OLG Zweibrücken zur Prorogationsbefugnis des Insolvenzverwalters
Entscheidung
Das OLG hat die Berufung zurückgewiesen:„An der (…) Gerichtsstandsvereinbarung war der Kläger lediglich in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen eines kaufmännischen Unternehmens beteiligt. Eine unmittelbare Anwendung des § 38 Abs. 1 ZPO scheitert somit am klaren Wortlaut der Vorschrift. Der Insolvenzverwalter ist kein Kaufmann und wird auch dann nicht formell zum Kaufmann, wenn er ein in Insolvenz geratenes kaufmännisches Unternehmen fortführt (…).
Auch für eine entsprechende Anwendung von § 38 Abs. 1 ZPO auf den Insolvenzverwalter ist entgegen der Auffassung des Klägers kein Raum.
Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, für die Frage der Prorogationsbefugnis i.S.v. § 38 Abs. 1 ZPO komme es bei verständiger Betrachtung nicht auf die Person des Insolvenzverwalters an, sondern auf den Insolvenzschuldner, mit der Konsequenz der Anwendung des § 38 Abs. 1 ZPO im Falle der Kaufmannseigenschaft des Insolvenzschuldners (…), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Diese Erwägungen vermögen keine entsprechende Anwendung von § 38 Abs. 1 ZPO auf den Insolvenzverwalter zu rechtfertigen. Sie berücksichtigen nicht, dass die Vorschrift an den Personenkreis und nicht an das Rechtsverhältnis anknüpft, auf das sich die Vereinbarung bezieht (…). Entscheidende Gesichtspunkte, die gegen eine entsprechende Anwendung von § 38 Abs. 1 ZPO auf den Insolvenzverwalter eines kaufmännischen Unternehmens sprechen, sind die Erfordernisse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (…).
Wer im Sinne von § 38 Abs. 1 ZPO Kaufmann ist, bestimmt das Handelsrecht (§§ 1 bis 7 HGB). Sind dessen Voraussetzungen nicht erfüllt, liegt auch dann keine Prorogationsfähigkeit i.S.d. § 38 Abs. 1 vor, wenn die Berufsausübung – etwa eines freien Berufs – einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erforderlich macht (...). § 38 ZPO ist eine abschließende Regelung. Im Interesse der Rechtssicherheit beschränkt die Vorschrift den Kreis der nach ihrem Abs. 1 prorogationsbefugten Personen.
Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung etwa auf solche Personen wie Rechtsanwälte, Notare, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder sonstige Angehörige wirtschaftsberatender Berufe ist mit dem abschließenden Charakter der Regelung nicht vereinbar. Auch der Insolvenzverwalter ist somit nicht prorogationsbefugt (…).
Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung auch in der sog. Amtstheorie (…), nach welcher der Insolvenzverwalter im eigenen Namen als Partei kraft Amtes und nicht als Vertreter des Insolvenzschuldners tätig wird (…). Für die Beurteilung der Prorogationsfähigkeit kann deshalb auch nur auf seine Person und nicht auf diejenige des Insolvenzschuldners abgestellt werden.
(…) Von einer planwidrigen Regelungslücke in § 38 Abs. 1 ZPO ist nicht auszugehen. Die Vorschrift verfolgt vielmehr den Zweck eine klare Abgrenzung zu treffen. Anderenfalls hätte der Gesetzgeber zumindest Rechtsanwälte in die Bestimmung des § 38 Abs. 1 ZPO einbeziehen und sie als prorogationsbefugt ansehen müssen. Dem Zweck der Gewährleistung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit würde es entgegenstehen, wenn in jedem Einzelfall für die Beurteilung der Prorogationsbefugnis nach § 38 Abs. 1 ZPO eine Abgrenzung, etwa nach dem Maß der Schutzbedürftigkeit der Vertragsparteien bzw. deren Art der Geschäftsführung oder Geschäftserfahrenheit vorgenommen werden müsste.
Anders als etwa § 1031 Abs. 5 Satz 1 ZPO für die Schiedsvereinbarung, stellt § 38 Abs. 1 ZPO auch nicht auf den Verbraucher (§ 13 BGB) in Abgrenzung zum Unternehmer (§ 14 BGB) ab, sondern auf den Rechtsbegriff „Kaufleute“ (§§ 1 ff HGB). Für die Auffassung des Klägers, die Trennlinie sei nicht mehr zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten zu ziehen, sondern zwischen Unternehmern und Verbrauchern, ist angesichts dieser klaren rechtlichen Definition kein Raum (...). Der Gesetzgeber hat den Fortbestand der unterschiedlichen Begrifflichkeiten und die daran anknüpfenden unterschiedlichen Konsequenzen in der Zivilprozessordnung offenbar hingenommen.
Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass der Erstrichter den Insolvenzverwalter nicht für prorogationsbefugt i.S.d. § 38 Abs. 1 ZPO erachtet hat, so dass die Gerichtsstandsvereinbarung hinsichtlich des Gerichtsortes Kaiserslautern unwirksam war.“
Anmerkung
Das entspricht zwar der ganz herrschenden Ansicht (s. z.B. vehement MünchKomm-ZPO/Patzina, 5. Aufl. 2016, § 38 Rn. 17), zeigt aber gleich in zweierleit Hinsicht, warum die geltende Rechtslage nicht überzeugt:- Zunächst einmal könnte man die überholte Dichotomie Kaufmann/Nichtkaufmann (im Gegensatz zur heute verbreiteten Dichotomie Verbraucher/Unternehmer) kaum deutlicher herausstellen, als an dem hier in Rede stehenden Fall: Wäre der Insolvenzverwalter selbst in seinem Beruf Kaufmann (weil er z.B. nicht - wie in der Regel - Freiberufler ist), könnte er auch als Insolvenzverwalter einen Gerichtsstandsvereinbarung schließen. Ist er es hingegegn nicht, kann er zwar womöglich geschäftserfahrener sein, als die Geschäftsführer der verwalteten Gesellschaft, trotzdem erklärt ihn § 38 Abs. 1 ZPO insoweit „unmündig". Und überhaupt ist die Folge der Regelung, dass Freiberufler keine Gerichtsstandsvereinbarung schließen können (kritisch auch Pfeiffer, JA 2005, 369). Verbraucher können sich also durch eine Schiedsvereinbarung gem. § 1031 Abs. 5 Satz 1 ZPO zwar des Schutzes staatlicher Gerichte insgesamt begeben; eine große Anwaltssozietät mit mehreren hundert Mitarbeitern kann aber nicht mal mit dem Lieferanten für Büromaterial einen anderen Gerichtsort vereinbaren.
- Und der Fall zeigt auch, warum Kritik an der ganz herrschende sog. Amtstheorie (s. z.B. Karsten Schmidt, Handelsrecht § 4 Rn. 67 ff.;) nicht von der Hand zu weisen ist: Denn dass ein großes Unternehmen plötzlich im Rechtsverkehr teilweise seine Kaufmannseigenschaft verliert, weil zum Insolvenzverwalter nicht ein Kaufmann i.S.d. HGB bestellt wird, ist nicht wirklich einsichtig. Dies übrigens um so mehr, als die Insolvenzschuldnerin im Rahmen einer Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) doch wieder eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen könnte.