Schiedsklauseln in der Insolvenz – Was ist ein gegenseitiger Vertrag i.S.d. § 103 InsO?

Inwieweit ein Insolvenzverwalter an eine vom Schuldner geschlossene Schiedsabrede gebunden ist, war hier erst kürzlich noch Thema. Kurz zusammengefasst entfällt die Bindung nur, soweit es sich um originär insolvenzrechtliche Ansprüche handelt, über die der Schuldner nicht hätte verfügen können, insbesondere also Insolvenzanfechtungsansprüche und Ansprüche wegen des Wahlrechts gem. § 103 InsO. Und während Insolvenzanfechtungsansprüche gem. §§ 129 ff. InsO i.d.R. relativ eindeutig zu bestimmen sind, bereitet die Feststellung eines gegenseitigen Vertrages i.S.d. § 103 InsO in der Praxis durchaus Probleme, wie der erst kürzlich veröffentlichte Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 27.07.2017 – I ZB 93/16 zeigt.Sachverhalt Die Schuldnerin ist eine Brauerei und Mitglied einer Genossenschaft, die ein Mehrwegsystem für Einheitsflaschen und -kästen betreibt. Nach der Satzung der Genossenschaft beschließt die Generalversammlung Verwendungsbestimmungen. In diesen Verwendungsbestimmungen heißt es u.a., dass das Recht des Verwenders zum Verkehr mit den Flaschen und Kästen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verwenders endet. Diese Verwendungsbestimmungen wurden auch von der Schuldnerin unterzeichnet, in dem sich auch eine Schiedsabrede findet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens lehnte die Insolvenzverwalterin die Erfüllung der Verträge zwischen der Schuldnerin und der Genossenschaft unter Berufung auf § 103 InsO ab und veräußerte den Betrieb an einen Erwerber, der auch das Einheitsleergut übernahm, aber nicht am Mehrwegsystem der Genossenschaft beteiligt ist. Mit ihrer Schiedsklage verlangte die Genossenschaft von der Insolvenzverwalterin Schadensersatz wegen Verletzung der Verwendungsbestimmungen. Das Schiedsgericht gab der Schiedsklage statt, obwohl die Insolvenzverwalterin die Zuständigkeit des Schiedsgerichts gerügt hatte. Nun beantragt die Insolvenzverwalterin die Aufhebung des Schiedsspruchs u.a. mit der Begründung, das Schiedsgericht sei nicht zuständig gewesen. Denn es habe sich um Ansprüche im Zusammenhang mit dem ihr gem. § 103 InsO zustehenden Wahlrechts gehandelt, die nicht von der zwischen der Schuldnerin und der Antragsgegnerin vereinbarten Schiedsklausel umfasst seien. Mit ihrem Antrag war sie vor dem OLG nicht erfolgreich (OLG Köln, Beschluss vom 23.09.2016 – 19 Sch 9/16, NZI 2017, 509 mit sehr lesenswerter Anmerkung von Poertzgen).

Die Insolvenzschuldnerin und die Antragsgegnerin hatten hier eine Schiedsvereinbarung i.S.d. §§ 1029 ff. ZPO getroffen, wonach Streitigkeiten zwischen den Parteien nicht vor den staatlichen Gerichten, sondern vor einem Schiedsgericht beigelegt werden sollten. Deshalb hatte die Antragsgegnerin die Insolvenzverwalterin (als Partei kraft Amtes verklagt) wegen der Verletzung der Rechte und Pflichten aus dem Pfandsystem vor einem Schiedsgericht verklagt und gewonnen. Dabei hatte das Schiedsgericht entschieden, dass die Schadensersatzforderung der Antragsgegnerin keine Insolvenzforderung sei (die zur Insolvenztabelle anzumelden ist und auf welche die Antragsgegnerin dann eine Insolvenzquote erhalten hätte), sondern dass diese Forderung eine sog. Masseforderung war, d.h. unmittelbar aus der Insolvenzmasse (in voller Höhe) zu bedienen war. Mit dieser Entscheidung wollte sich die Insolvenzverwalterin nicht abfinden. Sie hatte daher gem. § 1059 ZPO vor dem OLG beantragt, den Schiedsspruch aufzuheben, u.a. mit der Begründung, dass das Schiedsgericht gar nicht zuständig gewesen sei (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. c ZPO). Das war eigentlich durchaus plausibel, denn der geltend gemachte Anspruch resultierte auf den ersten Blick auf einem beiderseitig nicht erfüllten Vertrag (den Verwendungsbestimmungen), bei dem die Insolvenzverwalterin gem. § 103 InsO entschieden hatte, diesen nicht zu erfüllen. Da der sich damit ergebende Schadensersatzanspruch zwingend frühestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen konnte, handelte es sich eigentlich um einen originär insolvenzrechtlichen Anspruch, der nach der Rechtsprechung des BGH nicht von einer vom Schuldner geschlossenen Schiedsvereinbarung erfasst ist. Allerdings kam hier als Besonderheit hinzu, dass die Schuldnerin nicht nur einen Vertrag mit der Antragsgegnerin geschlossen hatte, sondern auch deren Mitglied war. Und nun stellte sich die Frage, in welchem Verhältnis mitgliedschaftliche (korporationsrechtliche) und vertragliche Ansprüche standen und welche Auswirkungen dies auf die Auslegung von § 103 InsO hatte. Das OLG hatte dazu gemeint, das Rechtsverhältnis zwischen Schuldnerin und Antragsgegnerin sei schon durch deren Mitgliedschaft ausgestaltet. Deshalb handele es sich nicht um einen gegenseitigen Vertrag, mit der Folge, dass der Schadensersatzanspruch nicht originär insolvenzrechtlich zu qualifizieren und deshalb von der Schiedsklausel erfasst sei.
Entscheidung
Auch der Bundesgerichtshof hielt das Schiedsgericht für zuständig und stellt insoweit noch einmal die allgemein geltenden Grundsätze dar:

„Die Schiedsvereinbarung ist weder ein gegenseitiger Vertrag noch ein Auftrag. Der Verwalter kann daher weder die Erfüllung ablehnen, noch erlischt der Schiedsvertrag durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (…).

Der Insolvenzverwalter ist an eine vom Schuldner abgeschlossene Schiedsvereinbarung allerdings nicht gebunden, soweit streitgegenständlich ein selbständiges, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenes Recht des Insolvenzverwalters ist (…).

Zu diesen Rechten des Verwalters gehört das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen nach § 103 InsO. Vom Wahlrecht erfasst werden die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern, soweit sie auf einer vertraglichen Grundlage beruhen. Sind die in Rede stehenden Rechte oder Pflichten dagegen korporationsrechtlicher Art, fehlt es an einem gegenseitigen Vertrag (…).“

Hier ergäben sich die vertraglich geregelten Rechte und Pflichten schon aus der Mitgliedschaft der Schuldnerin:

„Die gemäß den Verwendungsbestimmungen ausgestalteten Rechtsbeziehungen zwischen der Schuldnerin und der Antragsgegnerin sind unabhängig davon schon auf der Grundlage der weiteren, fehlerfreien Annahmen des Oberlandesgerichts korporationsrechtlicher Natur.

(1) Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Generalversammlung der Antragsgegnerin beschließe aufgrund (…) ihrer Satzung die von der Schuldnerin unterzeichneten Verwendungsbestimmungen. Die Mitglieder der Antragsgegnerin seien gemäß (…) der Satzung verpflichtet, Beschlüssen der Generalversammlung nachzukommen. Die Gewährleistung eines Mehrwegpfandsystems sei nach (…) der Satzung Gegenstand des Unternehmens der Antragsgegnerin. Gemäß (…) der Satzung habe jedes Mitglied der Antragsgegnerin das Recht, „die Einrichtungen der Genossenschaft nach Maßgabe der dafür getroffenen Bestimmungen zu benutzen“ und insbesondere am Pfandsystem teilzunehmen. Die Verwendungsbestimmungen seien nicht als Vertrag und die Teilnehmer am Mehrwegpfandsystem nicht als Vertragsparteien, sondern als „Beteiligte“ bezeichnet.

Die Unterschrift der Beteiligten unter die Verwendungsbestimmungen sei keine Annahmeerklärung, sondern gewährleiste die Kenntnis der Verwendungsbestimmungen und diene so einem reibungslosen Ablauf des Poolverkehrs. Die Verwendungsbestimmungen regelten nicht gegenseitige Verpflichtungen zwischen der Antragsgegnerin und einzelnen Poolmitgliedern, sondern horizontale Pflichten im Verhältnis der einzelnen Poolmitglieder untereinander.

(2) Danach ergab sich das Ob und Wie der Teilnahme der Schuldnerin am Mehrwegpfandsystem unmittelbar aus ihrer Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin. Als Mitglied war sie gemäß (…) der Satzung berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Einrichtungen der Antragsgegnerin und damit auch ihr Mehrwegpfandsystem „nach Maßgabe der dafür getroffenen Bestimmungen“ zu nutzen, also gemäß den von der Generalversammlung der Antragsgegnerin nach (…) der Satzung erlassenen Verwendungsbestimmungen.

Sowohl die Teilnahmeberechtigung als auch die inhaltliche Ausgestaltung der Teilnahme am Mehrwegpfandsystem ergab sich damit für die Schuldnerin aus ihrer Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin, wobei es ihr mitgliedschaftliches Recht war, die konkreten Flaschen- und entsprechenden Kästenpools der Antragsgegnerin zu bestimmen, denen sie beitreten wollte.

Waren die Rechte und Pflichten der Schuldnerin korporationsrechtlicher Natur, hatte die Unterzeichnung der Verwendungsbestimmungen nur noch deklaratorischen Charakter. Die Rechte und Pflichten der Schuldnerin beruhten unmittelbar auf der Satzung; sie „standen und fielen“ mit ihrer Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin (…).“

Anmerkung
Die Entscheidung bringt in der Sache nichts bahnbrechend Neues, sondern wendet die nach der Rechtsprechung des BGH geltenden Grundsätze auf einen relativ speziellen Fall an. Die Entscheidung zeigt dabei deutlich, dass auch auf den ersten Blick eindeutige Fälle gegenseitiger Verträge nicht stets unter § 103 InsO fallen und deshalb von der Schiedsklausel erfasst sein müssen und dass insoweit eine sorgfältige Prüfung lohnt. tl;dr: Der Insolvenzverwalter ist an eine vom Schuldner abgeschlossene Schiedsvereinbarung nicht gebunden, soweit streitgegenständlich das Wahlrecht bei gegenseitigen Verträgen nach § 103 InsO ist. An einem gegenseitigen Vertrag fehlt es jedoch, wenn sich die aus der vertraglichen Vereinbarung folgenden Rechte und Pflichten schon aus einer korporationsrechtlichen Beziehung ergeben. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 27.07.2017 – I ZB 93/16. Foto: Christin Hume | Unsplash