO erfolgt. Denn die Antragstellerin hat die eingetretene Verzögerung bei der Zustellung zu vertreten, weil sie es (…) versäumt hat, nach der Mitteilung über die Annahmeverweigerung unverzüglich eine Übersetzung der Beschlussverfügung sowie deren Zustellung zu veranlassen.“

Anmerkung
Auch wenn das OLG (m.E. zu Recht) nicht die Sprachkenntnisse des Verkaufsleiters für maßgeblich hält, war es hier aus Sicht der Antragstellerin sinnvoll, zunächst eine Zustellung ohne Übersetzung zu versuchen. Denn es hätte ja durchaus die Möglichkeit bestanden, dass die Antragsgegnerin die Zustellung gegen sich gelten lässt und damit die Kosten für die Übersetzung nicht anfallen (s. dazu ausführlich Fabig/Windau, NJW 2017, 2502 ff.). Die Antragstellerin hätte die Kosten für die Übersetzung nach der Verweigerung der Annahme außerdem gering halten können, indem sie selbst die Übersetzungen in Auftrag gegeben hätte (ausf. Fabig/Windau, aaO). Nachdem die Antragstellerin allerdings so lange gewartet hatte, bevor sie eine Zustellung mit Übersetzungen beantragt hat, hätte ihr eigentlich bewusst sein müssen, dass die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO abgelaufen sein würde.

tl;dr: 1. Bei Auslandszustellungen ist die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO gewahrt, wenn innerhalb dieser Frist die Auslandszustellung beantragt wird und die Zustellung „demnächst“ erfolgt. 2. Verweigert der Empfänger gem. Art. 8 Abs. 1 EuZVO zu Recht die Annahme nicht übersetzter Schriftstücke, muss die Übersetzung unverzüglich veranlasst werden, wenn die Zustellung gem. Art. 8 Abs. 3 Satz  3 auf den Tag der ersten Zustellung (ohne Übersetzungen) zurückwirken soll.

Hinweis: Der Beitrag wurde im Januar 2018 überarbeitet. Anmerkung/Besprechung, OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.07.2014 – 6 U 104/14 „Deutschsprachiger Verkaufsleiter“ Foto: Balthasar Schmitt User:Waugsberg, Justitia Justizpalast Muenchen, CC BY-SA 3.0