OLG Hamm: Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen und Schweigepflichtentbindung

Anders als im Strafprozess steht im Zivilprozess auch Bankangestellten aufgrund des Bankgeheimnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO. Von der sich daraus ergebenden Verschwiegenheitspflicht können die Parteien einen Geheimnisträger aber entbinden, § 385 Abs. 2 ZPO. Mit Beschluss vom 03.03.2017 – 30 W 1/17 hat sich das OLG Hamm kürzlich näher damit befasst, wann das Zeugnisverweigerungsrecht entfällt aus beruflichen Gründen entfällt und wer den zur Verschwiegenheit verpflichteten Zeugen von der Schweigepflicht entbinden kann.
Sachverhalt
Der Kläger nahm seine geschiedene Ehefrau auf Zahlung in Anspruch und behauptete dazu, er habe ihr ein Darlehen zur Verfügung gestellt. Zum Beweis berief er sich auf ein – von der Beklagten bestrittenes – Gespräch zwischen den Parteien in Anwesenheit des Bankberaters und des Steuerberaters der Parteien. In dem Gespräch sei erörtert worden, dass das Geld nicht dauerhaft in der Gesellschaft der Beklagten verbleiben solle. Die Beklagte legte in der Folge einen für den Rechtsstreit erstellten Vermerk des Zeugen über ein Telefonat mit dem Steuerberater vor, in dem angemerkt ist, dem Zeugen sei eine solche Darlehensgewährung nicht bekannt. Sie entband den Bankberater aber nicht von der Schweigepflicht. Dieser verweigerte deshalb unter Berufung auf § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO das Zeugnis. Mit Zwischenurteil erklärte das Landgericht die Zeugnisverweigerung für unrechtmäßig und führte dazu aus, es sei lediglich ein beide Parteien schützender Geheimnisbereich geschaffen worden, der nicht auf eine Partei beschränkt werden könne, außerdem sei der Inhalt des Gesprächs beiden Parteien bekannt und schon in öffentlicher Verhandlung erörtert worden. Gegen das Zwischenurteil wendete sich der Zeuge mit der sofortigen Beschwerde.

Zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte ergeben sich aus §§ 383 Abs. 1 Nr. 1-6 und § 384 Ziff. 1-3 ZPO (im Gegensatz zur StPO unterscheidet die ZPO nicht zwischen Aussageverweigerungs- und Zeugnisverweigerungsrechten). Der Zeuge hatte sich hier auf § 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO berufen, in dessen Anwendungsbereich er als Bankberater auch fällt. Allersdings hatte der Kläger den Zeugen konkludent mit dem Beweisantritt von seiner Schweigepflicht entbunden. Fraglich war daher, ob der Zeuge deshalb aussagen durfte oder ob ihn zusätzlich auch die Beklagte von der Schweigepflicht entbinden musste. Das hatte das Landgericht verneint und mit Zwischenurteil (§ 387) die Zeugnisverweigerung für unrechtmäßig erklärt. Dagegen wendete sich der Zeuge mit der sofortigen Beschwerde. (Achtung Sonderfall: Gegen Zwischenurteile ist die sofortige Beschwerde gem. §§ 567 ff. ZPO statthaft - eine wichtige Ausnahme von der Daumenregel, dass gegen Urteile die Berufung und gegen Beschlüsse die (sofortige) Beschwerde statthaft ist.)
Entscheidung
Das OLG hat die Zeugnisverweigerung für rechtmäßig erklärt:

„1.Beweisthema sollen zunächst Umstände sein, die dem Beschwerdeführer im Sinne des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO anvertraut worden sind und damit grundsätzlich seinem Zeugnisverweigerungsrecht unterfallen, da ein Bankangestellter kraft vertraglicher Vereinbarung der Bank mit dem Kunden zur Geheimhaltung verpflichtet ist […].

Denn anvertraut in diesem Sinne ist dem Geheimnisträger alles, was ihm gelegentlich seiner Berufsausübung bekannt geworden ist, während nicht anvertraut alles das ist, was er als Teil der Öffentlichkeit wahrgenommen hat oder was ihm privat bekannt geworden ist […]. Nach dem – streitigen – Vortrag des Klägers soll der Beschwerdeführer die unter Beweis gestellten Tatsachen bei einem Gespräch in der Bank von den Parteien erfahren haben, also im Rahmen seiner Berufsausübung.

2. Entgegen der Ansicht des Landgerichts wie auch des Klägers entfällt das Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers nicht deshalb, weil es um Äußerungen ihm gegenüber geht, die beiden Parteien ohnehin bekannt seien.

Diese Auffassung verkennt schon, dass es zwischen den Parteien gerade streitig ist, ob das behauptete Gespräch stattgefunden hat und darin die angeblichen Äußerungen getätigt wurden. Sie unterstellt in unzulässiger Weise das klägerische Vorbringen als zutreffend, weil anderenfalls die Aussage nicht getroffen werden könnte, es gehe ohnehin um den Inhalt eines beiden Parteien bekannten Gesprächs.

Selbst wenn man aber der Auffassung folgte, würde dies nicht dazu führen, dass damit die Verschwiegenheitsverpflichtung des Zeugen entfiele. „Herr des Geheimnisses“ wären dann nur beide Parteien gemeinsam, so dass auch nur sie gemeinsam den Beschwerdeführer von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden könnten.

Dem steht, anders als das Landgericht und der Kläger meinen, nicht entgegen, dass es vorliegend um einen Streit der beiden „Herren des Geheimnisses“ selbst über den Inhalt des Gesprächs geht. Denn daraus folgt nicht, dass das Interesse der Parteien an einer Verschwiegenheit des Beschwerdeführers entfällt, wie sich auch gerade daraus ergibt, dass die Beklagte es ablehnt, ihn von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung zu entbinden. Ob sie dies – insbesondere auch unter Berücksichtigung dessen, dass sie selbst einen „schriftliche Aussage“ (bzw. einen Aktenvermerk) des Beschwerdeführers im Rechtsstreit vorgelegt hat – berechtigt verweigert, kann aber allenfalls nach den Grundsätzen über die Beweisvereitelung berücksichtigt werden […]

3. Schließlich steht einem Zeugnisverweigerungsrecht des Beschwerdeführers auch nicht entgegen, dass das Gespräch, welches Beweisthema ist, bereits in öffentlicher Verhandlung erörtert worden und auch schon Gegenstand einer in öffentlicher Verhandlung stattgefundenen Beweisaufnahme gewesen ist.

Dabei kann dahinstehen, ob der Umstand, dass das Anvertraute auch anderen bekannt oder gar allgemein bekannt ist, überhaupt den Geheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden vermag […]. Denn dies kann allenfalls dann der Fall sein, wenn bereits offenkundig allgemein bekannt ist, welche Wahrnehmungen der Geheimnisträger selbst betreffend das Beweisthema getätigt hat. […]

Allein der Umstand, dass nur andere Personen, denen das Geheimnis auch bekannt sein mag, dieses schon öffentlich preisgegeben haben mögen, lässt hingegen den Geheimnischarakter dieser Tatsachen nicht entfallen. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO macht die Verschwiegenheitspflicht des Amtsträgers nicht davon abhängig, ob auch weitere Personen dieselbe Wahrnehmung machen und/oder nachfolgend über diese öffentlich berichten. Dies wäre auch nicht praktikabel, da die Beurteilung, ob dem Amtsträger ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, dann gegebenenfalls von einer vorherigen Beweiswürdigung anderer Beweismittel abhängig wäre.“

Anmerkung
Wie das OLG deutlich anklingen lässt, verlagert sich der Streit damit auf die Frage, ob das Verhalten der Beklagten, einen Vermerk des Zeugen vorzulegen, den Zeugen gleichzeitig aber nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, die Voraussetzungen einer Beweisvereitelung erfüllt (s. zur Beweisvereitelung auch hier). Dafür spricht hier manches, denn nach der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 26.09.1996 - III ZR 56/96) darf die Weigerung, den Zeugen von der Schweigepflicht zu entbinden, nicht willkürlich sein. Eine Beweisvereitelung kommt danach insbesondere nicht in Betracht, wenn die Weigerung nachvollziehbar ist. Das Verhalten der Klägerin, sich selbst einerseits in Form des Vermerks mittelbar auf den Zeugen zu berufen und diesen andererseits nicht von der Verschwiegenheit zu entbinden, dürfte nicht nachvollziehbar und angesichts des darin liegenden widersprüchlichen Verhaltens wohl willkürlich sein. tl;dr: Das Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen (§ 383 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO) entfällt nicht schon deshalb, weil es um einen Streit zwischen den „Herren des Geheimnisses“ geht oder weil der streitige Umstand bereits in öffentlicher Verhandlung erörtert wurde. Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss vom 03.03.2017 – 30 W 1/17. Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC BY-SA 2.0