OLG Nürnberg zur Akteneinsicht in Parallelverfahren

Durch die ZIP bin ich auf einen Beschluss des OLG Nürnberg vom 14.01.2014 – 4 VA 2218/13 aufmerksam geworden, in dem es um die Frage des Akteneinsichtsrechts Dritter (§ 299 Abs. 2 ZPO) geht.

Soweit ich den Sachverhalt aus dem Beschluss "herausfiltern" konnte, ging es um zwei Verfahren, in denen dieselbe Anstalt öffentlichen Rechts wegen Swap-Geschäften jeweils gegen eine Bank klagte. Bei Vertragsschluss war aufseiten der Klägerin dieselbe Person aufgetreten, über deren Vertretungsmacht in beiden Verfahren gestritten wurde; die Klägerin machte zudem Ansprüche wegen Falschberatung geltend. Die Beklagte des zweiten Verfahrens (die Antragstellerin) begehrte nun Einsicht in die Akten des ersten Verfahrens; die Klägerin hatte dem widersprochen. Sie hatte insbesondere vermutet, der Antragstellerin ginge es nur darum, der Beklagten des ersten Verfahrens – im Beschluss "Y" genannt – Informationen über das weitere Verfahren zu verschaffen.

Die Parteien eines Zivilrechtsstreits haben gem. § 299 Abs. 1 ZPO ohne weitere Voraussetzungen einen Anspruch auf Einsicht in die Verfahrensakten. Dritten Personen kann gem. § 299 Abs. 2 ZPO Einsicht in die Akten gestattet werden, wenn entweder beide Parteien einwilligen oder wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Ist ein solches Interesse glaubhaft gemacht, ist im Rahmen der Ermessensentscheidung das Informationsinteresse des Antragstellers mit dem Geheimhaltungsinteresse der widersprechenden Partei abzuwägen.

Zuständig für die Entscheidung über die Akteneinsicht ist der "Vorstand des Gerichts" (d.h. der Direktor oder Präsident), in dessen Akten Einsicht begehrt wird. Statthaftes Rechtsmittel gegen dessen Entscheidung – einen Justizverwaltungsakt – ist gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, über den gem. § 25 Abs. 1 EGGVG ein Senat des OLG entscheidet, in dessen Bezirk das aktenführende Gericht seinen Sitz hat.

Das Landgericht Regensburg hatte das Akteneinsichtsgesuch mit der (vorsichtig ausgedrückt) mutigen Begründung abgelehnt, dass die Antragstellerin schon ein rechtliches Interesse nicht glaubhaft gemacht habe. Die Akteneinsicht diene eher dem Ausforschen des Sachverhalts.

Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 23 EGGVG. Und das OLG Nürnberg hebt den Beschluss des LG Regensburg auf. Das rechtliche Interesse der Antragstellerin an der Akteneinsicht ergebe sich schon aus dem glaubhaft gemachten Prozessrechtsverhältnis zwischen der Antragstellerin und der Klägerin:

"Das rechtliche Interesse der Antragstellerin im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass ihr zustehende Rechte durch den Akteninhalt berührt werden. Dazu bedarf es eines rechtlichen Bezugs zwischen dem Gegenstand des Verfahrens, über das die Akten geführt werden und einem auf Rechtsnormen beruhenden gegenwärtigen Verhältnis der Antragstellerin zu anderen Personen. Das Verfahren selbst oder wenigstens der ihm zugrunde liegende Sachverhalt muss für die rechtlichen Interessen der Antragstellerin von konkreter Bedeutung sein […].

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Antragstellerin ist, wie die Y im Parallelverfahren, von der Klägerin auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung verklagt worden, weil die abgeschlossenen Swap-Vereinbarungen weder vom zuständigen Organ der Klägerin noch innerhalb ihres Aufgaben- und Wirkungskreises abgeschlossen wurden. Ein Argumentationspunkt der Klägerin ist dabei die (fehlende) Vertretungsbefugnis des für sie handelnden Herrn S. Zudem sei es zu Beratungsfehlern durch die verklagten Banken gekommen.

Mit dem von der Antragstellerin geschilderten und glaubhaft gemachten Prozessrechtsverhältnis zur Klägerin ist ihr rechtliches Interesse gegeben. Die Klägerin macht gegen die Antragstellerin im Verfahren 6 O 20/13 gerichtlich einen Anspruch geltend, den die Antragstellerin als Beklagte abwehren will. Die Akteneinsicht dient dazu, aus dem Sachverhalt des Verfahrens 4 O 1744/11 Informationen über das (Vertretungs-)Verhältnis des Herrn S. zur Klägerin zwischen dem 21.07.2003 und dem 01.07.2008 zu gewinnen, um so die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin, die auf einer fehlenden Vertretungsmacht beruhen sollen, zu Fall bringen zu können. Für den Schadensersatzanspruch wegen Falschberatung kommt es auf das Anlegerverhalten, die Kenntnisse und die Risikobereitschaft der Klägerin an, die sich auch aus vorangegangenen Swap-Geschäften mit der Y ergeben können und damit auch der Verbesserung der rechtlichen Position der Antragstellerin in dem gegen sie geführten Prozess dienen sollen.

Eine (unzulässige) Ausforschung liegt daher gerade nicht vor. Die Antragstellerin versucht nicht, durch eine Akteneinsicht ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen aufzustellen, um eigene Ansprüche zu begründen. Sie wendet sich vielmehr als Beklagte gegen ihre Inanspruchnahme durch die Klägerin. Dass die Antragstellerin der beklagten Y - ausschließlich - Informationen über ihren eigenen Rechtsstreit verschaffen wollte und kein ernsthaftes Interesse an einer Einsicht in den vorliegenden Rechtstreit hat, ist nicht ersichtlich. Die Antragstellerin wusste nach dem Vortrag der Klägerin durch den von der Y in ihr Verfahren gestellten Akteneinsichtsantrag von dem Parallelverfahren. Eine Kontaktaufnahme der beklagten Banken untereinander wäre auch ohne das Akteneinsichtsgesuch der Antragstellerin jederzeit möglich gewesen."

Das OLG Nürnberg entscheidet jedoch im Ergebnis nicht selbst, sondern verweist die Sache zurück an das Landgericht, damit dies nunmehr sein Ermessen fehlerfrei ausüben und das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien mit dem Informationsbedürfnis der Antragstellerin abwägen kann.

Anmerkung/Besprechung, OLG Nürnberg, Beschluss vom 14.01.2014 - 4 VA 2218/13. Foto: © Henry Klingberg / www.pixelio.de