OLG München: Bindungswirkung und Willkürlichkeit eines Verweisungsbeschlusses

Zum Abschluss der kleinen Reihe erscheint mir noch der Beschluss des OLG München vom 06.08.2014 – 34 AR 97/14 erwähnenswert. Darin hat das OLG München im Ergebnis Willkür bejaht und einen Verweisungsbeschluss daher für unwirksam gehalten.

Gebäude des OLG MünchenZunächst war in dem Verfahren ein Mahnbescheid über gut 6.000 EUR beantragt und auch erlassen worden. Nachdem der Beklagte dagegen Widerspruch eingelegt hatte, waren die Akten an das Landgericht München I abgegeben worden. (Erst) in der mehrere Wochen nach Eingang der Akten ebenfalls beim Landgericht eingegangenen Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 1 ZPO) hatte die Klägerin in der Hauptsache nur noch gut 4.000 EUR geltend gemacht und die „Abgabe“ an das Amtsgericht beantragt. Nach Anhörung der Parteien war das Landgericht dem nachgekommen und hatte den Rechtstreit verwiesen, seinen Beschluss aber nicht begründet.

Das Amtsgericht seinerseits bezog sich auf § 261 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO, erklärte sich – wiederum nach Anhörung der Parteien – für unzuständig und verwies den Rechtsstreit zurück an das Landgericht. Das Landgericht legte die Sache schließlich mit ausführlicher Begründung gem. § 36 Ziff. 6 ZPO dem OLG vor, damit dieses das zuständige Gericht bestimme.

Das OLG München hielt den Verweisungsbeschluss des Landgerichts (an das Amtsgericht) für willkürlich und das Landgericht daher für an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts (an das Landgericht) gebunden.

„Sachlich zuständig ist das Landgericht; dieses ist an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 9.7.2014 gebunden, der willkürfrei von der Unerheblichkeit späterer – nach Akteneingang beim Streitgericht – Anspruchsreduzierung unter die Wertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG ausgeht. Das Amtsgericht seinerseits konnte an das Landgericht zurückverweisen, weil dessen Beschluss keine Bindungswirkung entfaltete […].

Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von verfahrensverzögernden Zuständigkeitsstreitigkeiten unanfechtbar. Zuständig ist grundsätzlich das Gericht, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Beschluss verwiesen worden ist. Dies ergibt sich aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage von § 281 Abs. 1 ZPO ergangener Beschluss für das Gericht, an das die Sache verwiesen wird, bindend ist; dies hat auch der nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO angerufene Senat zu beachten.

Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen dieser Vorschrift ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich erachtet werden muss. Hierfür genügt aber nicht schon, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkürlich ist er nur, wenn ihm jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist […].

Das Landgericht hat nach Gewährung rechtlichen Gehörs auf Klägerantrag die Verweisung ausgesprochen und sich auf die fehlende sachliche Zuständigkeit (§ 23 Nr. 1 GVG) gestützt. Seiner Entscheidung ist indessen nicht zu entnehmen, dass es sich in diesem – dafür maßgeblichen – Zeitpunkt mit den dann später anlässlich der Vorlage nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO behandelten Fragen auseinandergesetzt hätte. Die Klägerin weist in der Begründung deutlich auf den klageweise noch verfolgten Anspruch hin, der um den Betrag aus der im Mahnbescheid enthaltenen Rechnung vom 28.8.2012 (über 2.489,20 €) ermäßigt ist (Abschn. B.I.; S. 15 Rn. 39), verbunden mit der rechtlichen Folgerung, das Verfahren sei an das Amtsgericht “abzugeben“ (Rn. 40), was sich in ihrer Antragstellung (S. 2) niederschlägt. In diesem Fall drängte es sich aber auf, den maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit jedenfalls dann näher zu erörtern, wenn der herrschenden Auffassung nicht gefolgt wird. Fehlende Begründung in einer für die Zuständigkeit entscheidenden Frage – ohne dass aus dem sonstigen Akteninhalt erkennbar wäre, worauf die richterliche Entscheidung beruht – erscheint aber (objektiv) willkürlich und schließt damit Bindung aus […]. Denn Willkürfreiheit kann unter diesen Umständen vom Senat nicht überprüft werden.

Inhaltlich hat der Senat in einer vergleichbaren Sache […] die Rechtsansicht des Amtsgerichts geteilt und als für die Zuständigkeitsvoraussetzungen maßgeblich den Akteneingang beim Landgericht bezeichnet […].

Indessen wäre das Landgericht nicht gezwungen, dieser aus der gesetzlichen Lage […] keineswegs zweifelsfrei abzuleitenden Ansicht zu folgen. […].“

Im Gegensatz zur am Anfang besprochenen Entscheidung des OLG Hamm fehlt es hier vollständig an einer Begründung. Und wenn dann das Ergebnis noch der herrschenden Ansicht widerspricht, halte ich die Ansicht des OLG München, man könne Willkür dann nicht ausschließen für überzeugend.

Ich frage mich nur, warum die Kollegen am Landgericht ihren (ersten) Beschluss nicht wenigstens mit einem Satz begründet haben.

Anmerkung/Besprechung, OLG München, Beschluss vom 06.08.2014 – 34 AR 97/14.

Tags: © Guido Radig / wikimedia.org