OLG München: Kosten der Anschlussberufung bei Zurückweisung der Berufung

Foto des OLG MünchenMit einer praktisch sehr relevanten Thematik des Berufungsrechts befasst sich der Beschluss des OLG München vom 11.04.2014 – 23 U 4499/13.

Darin geht es um die Frage, wer die Kosten einer Anschlussberufung trägt, wenn die Berufung selbst gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird.

Statthaftes Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Urteile ist (unter den Voraussetzungen des § 511 Abs. 2 ZPO) die Berufung. Das Berufungsgericht muss jedoch nicht in jedem Fall über die Berufung auch mündlich verhandeln: Hält das Berufungsgericht die Berufung übereinstimmend für unbegründet, soll es gem. § 522 Abs. 2 ZPO die Berufung durch Beschluss zurückweisen, nachdem es zuvor darauf hingewiesen hat, § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Diese Regelung bezweckt, die Berufungsgerichte von erkennbar aussichtslosen Berufungen zu entlasten.

So wollte das OLG hier mit der Berufung verfahren. Die Kosten der Berufung hätte dabei grundsätzlich gem. § 97 ZPO derjenige getragen, der die Berufung eingelegt hatte – der sog. Berufungskläger. Der Berufungsbeklagte hatte hier aber eine sog. Anschlussberufung eingelegt. Mit der Anschlussberufung gem. § 524 ZPO kann  der Berufungsbeklage beantragen, das Urteil zu seinen Gunsten abzuändern. Die Anschlussberufung ist kein eigenständiges Rechtsmittel sondern nur ein Antrag innerhalb der vom Berufungskläger eingelegten Berufung. Deshalb verliert die Anschlussberufung auch ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen, verworfen oder zurückgewiesen wird, § 524 Abs. 4 ZPO.

Durch diese Anschlussberufung hatte sich der Streitwert des Berufungsverfahrens erhöht. Das OLG musste daher auch die Frage beantworten, wer die Kosten der (wegen der Zurückweisung der Berufung) wirkungslos gewordenen Anschlussberufung zu tragen hatte. Wäre über die Berufung (und damit auch die Anschlussberufung) mündlich verhandelt worden, hätten die Parteien gem. §§ 91 ff. ZPO die Kosten von Berufung und Anschlussberufung jeweils in dem Verhältnis getragen, in dem sie unterlegen waren. Hätte der Berufungskläger auf den Hinweis des Gerichts seine Berufung zurückgenommen, hätte er nach § 516 Abs. 3 ZPO die Kosten des gesamten Berufungsverfahrens getragen, wozu auch die Kosten der Anschlussberufung gehören.

Wem waren aber die Kosten der Anschlussberufung aufzuerlegen, wenn die Berufung nicht zurückgenommen wird, sondern das Berufungsgericht über die Berufung entscheidet – diese aber nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist?

Diese Frage ist zwischen den Oberlandesgerichten und in der Literatur sehr umstritten. Selbst die Zivilsenate des OLG München sind insoweit unterschiedlicher Ansicht, wie sich aus den im Beschluss zitierten Entscheidungen ergibt.

Der BGH hat diese Frage in einem Beschluss vom 07.02.2006 – XI ZB 9/05 [Rn. 13] ausdrücklich offen gelassen. In einem Urteil vom 11.03.1981 (GSZ 1/80) hat er zum damaligen Revisionsrecht aber entschieden, dass die Kosten der Anschlussrevision beiden Parteien anteilig zur Last fallen, wenn die Revision vom BGH nicht angenommen wird.

Dem schließt sich das OLG München für den zu entscheidenden Fall an und begründet dies wie folgt:

„Es entspricht einem kostenrechtlichen Grundprinzip, dass der Unterliegende die Kosten eines erfolglos gebliebenen Angriffsmittels zu tragen hat (vgl. etwa § 91 Abs. 1, § 92, § 97 Abs. 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Es gilt unabhängig davon, ob die Rechtshandlung nach sachlicher Prüfung ohne Erfolg verbleibt oder ob es zu einer Sachprüfung deswegen nicht kommt, weil die Rechtshandlung aus verfahrensrechtlicher Sicht unzulässig ist […]. Unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten ist auch die unselbständige Anschlussberufung ein Angriffsmittel. Wenn auch der Anschlussberufungsführer mit seiner Anschließung kein Rechtsmittel im eigentlichen Sinne einlegt, ist doch entscheidend, dass er nicht nur eine Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels, sondern auch eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu seinen Gunsten anstrebt. Damit übernimmt er kostenrechtlich das Risiko für den Misserfolg seines Angriffs […].

Dabei weiß die eine unselbständige Anschlussberufung einlegende Partei von vornherein, dass das Schicksal ihrer Anschlussberufung von der Begründetheitsprüfung des Hauptrechtsmittels abhängt. Sie weiß, dass ihre Anschlussberufung im Falle einer Zurückweisung der Hauptberufung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß § 524 Abs. 4 ZPO wirkungslos wird, selbst wenn die Anschlussberufung in der Sache Erfolg hätte. Damit kann die Partei das Kostenrisiko, das sie mit der Anschlussberufung eingeht, von vornherein abschätzen […]. Will die Partei dieses Risiko vermeiden, kann und muss sie entweder selbst Berufung einlegen, auf das Anschlussrechtsmittel ganz verzichten oder mit der Anschlussberufung zuwarten, ob das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Im Unterschied dazu kann der Berufungsführer bei Einlegung des Rechtsmittels nicht absehen, ob auch die Gegenseite eine – möglicherweise völlig aussichtslose – Anschlussberufung mit unter Umständen erheblichem Streitwert einlegt. Das damit verbundene Kostenrisiko kann der Berufungsführer vorab nicht einschätzen. Es erscheint daher wenig überzeugend, dem Berufungsführer ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten der Anschlussberufung deren Kosten aufzuerlegen.

Dem steht nicht entgegen, dass der Berufungsführer im Falle der Rücknahme seiner Berufung nach § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO auch die Kosten der Anschlussberufung zu tragen hat. In diesem Fall wird die Anschlussberufung durch eine im Belieben des Berufungsführers stehende Prozesshandlung, und gerade nicht durch eine gerichtliche Sachentscheidung, wirkungslos […]. Der Berufungskläger macht durch eine vom Gegner nicht beeinflussbare Rechtshandlung die Anschließung hinfällig und nimmt ihm die Möglichkeit, eine Sachentscheidung über die Anschlussberufung herbeizuführen […].

Soweit die Gegenansicht darauf verweist, es gelte eine Privilegierung des "uneinsichtigen" Berufungsführers zu vermeiden, der trotz Hinweis des Berufungsgerichts seine Berufung nicht zurücknimmt […] vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zum einen beruht es nicht per se auf "Uneinsichtigkeit", wenn ein Berufungsführer auf den Hinweis des Berufungsgerichts das Rechtsmittel nicht zurücknimmt, sondern sich nochmals zur Sache äußert. Vielmehr macht der Berufungsführer damit von seinem Anspruch auf rechtliches Gehör Gebrauch. Zum anderen wird es nicht in jedem Fall kostengünstiger sein, eine gerichtliche Entscheidung (mit der damit verbundenen Kostenquotelung) herbeizuführen. Da die Berufungsrücknahme zu einer Halbierung der Gerichtsgebühren in zweiter Instanz führt, kann im Einzelfall die Rücknahme trotz der damit verbundenen Kostentragungspflicht auch für die Anschlussberufung kostengünstiger sein. Letztlich hängt dies vom Verhältnis der Streitwerte der Haupt- und der Anschlussberufung ab.“

Das halte ich im Ergebnis für richtig und sehr überzeugend. Denn neben den vom OLG angeführten eher teleologischen Argumenten spricht auch die gesetzliche Systematik für dieses Ergebnis. Für den Fall der Rücknahme der Berufung trifft § 516 Abs. 3 ZPO eine Sonderregelung und erlegt dem Berufungskläger die Kosten des Berufungsverfahrens und damit auch der Anschlussberufung auf.

Eine Sonderregelung wie in § 516 Abs. 3 ZPO sieht das Gesetz aber für den Fall der Zurückweisung einer Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO nicht vor. Deshalb gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 91 ff. ZPO: Die Parteien tragen die Kosten abhängig von ihrem Prozesserfolg. Für eine Analogie zu § 516 Abs. 3 ZPO fehlt es schon an einer vergleichbaren Interessenlage, da es einen erheblichen Unterschied macht, ob die Anschlussberufung aufgrund einer Parteihandlung (Rücknahme) oder einer gerichtlichen Entscheidung (Zurückweisung) wirkungslos wird.

Das Gleiche – Anwendung der §§ 91 ff. ZPO – dürfte daher konsequenterweise auch für den dritten in § 524 Abs. 4 ZPO genannten Fall gelten, wenn nämlich die Berufung gem. § 522 Abs.  ZPO als unzulässig verworfen wird (so OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.1989 – 12 U 4270/88). Auch dann wird die Anschlussberufung nämlich durch eine gerichtliche Entscheidung und nicht durch eine Parteihandlung unwirksam.

Anmerkung/Besprechung OLG München, Beschluss vom 11.04.2014 – 23 U 4499/13.

Foto: © Guido Radig / www.wikimedia.org