Auch bei Schriftsatznachlass – keine Klageerweiterung nach Schluss der mündlichen Verhandlung

Eine lesenswerte Zusammenfassung der geltenden Rechtslage zum letztmöglichen Zeitpunkt der Änderung/Anpassung von Klageanträgen und zur Unterscheidung zwischen Angriffen und Angriffs- und Verteidigungsmitteln bringt der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07.11.2017 – XI ZR 529/17.

Sachverhalt

Die Klägerin verlangte ursprünglich in erster Instanz Zahlung von 8.221,15 EUR. Innerhalb der ihr eingeräumten Schriftsatznachlassfrist reichte sie einen Schriftsatz zur Akte, in dem sie die Klage auf rund 60.000 EUR erweiterte. Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten zusammen mit dem Urteil des Landgerichts zugestellt. Das Landgericht hat die Klageerweiterung in den Entscheidungsgründen seines Urteils als unzulässig zurückgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der diese ihren auf Zahlung von 60.000 EUR gerichteten Antrag weiterverfolgte, hat das OLG nach einem entsprechenden Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dabei hat es darauf hingewiesen, dass die Klageerweiterung zu Recht vom Landgericht als unzulässig zurückgewiesen worden und auch nicht in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sei. Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde. Noch vor deren Begründung hat ihr beim Bundesgerichtshof zugelassener Prozessbevollmächtigter sein Mandat niedergelegt und die Festsetzung des Streitwertes beantragt.

Die Klägerin hatte hier nach Schluss der mündlichen Verhandlung die Klage erweitert. Dieser neue Antrag war grundsätzlich bei der Entscheidung nicht mehr zu berücksichtigen, weil das Gericht nur über diejenigen Anträge entscheiden kann, mit denen auch verhandelt wurde (vgl. § 297 ZPO); das gleiche gilt im Übrigen auch für Angriffs- und Verteidigungsmittel (§ 296a ZPO). Fraglich war aber, ob sich hier etwas anderes daraus ergab, dass das Landgericht der Klägerin einen Schriftsatznachlass gewährt hatte; ihr also gem. § 283 ZPO die Möglichkeit gegeben hatte, zu einem Schriftsatz der beklagten Partei noch nach der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen. Interessant war im Übrigen auch noch, warum die Frage überhaupt zum BGH kam: Denn der Anwalt dort hatte sein Mandat niedergelegt; in der Sache musste der BGH deshalb gar nicht mehr entscheiden. Aber der Rechtsanwalt hatte beantragt, den (Gebühren-)Streitwert für die Revisionsinstanz festzusetzen (§ 66 GKG). Und im Rahmen dessen musste der BGH entscheiden, welchen „Umfang“ der Rechtsstreit in der Vorinstanz hatte und in welcher Höhe er deshalb durch die Nichtzulassungsbeschwerde auch beim BGH anhängig geworden war.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat den Streitwert für die Revisionsinstanz in Höhe des ursprünglichen Streitwerts von 8.221,15 EUR festgesetzt:

„Nur in dieser Höhe ist der Zahlungsantrag der Klägerin Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens geworden.

1. In erster Instanz ist lediglich der ursprünglich gestellte Zahlungsantrag in Höhe von 8.221,15 € rechtshängig geworden. Wie sich aus § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (…). Daran ändert auch der Schriftsatznachlass nichts, da dieser nur im Rahmen des § 296a Satz 2 ZPO für Angriffs- und Verteidigungsmittel beachtlich ist.

Mangels einer Antragstellung in mündlicher Verhandlung darf über eine nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung daher nicht entschieden werden (…). In Einklang damit hat das Landgericht von einer Entscheidung über die Klageerweiterung abgesehen. Da die Klageerweiterung mithin nicht rechtshängig und damit nicht Gegenstand der Ausgangsentscheidung wurde, ist sie auch nicht in der Berufungsinstanz angefallen.

Daran ändert auch die erfolgte Zustellung des Schriftsatzes an die Beklagte nichts. Diese erfolgte zusammen mit dem erstinstanzlichen Urteil und verfolgte damit erkennbar nicht den Zweck, die unzulässige Klageerweiterung rechtshängig zu machen (…).

2. Die in erster Instanz unzulässige Klageerweiterung ist auch nicht dadurch rechtshängig und Gegenstand der Entscheidung des Berufungsgerichts geworden, dass die Klägerin diese im Rahmen ihrer Berufungsanträge wiederholt hat. Die in dieser Antragstellung zu erblickende zweitinstanzliche Klageerweiterung ist durch die Entscheidung des Berufungsgerichts wirkungslos geworden. Eine zweitinstanzliche Klageerweiterung hindert das Berufungsgericht nicht, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zu erlassen (…). Wird die den erstinstanzlichen Streitgegenstand betreffende Berufung durch einen einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, verliert die Klageerweiterung entsprechend § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung (…).

3. Gegenstand der Berufungsentscheidung ist deshalb nur der ursprüngliche Antrag der Klägerin auf Zahlung von 8.221,15 €. Sie ist auch nur in dieser Höhe durch die Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert. Dieser Betrag bildet außerdem den Beschwerdegegenstand des beabsichtigten Revisionsverfahrens, da die Klägerin die Entscheidung des Berufungsgerichts in Gänze angegriffen hat (…).“

Anmerkung
Das kann eigentlich niemanden wirklich überraschen; umso interessanter ist, wie ausführlich der XI. Zivilsenat den Beschluss begründet. Der Beschluss zeigt noch einmal sehr deutlich den Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungsmitteln und Angriffen selbst: Die Klageerweiterung war ein Angriff und kein Angriffs- und Verteidigungsmittel i.S.d. §§ 296, 296a ZPO. Deshalb unterfiel der Angriff auch nicht diesen Verspätungsvorschriften; er war deshalb aber gleichzeitig auch nicht von der Schriftsatznachlassfrist erfasst. Dass die Klageerweiterung trotzdem unzulässig war, ergab sich vielmehr schon aus der allgemeinen Erwägung, wonach nur diejenigen Anträge Gegenstand der Entscheidung sein können, die auch Gegenstand der Verhandlung waren. tl;dr: Die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müsse. Daran ändert auch der Schriftsatznachlass nichts. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 07.11.2017 – XI ZR 529/17. Foto: Andreas Praefcke | Karlsruhe BGH Eingangsbereich | CC BY 3.0