Selbständiges Beweisverfahren auch bei streitigen Anknüpfungstatsachen?

Wenn ich mir die Beiträge der letzten Monate anschaue, dann häufen sich im Moment Beiträge zum selbständigen Beweisverfahren.

Ebenfalls mit dem selbständigen Beweisverfahren und dessen Zulässigkeit befasst sich der Beschluss des OLG Hamm vom 29.12.2014 - 11 W 110/14.

Sachverhalt

Der Antragsteller begehrte die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis seiner Behauptung, bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen und die von ihm behauptete Berufsunfähigkeit seien kausale Folge des Unfallgeschehens. Der Hergang des Unfalls, insbesondere die Anstoßgeschwindigkeit, ist zwischen den Parteien streitig.

Das Landgericht Dortmund (Beschluss vom 31.10.2014 - 21 OH 3/14) lehnte die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ab, da die Beweisfragen mangels feststehender Anknüpfungstatsachen nicht geklärt werden könnten.

Entscheidung

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde war erfolgslos:

„Mit den zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht herausgestellt, dass die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht zulässig ist, weil die gestellten Beweisfragen im selbständigen Beweisverfahren nicht geklärt werden können. Insofern wird vollumfänglich auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und des Nichtabhilfebeschlusses vom 05.12.2014 verwiesen.

Zwar kann ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO grundsätzlich auch Verkehrsunfälle zum Gegenstand haben, dies gilt jedoch nicht, wenn von vornherein zu erwarten ist, dass das Unfallgeschehen und damit auch die Verantwortlichkeit für die dabei entstandenen Schäden nur durch die Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Parteien - als Grundlage des beantragten Sachverständigengutachtens - hinreichend geklärt werden kann (OLG Hamm, Beschluss vom 03.11.1998, 9 W 31/97).

So liegt der Fall hier. Eine Nichtberücksichtigung der Parteibekundungen und Zeugenaussagen durch den Sachverständigen muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren, zumindest ergänzenden Begutachtung gemäß § 412 ZPO führen, so dass das vom Antragsteller angestrebte selbständige Beweisverfahren weder zu einer Verfahrensbeschleunigung, noch zu einer Kostenreduzierung führen würde.“

Anmerkung

Den Beschluss halte ich im Ergebnis und in der Begründung für wenig überzeugend.

Zum einen ist allgemein anerkannt, dass § 485 Abs. 2 ZPO im Zweifel weit auszulegen ist (s. dazu auch diesen Beitrag). Und ein rechtliches Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist hier durchaus zu erkennen. Denn es spricht einiges dafür, dass der Antragsteller von einem Rechtsstreit absähe, käme das Gutachten sogar auf Grundlage seiner Unfallschilderung zu einem für ihn nachteiligen Ergebnis.

Zum anderen berücksichtigt die Entscheidung m.E. nicht die Regelung in § 404a Abs. 3 ZPO, nach der das Gericht dem Sachverständigen „bei streitigem Sachverhalt“ bestimmte Anknüpfungstatsachen vorgeben kann. Eine Begutachtung könnte daher entweder - allein - auf Grundlage der Schilderung des Antragstellers oder alternativ auf der Grundlage beider Unfallschilderungen erfolgen (s. OLG Hamm, Beschl. v. 16.09.2010 - 6 W 65/10).

Der Kollege Duchstein weist zu Recht auch noch darauf hin, dass diese Rechtsansicht - bei konsequenter Anwendung - die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens  in vielen Fällen in das Belieben des Antragsgegners stellte. Denn dieser könnte den Antragsteller „in einen Rechtsstreit zwingen“, indem er sämtliche Anknüpfungstatsachen  bestreitet (hoffentlich im Rahmen von § 138 Abs. 1 ZPO).

Vor diesem Hintergrund erscheint es übrigens auch wenig verständlich, dass das OLG die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat.

 Anmerkung/Besprechung, OLG Hamm, Beschluss v. 29.12.2014 - 11 W 110/14. Foto: Rolle Ruhland/OLG Hamm 4/7 | flickr.com | CC BY-SA 2.0