OLG München: Keine PKH, solange Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO (noch) möglich ist

Mit Beschluss vom 06.08.2014 – 7 U 1278/14 hat sich das OLG München mit der Frage befasst, ob einem Berufungsbeklagten schon Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, wenn das Berufungsgericht noch nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren kann.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit immer auch eine hinreichende Erfolgsaussicht voraus (§ 114 ZPO). Dies ist für jede Instanz gesondert zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO). In den Rechtsmittelinstanzen macht § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO hiervon eine Ausnahme, wenn die um PKH nachsuchende Partei in der Vorinstanz obsiegt hat. Dann stellt nach Ansicht des Gesetzgebers allein dieser Erfolg schon eine ausreichende Vermutung dafür dar, dass die Verteidigung gegen das Rechtsmittel des Gegners hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet.

Im konkreten Fall hatte das OLG die Berufung aber gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. § 522 Abs. 2 ZPO ist eine der wichtigsten Vorschriften des Berufungsrechts: Hält das Berufungsgericht die Berufung einstimmig für unbegründet (und misst es der Sache keine grundlegende Bedeutung bei), soll es die Berufung durch Beschluss verwerfen. Es bedarf dann keiner mündlichen Verhandlung. Die Berufung scheitert also quasi schon „ohne Zutun“ des Berufungsbeklagten. Bis 2011 bestimmte § 522 Abs. 3 ZPO a.F., dass ein solcher Beschluss unanfechtbar sei. Seit Mitte 2011 ist gegen den Beschluss gem. §§ 522 Abs. 3, 544 ZPO die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft (wenn die Beschwer 20.000 EUR übersteigt, § 26 Ziff. 8 EGZPO).

Fraglich war nun, ob die Bewilligung von PKH voraussetzt, dass die Berufung nicht schon gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird (sondern es tatsächlich zu einem „richtigen Berufungsverfahren“ kommt).

Zur alten Rechtslage (bis 2011) hat der XII. Zivilsenat des BGH im Jahr 2010 (XII ZB 180/06 und XII ZB 80/08) entschieden, dass dem Berufungsbeklagten PKH nicht mit der Begründung versagt werden, eine Entscheidung über die Zurückweisung der Berufung durch einstimmigen Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) stehe noch aus. Seine damalige Entscheidung hatte der BGH maßgeblich – aber nicht ausschließlich – mit dem Interesse des Berufungsbeklagten an einem unanfechtbaren Beschluss begründet.

Auch zur neuen Rechtslage hält die wohl h.M. in der Literatur angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO daran fest (s. nur Musielak/Fischer, § 119 Rn. 16 a.E.; BeckOK ZPO/Reichling, § 119 Rn. 31.1; Zöller/Geimer, § 119 Rn. 55). Auch der BGH hat bereits mit Beschluss vom 04.07.2013 - IX ZB 66/12 (Rn. 5) zur neuen Rechtslage - allerdings nur „en passant“ - daran festgehalten.

Entscheidung

Trotzdem weist das OLG den PKH-Antrag zurück. Denn die Rechtsverfolgung sei mutwillig:

„Maßgeblich ist […], dass eine Verteidigung des Rechtsmittelgegners nicht notwendig ist und Prozesskostenhilfe deshalb zu verweigern ist, wenn das Berufungsgericht mit der Übersendung der Rechtsmittelschrift darauf hinweist, dass es das Rechtsmittel durch einstimmigen Beschluss zurückweisen will oder wenn […] das Berufungsgericht bei Übersendung der Berufungsbegründung zwar noch nicht darauf hingewiesen hat, dass es nach § 522 Abs. 2 ZPO verfahren will, wenn diese Möglichkeit aber noch besteht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Berufungsbeklagten wie hier durch den Berufungssenat keine Frist zur Äußerung zum gegnerischen Rechtsmittel gesetzt wird.

aa) Die zum Familienrecht ergangenen Entscheidungen des XII. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes […] stehen der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Tragender Grund für die genannten Entscheidungen war die damals geltende Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses (§ 522 Abs. 2 ZPO in der bis 26.10.2011 geltenden Fassung) und das hiermit verbundene Interesse des Rechtsmittelbeklagten daran, durch frühzeitige Erwiderung auf die Rechtsmittelbegründung und durch eigene zusätzliche Argumente die – bis zum Erlass des Zurückweisungsbeschlusses nicht gesicherte – Zurückweisung der Berufung zu fördern. Dieser Vorteil des Verfahrens gem. § 522 Abs. 2 ZPO für den um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Rechtsmittelgegner ist durch die Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz vom 21.10.2011 (BGBl. 2011 I, 2082) entfallen, und hiermit auch die tragende Begründung der genannten Rechtsprechung des BGH.

bb) Seither hat wieder zu gelten, dass unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten (Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 3 GG) zwar eine weitgehende Gleichstellung von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes geboten ist. Der Unbemittelte braucht aber nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch die Kosten berücksichtigt […]. Einer Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert, kann zugemutet werden, zulässige – kostenträchtige – Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn diese wirklich notwendig werden […].

cc) In diesem Sinne bestand im vorliegenden Verfahren zu keinem Zeitpunkt eine Notwendigkeit, beklagtenseits Kosten auslösende Maßnahmen zu ergreifen. Der Beklagte wurde durch den Senat nicht aufgefordert, zur Berufungsbegründung Stellung zu nehmen. Vielmehr wurde den Verfahrensbeteiligten durch den Hinweis des Senats vom 26.06.2014 aufgezeigt, dass die Berufung des Klägers voraussichtlich erfolglos bleiben würde. Keine Rolle spielt insoweit, dass beiden Seiten eine Frist zur Stellungnahme zu diesem Hinweis gewährt wurde. Denn hätte der Senat […] vom Verfahren gem. § 522 Abs. 2 ZPO Abstand genommen, also Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, oder - zunächst - die Parteien zu weiterem Vortrag aufgefordert, wäre in diesem Zeitpunkt [rückwirkend] Prozesskostenhilfe gewährt worden. […]

dd) Bei vernünftiger Abwägung der prozessualen Lage hätte daher ein Prozessbeteiligter, der die Kosten aus eigener Tasche aufbringen muss, Kosten auslösende Maßnahmen unterlassen. Prozesskostenhilfe war daher nicht zu gewähren.“

Anmerkung

Das überzeugt mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Entgegen der Darstellung des OLG stützen sich die zitierten BGH-Entscheidungen nicht ausschließlich auf die Unanfechtbarkeit der Beschlussverwerfung. Denn diese hatte auch nach alter Rechtslage den Vorteil einer Beschleunigung des Berufungsverfahrens. Und der bleibt nach neuer Rechtslage erhalten. Der Berufungsbeklagte dürfte daher auch weiterhin ein Interesse daran haben, dass das Berufungsverfahren gem. § 522 Abs. 2 ZPO abgeschlossen wird. Und dann wird ihm PKH nicht mit der vom OLG München angeführten zu versagen sein.

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde übrigens zugelassen. Ich bin gespannt...

tl;dr: Dem Berufungsbeklagten ist nach Auffassung des OLG München keine Prozesskostenhilfe zu gewähren, solange eine Verwerfung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO noch möglich ist und er noch nicht aufgefordert wurde, zur Berufungsbegründung Stellung zu nehmen.

Anmerkung/Besprechung, OLG München, Beschluss v. 06.08.2014 – 7 U 1278/14. Foto: Waugsberg | wikimedia.org | CC BY-SA 3.0