BGH: Volle Gebühren für den Mehrvergleich auch bei PKH-Beiordnung
- immer nur die Einigungsgebühr erfasst; dann stellt sich die Folgefrage, ob die Einigungsgebühr in Höhe einer 1,0-Gebühr oder einer 1,5-Gebühr verlangt werden kann.
- immer auch die Verfahrensdifferenz- und die höhere Terminsgebühr erfasst, oder
- die Differenzgebühren nur erfasst, wenn sich die Bewilligung ausdrücklich darauf bezieht. Dann stellt sich die Folgefrage, unter welchen Voraussetzungen die PKH-Bewilligung auf die weiteren Gebühren zu erstrecken ist.
Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung des OLG abgeändert und die dem Antragsteller bewilligte Verfahrenskostenhilfe auf den Vergleich „einschließlich der Differenzgebühren im Zusammenhang mit den nicht anhängigen Verfahrensgegenständen Umgang und Kindesunterhalt“ erweitert. Denn ein unbemittelter Verfahrensbeteiligter habe„einen Anspruch auf Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten auf sämtliche im Zusammenhang mit einem Mehrvergleich ausgelöste Gebühren – sei es im Wege der Auslegung einer bereits erfolgten Bewilligung, sei es im Wege einer ergänzenden Beschlussfassung.“
Der BGH holt zur Begründung sehr weit aus und beginnt mit der verfassungsrechtlichen Verankerung des Prozesskostenhilferechts im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und im dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Diese grundgesetzlich verbürgte Rechtsschutzgleichheit werde nicht gewahrt, wenn die bedürftige Partei trotz PKH-Bewilligung die Differenzgebühren selbst aufbringen müsse. Denn ihr werde damit die häufig zweckmäßige Möglichkeit genommen, eine Angelegenheit mit einem Mehrvergleich endgültig zu beenden; sie sei stattdessen darauf angewiesen, bezüglich der weiteren Gegenstände ein eigenes Verfahren zu betreiben. Für diese Ungleichbehandlung fehle es an einem tragfähigen sachlichen Grund. Hinzu komme, dass der gem. §§ 45, 48 RVG gegen die Staatskasse gerichtete Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts grundsätzlich sämtliche anfallenden Anwaltsgebühren erfasst; eine Teilbewilligung für einzelne Gebühren kenne die ZPO nicht. Entgegen der Auffassung vieler Obergerichte lasse sich etwas anderes auch nicht aus der familienrechtlichen Sondervorschrift des § 48 Abs. 3 RVG herleiten. Der Vorschrift sei nur zu entnehmen, dass es in Ehesachen in den dort genannten Fällen nicht einmal einer Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den (Mehr-)Vergleich bedürfe, weil die Erweiterung der bewilligten Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Mehrvergleichs kraft Gesetzes eintrete. Auch stehe einer Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert des Vergleichs nicht entgegen, dass die Erfolgsaussichten für die weiteren in den Vergleich einbezogenen Regelungsgegenstände nicht geprüft werden könnten:„Richtig ist, dass ohne Anhängigkeit der betreffenden Verfahrensgegenstände (…) eine diesbezügliche summarische Prüfung kaum durchführbar sein dürfte (…).
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die von einem Mehrvergleich erfassten nicht anhängigen Verfahrensgegenstände regelmäßig allenfalls eingeschränkt einer Beurteilung ihrer Erfolgsaussichten nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zugänglich sind. Denn ein Mehrvergleich erschöpft sich nicht darin, einen Streit oder eine Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens zu beseitigen (§ 779 Abs. 1 BGB). Er geht vielmehr über den eigentlichen Streitfall hinaus. Die nicht anhängigen Verfahrensgegenstände, welche im Rahmen eines Mehrvergleichs mitgeregelt werden, müssen daher nicht notwendigerweise streitige Positionen betreffen. Es erscheint ebenso naheliegend, dass die Beteiligten zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Auseinandersetzungen gegnerische Ansprüche unstreitig stellen und einer einvernehmlichen Regelung zuführen, deren Durchsetzung nach summarischer Prüfung eher wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Oder sie beziehen von vornherein unstreitige Punkte in ihren Vergleich mit ein, um etwa im Zusammenhang mit ihrer Ehescheidung eine umfassende Vermögensauseinandersetzung zu erreichen. Eine derartige Einigung würde aber weniger das Ergebnis gegenseitigen Nachgebens wiedergeben als vielmehr eine bloße Feststellung beinhalten (…).
Daher müsste in zahlreichen Fällen mangels Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung schon die Erstreckung der Verfahrenskostenhilfe auf die Einigungsgebühr für einen Mehrvergleich auf rechtliche Bedenken stoßen. Dies würde der besonderen Bedeutung nicht gerecht, welche dem Mehrvergleich für eine umfassende Regelung komplexer Lebenssachverhaltezukommt. Im Übrigen liegt es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob und in welchem Umfang es die Einigung, welche über den Verfahrensgegenstand hinausgeht, als gerichtlichen Vergleich protokolliert (…).“
Und zuletzt ergebe sich etwas anderes auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH zu § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO:„(1) Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass bei Abschluss eines Mehrvergleichs im Erörterungstermin nach § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO Prozesskostenhilfe nur für den Vergleich selbst und nicht für das gesamte Prozesskostenhilfeverfahren bewilligt werden könne (…)
(2) Diese Rechtsprechung beruht indes auf dem Grundsatz, wonach für das Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren an sich eine Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe nicht in Betracht kommt (…). Insoweit stellt § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO eine Ausnahmevorschrift dar. Bei Einigungsbereitschaft auf beiden Seiten sprengt die Vorschrift den Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens und gestattet aus Zweckmäßigkeitsgründen eine gütliche Regelung über die Hauptsache bereits vorprozessual im Wege eines Vergleichs (…).
Wird demgegenüber – wie im vorliegenden Fall – ein Mehrvergleich im Rahmen einer bereits rechtshängigen selbständigen Familiensache geschlossen, ist dem unbemittelten Beteiligten für den rechtshängigen Verfahrensgegenstand Verfahrenskostenhilfe bereits bewilligt worden. Der Grundsatz, wonach Verfahrenskostenhilfe für das Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahren an sich nicht gewährt werden kann, entfaltet dann keine Wirkung mehr. Es kommt nicht länger darauf an, ob und inwieweit § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO ausnahmsweise eine Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe im Verfahrenskostenhilfeverfahren ermöglicht, sondern es geht um den Umfang der Beiordnung eines Verfahrensbevollmächtigten in einem bereits rechtshängigen Verfahren, in dem zulässigerweise materiell-rechtliche Gegenstände mitgeregelt werden, welche außerhalb des Verfahrensstoffs streitig oder ungewiss sind (…).“