OLG Hamm: Nacherfüllung, selbständiges Beweisverfahren und sofortiges Anerkenntnis

Rolle Ruhland OLG Hamm 4_7 flickr.com CC BY-SA 2.0Wie man ein selbständiges Beweisverfahren und den daran anschließenden Prozess gewinnen und trotzdem in der Sache verlieren kann, zeigt ein aktueller Beschluss des OLG Hamm vom 15.12.2015 – 28 W 41/15.

Aufgrund der alltäglichen prozessualen (sofortiges Anerkenntnis) und materiell-rechtlichen (Kaufmängelgewährleistungsrecht) Konstellation dürfte der Beschluss von kaum zu überschätzender Praxis- und Ausbildungsrelevanz sein.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über Mängel an einem PKW, den der Kläger von der Beklagten gekauft hatte. Als sich ein Mangel zeigte, forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm die Kosten einer Reparatur zu ersetzen. Das lehnte der Beklagte ab, erklärte sich aber bereit, das Fahrzeug zu prüfen und ggf. zu reparieren.

Darauf ließ sich der Kläger nicht ein und leitete sein selbständiges Beweisverfahren ein, indem der Sachverständige feststellte, dass der Ölpumpenantrieb defekt sei. Während des Verfahrens und nachdem das Gutachten vorlag, wiederholte der Beklagte sein Angebot zur Untersuchung und Reparatur des Fahrzeugs.

Nachdem die Beklagte auf Wunsch des Klägers auch noch schriftlich bestätigt hatte, die Reparatur gemäß dem Gutachten kostenfrei auszuführen, ließ der Kläger die Beklagte schließlich das Fahrzeug reparieren. Parallel dazu beantragte die Beklagte, dem Kläger gem. § 494a ZPO eine Frist zur Klageerhebung zu setzen. Innerhalb der Frist erhob der Kläger Klage und beantragte, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Mängel an dem Pkw zu beseitigen.

Die Beklagte erkannte in der Klageerwiderung das Feststellungsbegehren an und beantragte, dem Kläger gem. § 93 ZPO die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens aufzuerlegen. Das Landgericht hat in seinem Anerkenntnisurteil der Beklagten als unterlegener Partei die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Dagegen wendete sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde, der das Landgericht nicht abhalf.

Der Kläger hatte hier der beklagten Verkäuferin nicht die Möglichkeit gegeben, die gekaufte Sache zu untersuchen und den Mangel ggf. im Wege der Nachbesserung (§ 439 Abs. 1 Var. 1 BGB) zu beheben, sondern unmittelbar Schadensersatzansprüche in Höhe der Mängelbeseitigungskosten begehrt.

Da sich die Beklagte darauf nicht einließ, leitete der Kläger ein selbständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO ein. In einem solchen selbständigen Beweisverfahren kann außerhalb eines Prozesses Beweis erhoben werden; das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens kann gem. § 493 ZPO in einem späteren Prozess verwendet werden und ist daher grundsätzlich zwischen den Parteien bindend. Der im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens beauftragte Gutachter hatte die Mängel festgestellt. Erst daraufhin und nachdem die Beklagte erklärt hatte, die Reparaturen auf eigene Rechnung durchzuführen, gestand der Kläger der Beklagten schließlich dessen Recht zur zweiten Andienung zu und ließ diese den Mangel beheben.

Problematisch war aber, dass das selbständige Beweisverfahren auf Seiten der Beklagten Kosten verursacht hatte, nämlich jedenfalls in Höhe der Gebühren der anwaltlichen Vertretung. Eine Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren ist im Gesetz aber nicht vorgesehen; die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind vielmehr Kosten des späteren Prozesses, wenn die Parteien über diese keine Einigung finden. Dem Beklagten blieb daher nichts anderes übrig, als den Kläger über §494a ZPO in einen Hauptprozess zu „zwingen“. In diesem erkannte der Beklagte den Klageanspruch schon in der Klageerwiderung an. In der Sache war daher gem. § 307 ZPO durch Anerkenntnisurteil zu entscheiden.

Fraglich war aber, wer die Kosten zu tragen hatte und ob insoweit § 93 ZPO als Sonderregelung gegenüber den §§ 91, 92 ZPO vorrangig war.

Entscheidung
Das OLG hat die Entscheidung abgeändert und die Kosten dem Kläger auferlegt:

„Das Landgericht hat zu Unrecht der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Die (erstinstanzlichen) Kosten – einschließlich jener des vorangegangenen selbständigen Beweisverfahrens – sind vielmehr gemäß § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen. Die Beklagte hat das Feststellungsbegehren des Klägers in der Klageerwiderung und damit sofort anerkannt und sie hatte dem Kläger keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben.

Auch wenn die Beklagte in dem selbständigen Beweisverfahren […] beantragt hat, eine Frist zur Klageerhebung zu setzen, war das für den Kläger kein berechtigter Anlass, […] eine Feststellungsklage zu erheben.

Veranlassung zur Klage besteht, wenn der Kläger aufgrund des vorprozessualen Verhaltens des Beklagten annehmen muss, er werde ohne Klage nicht zu seinem Recht kommen […].

Mit der Feststellungsklage hat der Kläger sein Interesse an einer für ihn günstigen Kostengrundentscheidung, die die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens umfasst, verfolgt. Ein solches Vorgehen wird als zulässig erachtet, wenn der Beklagte nach der selbständigen Beweiserhebung eine Handlung vornimmt, die das Interesse des Klägers entfallen lässt, den Beklagten hierauf klageweise in Anspruch zu nehmen […]. Hintergrund ist, dass das Gesetz – abgesehen von dem Fall des § 494a Abs. 2 ZPO – nicht die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Kostenentscheidung herbeizuführen, es insbesondere auch nicht statthaft ist, ein solches Verfahren für erledigt zu erklären.

Zur Erhebung einer solchen Feststellungsklage wegen der angefallenen Kosten hat ein Kläger dementsprechend nur dann Anlass, wenn er zuvor ein berechtigtes Interesse daran gehabt hatte, den Beklagten auf Nachbesserung gemäß dem Ergebnis des Beweisverfahrens klageweise in Anspruch zu nehmen Das setzt wiederum voraus, dass die Gegenseite durch ihr Verhalten Veranlassung zu einer solchen Leistungsklage gegeben hatte.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Der Kläger konnte und durfte aufgrund des Verhaltens der Beklagten nicht davon ausgehen, dass er seinen gewährleistungsrechtlichen Nachbesserungsanspruch nicht ohne Klage würde durchsetzen können. Das ergab sich weder aus deren vorprozessualen Verhalten noch aus dem Vorbringen im selbständigen Beweisverfahren.

Die Beklagte hat vielmehr sowohl vorprozessual als auch während des Beweissicherungsverfahrens bekundet, zur Überprüfung der Mängelrügen und zur Nachbesserung etwaig vorhandener Mängel bereit zu sein. Mehr war von ihr entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu verlangen. […]

In der Gesamtschau durfte der Kläger deshalb den Fristsetzungsantrag der Beklagten nicht zum Anlass nehmen, die vorliegende Feststellungsklage zu erheben. Vielmehr musste er erkennen, dass die Beklagte mit diesem Antrag ihr berechtigtes Interesse daran verfolgte, eine für sie günstige gerichtliche Entscheidung über die Kosten des Beweisverfahrens herbeizuführen.“

Anmerkung

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass es mit dem heutigen Verständnis und der heutigen Handhabung und Bedeutung des selbständigen Beweisverfahren kaum zu vereinbaren ist, dass die ZPO im selbständigen Beweisverfahren keine Möglichkeit einer Kostenentscheidung auf gemeinsamen Antrag  der Beteiligten (entsprechend § 91a ZPO bzw. § 81 FamFG) vorsieht.

tl;dr: Hat der Käufer dem Verkäufer keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt, fehlt es i.d.R. an einem Anlass zur Klageerhebung i.S.d. § 93 ZPO.

Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 15.12.2015 – 28 W 41/15. Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC BY-SA 2.0