OLG Naumburg: Beweisführung nicht allein durch Parteianhörung

Olaf Meister wikimediaKaum ein Thema ist in der zivilprozessualen Praxis von so großer Wichtigkeit und gleichzeitig in Literatur und trotz höchstrichterlicher Rechtsprechung so häufig Gegenstand von Kontroversen, wie die richtige Beweiserhebung durch Parteianhörung bzw. Parteivernehmung bei Beweisnot einer oder beider Parteien.

Ein sehr interessanter Beitrag zu dieser Thematik ist das Urteil des OLG Naumburg vom 28.10.2015 – 1 U 73/15.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag – soweit sich der Entscheidung ein Sachverhalt entnehmen lässt – ein Verkehrsunfall zugrunde. Der Kläger behauptete wohl, ein Schaden an seinem PKW beruhe auf einem Unfall infolge eines Straßenschadens. Die Beklagte hatte sich dazu mit Nichtwissen erklärt; die Vernehmung des vom Kläger benannten Zeugen verlief unergiebig.

Das Landgericht verurteilte die Beklagte trotzdem und stützte seine Überzeugung allein auf die Schilderung des Klägers bei dessen persönlicher Anhörung (§ 141 ZPO).

Beiden Parteien stand hier für den Unfallhergang kein Beweismittel zur Verfügung, sie befanden sich daher in sog. „Beweisnot“. Da der Kläger dafür beweispflichtig war, dass der Schaden am PKW auf einem Straßenschaden beruhte, hatte das Gericht den bei dem Unfall anwesenden Kläger gem. § 141 ZPO angehört, dessen Schilderung für überzeugend gehalten und die Beklagte verurteilt.

Die Parteianhörung ist allerdings kein Beweismittel i.S.d. ZPO. Trotzdem ist allgemein anerkannt, dass das Gericht auch den Inhalt einer Parteianhörung im Rahmen der Beweiswürdigung verwerten kann und ggf. muss. Insbesondere in Fällen, in denen für den Inhalt eines Gesprächs oder den Hergang eines Verkehrsunfalls nur einer Seite ein Zeuge zur Verfügung steht, ist aus Gründen der „Waffengleichheit“ die in Beweisnot befindliche Partei gem. § 141 ZPO anzuhören und ggf. gem. § 448 ZPO zu vernehmen.

Hier bestand die Besonderheit aber darin, dass beiden Parteien für den Unfallhergang kein förmliches Beweismittel zur Verfügung stand. Die Beklagte war außerdem nicht anwesend und konnte daher noch nicht einmal zum Unfallhergang angehört werden.

Deshalb stellte sich die Frage, ob das Gericht (auch) in einem solchen Fall seine Überzeugung allein auf den Inhalt der Anhörung des Klägers stützen durfte.

Entscheidung
Das OLG Naumburg hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen:

„Der Kläger ist für sämtliche Anspruchsvoraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig. Dies gilt für den Unfallort, das eigentliche Unfallgeschehen und dafür, dass die geltend gemachten Schäden kausal auf dem Unfallgeschehen beruhen. Für die vorgenannten Umstände stehen dem Kläger keine Beweismittel zur Verfügung. […]

Bei der Darstellung des Ablaufs des Unfallgeschehens handelt es sich somit ausschließlich um Parteivortrag des Klägers. In dieser Situation hat das Landgericht den Kläger gemäß § 141 ZPO angehört. Die der Klage stattgebende Entscheidung hat das Landgericht in den entscheidungserheblichen Punkten ausschließlich auf den Inhalt dieser Anhörung des Klägers gestützt. Darin liegt ein Verfahrensfehler, weil die Parteianhörung kein Beweismittel i.S.d. Zivilprozessordnung darstellt und allein darauf eine Verurteilung bei Bestreiten durch die Beklagte nicht gestützt werden kann […].

Unfallörtlichkeit und Unfallhergang (einschließlich Schaden) hat die Beklagte bereits in der Klageerwiderung (zulässig) mit Nichtwissen bestritten. Wenn das Landgericht seine Entscheidung auf die Angaben des Klägers stützen wollte, hätte es ihn förmlich gemäß § 448 ZPO als Partei vernehmen müssen […], weil die Parteivernehmung – anders als die Parteianhörung gemäß § 141 ZPO – ein Beweismittel darstellt.

Zu erwägen war daher jetzt für den Senat, ob eine förmliche Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO in Betracht kam. Eine förmliche Parteivernehmung kommt in Betracht, wenn eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens der Partei spricht […]. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass Parteianhörung und Parteivernehmung letztlich Hilfsmittel zugunsten der beweisbelasteten Partei in Beweisnot darstellen. Sie sollen im Zweifelsfall für eine „Waffengleichheit“ zwischen den Parteien sorgen, insbesondere dann, wenn der Prozessgegner Beweismittel benennen kann. Dies ist indes vorliegend nicht der Fall. Die Beklagte hat – ohne dass ihr dies zuzurechnen wäre – aus eigener Erkenntnis oder durch Dritte keine Kenntnis über das Unfallgeschehen. Sie befände sich also in der gleichen Situation der Beweisnot.

Vor diesem Hintergrund würde es bei Anordnung der förmlichen Parteivernehmung nicht um die Herstellung von „Waffengleichheit“ gehen, sondern sie würde zu einem Vorteil für den Kläger werden, dem die Beklagte nichts entgegenzusetzen hätte. An die Frage einer Anfangswahrscheinlichkeit sind daher strenge Anforderungen zu stellen. Man müsste erwarten, dass sich irgendein objektivierbarer Anhaltspunkt finden ließe, der für den Vortrag des Klägers sprechen würde. Im vorliegenden Fall gibt es aber – wie ausgeführt – ausschließlich die Bekundungen des Klägers selbst. Kann sich der Prozessgegner (also die Beklagte) mangels Kenntnis nicht einmal selbst als Partei äußern, wird man Feststellungen zur Anfangswahrscheinlichkeit ebenfalls allein nicht auf die Bekundungen der Partei selbst stützen können. Selbst wenn sie im Verfahren konstante Angaben zur Sache macht, lässt sich ein Aussagemotiv für Falschangaben zur Selbstbegünstigung nie ausschließen. Die Plausibilitätskontrolle ergibt allenfalls die Schlüssigkeit des Vortrages […]. Vor diesem Hintergrund kommt im vorliegenden Fall die Anordnung einer förmlichen Parteivernehmung nicht in Betracht […].

Da der Kläger gemessen am Beweismaß des § 286 ZPO nicht den Beweis führen kann, dass sich der Unfall in der von ihm geschilderten Art und Weise ereignet hat, muss eine Haftung der Beklagten daher ausscheiden. Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage insgesamt abzuweisen.“

Anmerkung

Die Ausführungen des OLG erscheinen mir insbesondere im ersten Teil der Begründung ein wenig zu apodiktisch.

Dass das Gericht seine Entscheidung nicht allein auf die Anhörung der Partei stützen dürfe, lässt sich so nicht mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang bringen. So spricht der BGH beispielsweise in einer vergleichsweise aktuellen Entscheidung vom 09.06.2011 – IX ZR 75/10 Rn. 19 davon, erforderlich sei eine „abermalige Anhörung der Parteien zum Zwecke einer Beweiserhebung über den Inhalt des Beratungsgesprächs“, „[a]uf dieser Grundlage“ habe das Berufungsgericht darüber zu befinden, „ob der Kläger den ihm obliegenden Nachweis eines Beratungsfehlers durch den Beklagten geführt hat“.

Für überzeugend halte ich die Entscheidung allerdings im Ergebnis schon, weil sie die (seltene) Konstellation betrifft, dass nicht nur beide Parteien in Beweisnot sind, sondern darüber hinaus auch nur die Anhörung einer Partei überhaupt möglich ist. In solchen Konstellationen erschiene es tatsächlich bedenklich, nur eine der Parteien über den Umweg der Parteianhörung oder -vernehmung aus ihrer Beweisnot zu befreien.

Immer wieder empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang übrigens der Aufsatz von RiBGH a.D. Prof. Dr. Greger in der MDR 2014, 313 ff., der fast alle in Betracht kommenden „Beweisnot-Konstellationen“ und das jeweils sachgerechte Vorgehen darstellt.

tl;dr: Befinden sich beide Parteien in Beweisnot und kann nur eine der Parteien aus eigener Anschauung Angaben zum streitgegenständlichen Geschehen machen, kommt eine Parteianhörung oder -vernehmung zur Beweisführung nicht in Betracht.

Anmerkung/Besprechung, OLG Naumburg, Urteil vom 28.10.2015 – 1 U 73/15. Foto: Olaf Meister (Olaf2), OLG Naumburg, CC BY-SA 4.0