OLG Hamm: Urkundenprozess bei Annahmeverzugsvergütung und Unvermögenseinwand

Seit Langem wieder eine interessante Entscheidung zum Urkundenprozess ist das Urteil des OLG Hamm vom 13.03.2017 – 8 U 48/16, dem ein eher kurioser Sachverhalt zugrunde liegt. In der Entscheidung selbst geht es um die Zulässigkeit einer im Urkundenprozess erhobenen Vergütungsklage unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs und die Anforderungen an den Nachweis des Unvermögens i.S.d. § 297 BGB.
Sachverhalt
Die beklagte Sparkasse schloss mit dem Kläger einen Anstellungsvertrag, nach dessen Inhalt der Kläger für einen Zeitraum von fünf Jahren als Vorstand für die Beklagte tätig sein und ein jährliches Gehalt von rund 240.000 EUR erzielen sollte. Die BaFin hatte bis zum Vertragsschluss nur vorläufig erklärt, gegen die Bestellung des Klägers im Hinblick auf die nach § 25c Abs. 1 KWG erforderliche Eignung keine Bedenken zu haben, da der Kläger versichert hatte, bei seinem vorherigen Arbeitgeber direkt unterhalb der Vorstandsebene für das risikorelevante Kreditgeschäft zuständig gewesen zu sein. Eine auflösende oder aufschiebende Bedingung wurde nicht in den Vertrag aufgenommen. Dann kam es, wie es kommen musste: Nachdem die Beklagte die beabsichtigte Bestellung des Klägers förmlich bei der BaFin gem. § 24 KWG angezeigt hatte, forderte die BaFin Nachweise für die Erfahrung des Klägers im risikorelevanten Kreditgeschäft. Ein vom Kläger vorgelegtes Schreiben seines vorherigen Arbeitgebers reichte der BaFin insoweit als Nachweis nicht aus, so dass die BaFin androhte, im Falle einer Bestellung des Klägers die notwendigen Schritte zu unternehmen und ggf. ein Abberufungsverfahren gegen den Kläger zu betreiben (§§ 36, 35, 33 KWG). Obwohl der Kläger anbot, die nach Ansicht der BaFin fehlenden Qualifikationen nachzuholen bzw. nachzuweisen, bekam die Beklagte „kalte Füße“ und kündigte den Anstellungsvertrag fristlos und focht diesen gem. § 123 BGB wegen arglistiger Täuschung an. Dagegen erhob der Kläger Feststellungklage mit dem Ziel, die Unwirksamkeit der erklärten Kündigung und Anfechtung feststellen zu lassen. Damit hatte der Kläger in erster Instanz Erfolg. Da die Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Berufungsbegründungsfrist versäumten, wurde die Berufung als unzulässig verworfen, der Verwerfungsbeschluss vom BGH bestätigt. Der Kläger nimmt die Beklagte nun für einen Teilzeitraum im Urkundenprozess auf Annahmeverzugslohn in Anspruch. Die Beklagte beruft sich darauf, dass der Kläger gem. § 297 BGB nicht in der Lage gewesen sei, die geschuldete Leistung zu erbringen. Das Landgericht hat der Klage mit Vorbehaltsurteil stattgegeben, wogegen sich die Beklagte mit der Berufung wendet.

Die Besonderheit des Urkundenprozesses liegt darin, dass es den Prozess in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil (dem Urkundenprozess) sind als Beweismittel nur Urkunden zugelassen, § 595 ZPO. Die klagende Partei muss daher alle (streitigen) anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden belegen können. Einwendungen der beklagten Partei sind ebenfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie diese durch Urkunden oder, wenig relevant, durch Parteivernehmung belegen kann. Andere Einwendungen (die nicht unstreitig sind und nur mittels Zeugen oder Sachverständigengutachten bewiesen werden können) bleiben zunächst außer Betracht. Soweit die Klage danach begründet ist, endet der Urkundenprozess gem. § 599 ZPO mit einem Vorbehaltsurteil. Darin wird dem Kläger der Anspruch zugesprochen und dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten, soweit er dem Anspruch widersprochen hat. Über die Einwendungen des Beklagten wird erst im Nachverfahren Beweis erhoben, z.B. durch Zeugenvernehmung oder Sachverständigengutachten. Das Nachverfahren endet mit einem Endurteil. In diesem wird das Vorbehaltsurteil entweder für vorbehaltlos erklärt oder aber aufgehoben und die Klage abgewiesen (§§ 600 Abs. 2 i.V.m. 302 Abs. 4 ZPO). Der Vorteil des Urkundenprozesses liegt darin, dass die klagende Partei auf diesem Weg vielfach relativ schnell zu einem Urteil kommt. Bestehen Zweifel an der Solvenz der beklagten Partei, kann sie aus dem Vorbehaltsurteil vollstrecken kann (häufig in Form der Sicherungsvollstreckung gem. § 720a ZPO, wobei selbstverständlich § 717 Abs. 2 ZPO zu beachten ist) und dem Nachverfahren gelassen entgegensehen, auch wenn sich dies lange hinzieht. Fraglich war hier, ob der Kläger tatsächlich alle (streitigen) Anspruchsbegründenden Tatsachen mit Urkunden belegen konnte und ob die Beklagte ggf. mit Urkunden belegen konnte, dass der Kläger gem. § 297 BGB gar nicht in der Lage war, die geschuldete Leistung zu erbringen.
Entscheidung
Das OLG hat die Berufung in einem geradezu lehrbuchartigen Urteil zurückgewiesen.
  1. Die Klage sei zunächst im Urkundenprozess zulässig erhoben:

„Nach § 592 ZPO kann ein Anspruch, der die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat, im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn sämtliche zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können.

Dabei können Lücken durch unstreitige oder zugestandene Tatsachen geschlossen werden, solange zumindest eine Urkunde vorgelegt wird […].

Diesen Anforderungen genügt die erhobene Klage, die auch die nach § 593 Abs. 1 ZPO erforderliche Erklärung enthält, dass im Urkundenprozess geklagt werden soll.“

  1. Der Kläger habe die anspruchsbegründenden Voraussetzungen auch durch Urkunden belegt:

„a) Das wirksame Zustandekommen des Vertrags begegnet keinerlei Zweifeln, solche sind auch nicht geltend gemacht worden. Der Vertragsinhalt ist urkundlich belegt und im Übrigen auch unstreitig. […]

Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung […] des Landgerichts Bielefeld vom 13.03.2015 […] steht im Verhältnis zwischen den Parteien fest, dass der vorgenannte Vertrag weder durch die Kündigung der Beklagten vom 28.08.2014 beendet wurde noch aufgrund der im selben Schreiben ausgesprochenen Anfechtung nichtig ist. […]

b) Die Beklagte hat sich mit der Annahme der Dienste des Klägers im Sinne von § 615 S. 1 BGB in Verzug befunden.

Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Insoweit genügt gemäß § 295 Satz 1 BGB ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde. Nicht einmal ein wörtliches Angebot ist erforderlich, wenn dieses eine bloße Formalie darstellen würde, sofern im Einzelfall offenkundig ist, dass der Gläubiger auf seiner Weigerung in jedem Fall beharren wird [...].

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 28.08.2014 mitgeteilt, dass eine Erfüllung seiner Diensttätigkeit nicht in Betracht komme, da die BaFin mit Schreiben vom 31.07.2014 für den Fall seiner Berufung als Vorstandsmitglied ein Abberufungsverfahren angedroht habe. Das Schreiben enthält die außerordentliche Kündigung sowie die Anfechtung des Dienstvertrags. […]

Obgleich es danach eines wörtlichen Angebots des Klägers nicht mehr bedurft hätte, wäre ein solches konkludent dadurch erfolgt, dass er am 16.09.2014 Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und der Anfechtung erhoben hat. Eine derartige Klagerhebung kann zugleich ein konkludentes Angebot der Leistungserbringung darstellen […]

  1. Zuletzt habe die Beklagte mit im Urkundenprozess statthaften Beweismitteln auch nicht bewiesen, dass ihr Annahmeverzug wegen fehlenden Leistungsvermögens des Klägers ausgeschlossen ist:

„Gemäß § 297 BGB kommt der Dienstberechtigte nicht in Annahmeverzug, wenn der Dienstverpflichtete außerstande ist, die Dienstleistung zu bewirken. [...] Anknüpfungspunkt ist die vertraglich geschuldete Leistung. Nur in Ausnahmekonstellationen kann sich nach § 242 das Leistungsspektrum des Dienstverpflichteten vorübergehend erweitern […] Gemessen daran spricht viel dafür, dass die Beklagte den Kläger grundsätzlich nicht unterhalb der Organebene hätte beschäftigen müssen. […]

Jedoch hätte die Beklagte mittels Urkunden belegen müssen, dass der Kläger gerade auch im streitgegenständlichen Zeitraum […] rechtlich oder tatsächlich nicht in der Lage war, einen Vorstandsposten bei ihr zu bekleiden. […] Der positive Nachweis des Unvermögens im Sinne von § 297 BGB erfordert […] mehr als die bloße Nichterweislichkeit des Leistungsvermögens.

a) Insoweit ist bereits nicht zweifelsfrei, ob in einer etwaigen fehlenden Eignung im Sinne von § 25c KWG ein rechtliches Leistungshindernis im Sinne von § 297 BGB zu sehen wäre. Denn um das rechtliche Unvermögen einer Berufstätigkeit zu begründen, muss eine Rechtsnorm dies aus Gründen der Rechtssicherheit klar und deutlich zum Ausdruck bringen [...]

b) Aber selbst wenn man in einer objektiv fehlenden Eignung im Sinne von § 25c KWG ein Leistungshindernis im Sinne von § 297 BGB sähe, hätte die Beklagte dessen tatsächliches Vorliegen hier nicht durch Urkunden belegt. [...] Zwar erscheint es grundsätzlich denkbar, im Rahmen freier Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) aus dem Nichtvorliegen von Anhaltspunkten für eine Tatsache auf deren Nichtvorhandensein zu schließen. Dies kommt vorliegend aber jedenfalls im Urkundenprozess nicht in Betracht, da es urkundlich belegte Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Kläger über die für notwendig gehaltenen Erfahrungen verfügt haben könnte. [...] Denn aus dem Schreiben der [früheren Arbeitgeberin] ergibt sich, dass der Kläger unmittelbar unterhalb der Vorstandsebene Kompetenzen ausübte, die zwar nicht im Schwerpunkt, jedoch als Teil seiner Aufgabe die Mitwirkung an Kreditentscheidungen beinhalteten. [...]

Die Frage, ob der Kläger bei [seiner vorherigen Arbeitgeberin] die erforderlichen Erfahrungen gesammelt hatte, wird sich allenfalls durch eine weitere Beweisaufnahme klären lassen. Allein aufgrund der vorliegenden Dokumente lässt sich diese Frage nicht beantworten.

c) Das Schreiben der BaFin [...] als solches begründete kein Leistungsunvermögen des Klägers. Ebenso wie ein gesetzliches muss auch ein behördliches Beschäftigungsverbot diese Rechtsfolge klar und deutlich zum Ausdruck bringen, um ein rechtliches Unvermögen begründen zu können. Es muss sich um eine hoheitliche Maßnahme handeln, die dem betroffenen Arbeitnehmer förmlich bekannt gegeben wird (vgl. § 41 Abs. 1 VwVfG) und ihm die von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verbürgte Möglichkeit einräumt, gegen das Beschäftigungsverbot den Rechtsweg zu beschreiten, sofern nicht Völkerrecht entgegensteht (...). Diese Voraussetzungen lassen sich für das ausdrücklich nur als Vorankündigung formulierte, sich einer weiteren Klärung noch nicht verschließende Schreiben der BaFin [...] nicht bejahen, zumal dieses ausschließlich an die Beklagte gerichtet war.“

Anmerkung
Nichts bahnbrechend Neues, aber eine Erinnerung daran, dass der Urkundenprozess ein nach wie vor stark unterschätztes prozesstaktisches Mittel ist. Wobei der hier vorliegende Fall, in dem die Beklagtenseite uneingeschränkt solvent ist, wohl eher nicht zu den klassischen Anwendungsfällen gehören dürfte. Der Originalsachverhalt wird übrigens dadurch noch verwickelter, dass die Sparkasse jetzt eine Nichtigkeitsklage gegen das rechtskräftige Urteil über die Unwirksamkeit der Kündigung erhoben hat, weil die Klage ihr nicht wirksam zugestellt worden sei. Irgendwann werden die Prozesskosten wohl die Vergütung für die fünf Jahre übersteigen… Wen die von der Regionalpresse genüsslich ausgebreiteten Details des Verfahrens interessieren, der findet hier einen Link, aus dem sich der Name der Beklagten ergibt. tl;dr: Wird Annahmeverzugslohn oder -vergütung im Urkundenprozess eingeklagt, muss auch der Unvermögenseinwand gem. § 297 BGB durch Urkunden beweisen werden. Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 13.03.2017 – 8 U 48/16. Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm | flickr.com | CC BY 2.0