OLG Koblenz: Auch unvollständiger PKH-/VKH-Antrag hindert Versäumnisurteil

OLG Koblenz Holger Weinandt CC BY-SA 3.0Hat die beklagte Partei Prozesskostenhilfe beantragt und hat das Gericht vor dem Termin über diesen Antrag nicht entschieden, ist die beklagte Partei in der Regel „ohne ihr Verschulden“ am Erscheinen gehindert (§ 337 ZPO).

Dass man sich darauf aber nicht ohne sorgfältige Prüfung der Sach- und Rechtslage verlassen sollte, ergibt sich nicht nur aus einer aktuellen Entscheidung des BGH, sondern auch aus einem Beschluss des OLG Koblenz vom 16.03.2016 – 11 UF 731/15. Die Entscheidung wurzelt zwar im Familienrecht – weshalb die Terminologie § 113 Abs. 5 FamFG folgt – in der Sache geht es aber allein um eine zivilprozessuale Frage.

Sachverhalt

Der Antragsgegner war – nachdem er keine Verteidigungsbereitschaft angezeigt hatte – durch Versäumnisbeschluss des Amtsgerichts zur Zahlung von Kindsunterhalt verpflichtet worden. Dagegen hatte er form- und fristgerecht Einspruch eingelegt, diesen jedoch nicht begründet. Außerdem hatte er eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.

Im Einspruchstermin wies das Gericht darauf hin, dass die Erfolgsaussicht des Einspruchs ohne Begründung nicht zu beurteilen sei und verwarf den Einspruch. Dagegen wendete sich der Antragsgegner mit der Beschwerde.

Gegenstand war hier eine Familienstreitsache i.S.d. § 112 FamFG. Deshalb galt zwar die ZPO, (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG), allerdings werden teilweise andere Bezeichnungen verwendet (§ 113 Abs. 5 FamFG). Der Einfachheit halber wird hier aber die Terminologie der ZPO verwendet.

Gegen den Beklagten war im schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO) ein Versäumnisurteil ergangen, da dieser nicht (vertreten durch einen Rechtsanwalt, § 114 FamFG) angezeigt hatte, sich gegen die Klage verteidigen zu wollen. Gegen das Versäumnisurteil hatte der Beklagte gem. § 338 ZPO Einspruch eingelegt. Da der Einspruch frist- und formgerecht war (§ 341 ZPO), hatte das Gericht einen Einspruchstermin anberaumt, § 341a ZPO. Damit war der Prozess gem. § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt, in der er sich vor Eintritt der Versäumnis befand.

Außerdem hatte der Beklagten Prozesskostenhilfe beantragt. Prozesskostenhilfe gem. §§ 114 ff. ZPO ist eine besondere Form der Sozialhilfe (früher deshalb auch „Armenrecht“ genannt). Sie soll auch wenig bemittelten Personen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglichen. Neben hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder -verteidigung setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe voraus, dass die antragstellende Partei bedürftig ist.

Über die Prozesskostenhilfe hatte das Gericht nicht entschieden, da der Einspruch nicht begründet war. Da das Gericht deshalb nicht wusste, wie sich der Beklagte verteidigen wollte, konnte es die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung nicht beurteilen. Nachdem in dem Einspruchstermin der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht erschienen war, hatte das Gericht gegen den Beklagten ein sog. zweites Versäumnisurteil erlassen, § 345 ZPO.

Dagegen hatte der Beklagte Berufung eingelegt und sich u.a. darauf berufen, das Gericht hätte zunächst über seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe entscheiden müssen. Ohne eine Entscheidung darüber hätte das Gericht seinen Einspruch nicht verwerfen dürfen, sondern gem. § 337 ZPO die Verhandlung vertagen müssen.

Entscheidung
Das OLG hat den Verwerfungsbeschluss aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen:

„Die Voraussetzungen für den Erlass einer zweiten Versäumnisentscheidung haben nicht vorgelegen. Nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 345, 333 ZPO setzt der Erlass einer zweiten Säumnisentscheidung voraus, dass der betreffende Beteiligte nicht erscheint oder – ordnungsgemäß nach §§ 114 Abs. 1, 112 Nr. 1 FamFG anwaltlich vertreten – nicht verhandelt, die Säumnisentscheidung nicht aus den in § 335 ZPO genannten Gründen unzulässig ist und die Sache nicht nach § 337 ZPO zu vertagen war.

Wird die Ablehnung eines Verfahrenskostenhilfegesuchs unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung oder gar in diesem selbst bekannt gegeben und dann in diesem Termin gegen die nicht ordnungsgemäß vertretene Partei ein Versäumnisurteil erlassen, liegt ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs vor mit der Folge, dass kein Fall der Säumnis gegeben war und die Sache nach § 337 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu vertagen ist […].

Das muss erst recht gelten, wenn vor Erlass der Säumnisentscheidung über das Prozess- bzw. hier Verfahrenskostenhilfegesuch noch gar nicht entschieden worden ist. Zwar wird vertreten, dass, solange über ein Prozesskostenhilfegesuch noch nicht entschieden ist, eine Partei bei der Terminsvorbereitung grundsätzlich in Betracht ziehen muss, dass der Antrag möglicherweise kurz vor dem Termin oder noch im Termin zurückgewiesen wird […].

Wenn das Gericht das Gesuch aber erst im Termin zurückweist, muss es vor einer Säumnisentscheidung schon unter dem Blickwinkel von Art. 19 Abs. 4 GG, die Möglichkeit einzuräumen, den Beschluss anzufechten und durch Nachschieben einer Begründung im Rechtsmittelverfahren (§ 113 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO), eine stattgebende Entscheidung zu erhalten. Weil dann aber in jedem Fall zu vertagen ist, ist über die Verfahrenskostenhilfe vor der Hauptsache zu entscheiden, es sei denn, die Erfolglosigkeit ist offensichtlich oder das Gericht hat zuvor auf die fehlende Erfolgsaussicht hingewiesen […].“

Anmerkung

Die schematische Betrachtung des OLG Koblenz überzeugt nicht. § 337 ZPO spricht davon, dass das Gericht die Verhandlung zu vertagen hat, wenn „die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist“. Wird erst kurz vor dem oder im Termin über das Gesuch entschieden, ist die Partei i.d.R. ohne ihr Verschulden am Erscheinen gehindert, weil sie nicht sicher wissen kann, wie das Gericht ihr Gesuch bescheiden wird. Ihr muss deshalb Gelegenheit gegeben werden, zu entscheiden, ob sie Rechtsmittel einlegen, von einer weiteren Verteidigung absehen oder das Verfahren auf eigene Kosten weiter betreiben will.

Hier konnte das Gericht die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung aber schon gar nicht prüfen, weil noch gar nicht klar war, wie sich der Antragsgegner verteidigen wollte. Es war daher völlig offensichtlich, dass der VKH-Antrag zurückgewiesen werden würde, deshalb bedurfte es m.E. auch keines dahingehenden Hinweises. Dann fehlt es aber an einer Ungewissheit über den Ausgang des PKH-Prüfungsverfahrens. Schon allein daraus, dass der Antrag ersichtlich unvollständig ist, ergibt sich daher ein Verschulden, das eine Anwendung von § 337 ZPO ausschließt.

Dass sich bei der Frage des Verschuldens i.S.d. § 337 ZPO bei einem PKH-Antrag eine schematische Betrachtung verbietet, ergibt sich auch aus der eingangs erwähnten Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Lässt die Partei die Terminsgebühr gem. Nr. 3104 VV RVG entstehen, ist sie nicht i.S.d. § 337 ZPO entschuldigt.

tl;dr: Erscheint ein Bevollmächtigter im Einspruchstermin nicht, weil über seinen PKH-Antrag nicht erschienen ist, darf i.d.R. kein zweites Versäumnisurteil ergehen. Das soll nach Ansicht des OLG Koblenz sogar dann gelten, wenn der Einspruch nicht begründet ist.

Anmerkung/Besprechung, OLG Koblenz, Beschluss vom 16.03.2016 – 11 UF 731/15. Foto: Holger Weinandt | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0