Selbständiges Beweisverfahren und materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch

Das selbständige Beweisverfahren sieht – mit Ausnahme des Sonderfalls des § 494a ZPO – keine Möglichkeit einer Kostenentscheidung vor, weil die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des Rechtsstreits gehören. Das führt in der Praxis insbesondere dann zu Problemen, wenn es nach dem selbständigen Beweisverfahren nicht zu einem Hauptsacheprozess kommt, weil beispielsweise das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung zwischenzeitlich weggefallen ist. Mit Beschluss vom 10.10.2017 – VI ZR 520/16 hat sich der Bundesgerichtshof nun mit den verschiedenen Möglichkeiten befasst, die dem Antragsteller zur Verfügung stehen, um trotzdem die Kosten des Verfahrens vom Antragsgegner ersetzt zu bekommen.

Sachverhalt

Dem Verfahren zugrunde lag ein Nachbarschaftsstreit. Vom Grundstück des Beklagten wuchs ein Ast herüber, von dem die Kläger befürchteten, er sei abbruchgefährdet. Weil der Beklagte den Ast trotz Aufforderung durch die Kläger nicht entfernte, beantragten die Kläger die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, um Schäden an dem Ast feststellen zu lassen. Nachdem das Gutachten des Sachverständigen vorlag (und die Schäden wohl bejahte), ließ der Beklagte den Ast entfernen. Die Kläger machen nunmehr die ihnen im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens entstandenen Kosten im Wege der Leistungsklage geltend und hatten damit in erster und zweiter Instanz Erfolg. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der (hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage zugelassenen) Revision.

Den Klägern stand hier gegen den Beklagten ein Beseitigungsanspruch aus §§ 1004, 910 Abs. 1 BGB zu (für den es u.U. übrigens auf die Beschädigung des Astes gar nicht ankam, aber dazu später). Trotzdem hatten die Kläger den Beklagten nicht auf Beseitigung verklagt oder den Ast selbst entfernt und dann vom Beklagten die Kosten (aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 BGB) ersetzt verlangt, sondern zunächst ein selbständiges Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO eingeleitet. Damit kann während oder – praktisch relevanter – vor einem Prozess über einzelne Fragen Beweis erhoben werden; das Beweisergebnis des selbständigen Beweisverfahrens kann später im Prozess verwendet werden und ist bindend, wenn sich eine der Parteien darauf beruft (§ 493 Abs. 1 ZPO). Das selbständige Beweisverfahren sieht aber grundsätzlich keine Möglichkeit einer Kostenentscheidung vor. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens (Anwaltskosten, eine Gerichtsgebühr und insbesondere die Auslagen für die Beweisaufnahme, insbesondere bei Sachverständigengutachten) gehören vielmehr zu den Kosten des späteren Rechtsstreits; über sie ist deshalb zusammen mit den Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Eine Ausnahme davon normiert lediglich § 494a ZPO. Hier war nun das Problem, dass während des selbständigen Beweisverfahrens quasi Erledigung eingetreten war; ein Hauptsacheprozess auf Beseitigung des Astes kam nicht mehr in Betracht. Um in einem solchen Fall trotzdem eine Hauptsachekostenentscheidung zu Lasten der beklagten Partei herbeiführen zu können, hat der Bundesgerichtshof eine Hauptsacheklage für zulässig gehalten, die darauf gerichtet ist, festzustellen, dass die beklagte Partei verpflichtet war, die Handlung vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 12.02.2004 - V ZB 57/03). Diesen Weg waren die Kläger hier aber nicht gegangen, sondern sie hatten ihre Kosten als Verzugsschaden gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB mit einer normalen Leistungsklage geltend gemacht. Und nun stellte sich die Frage, ob das zulässig war.

Entscheidung

Der BGH hat sich der Auffassung der Vorinstanzen angeschlossen und die Klage für zulässig gehalten:

„Die Annahme des Berufungsgerichts, die Kläger könnten ihr Kostenerstattungsbegehren im Streitfall im Wege der Leistungsklage und gestützt auf ihren materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch verfolgen, ist frei von Rechtsfehlern.

a) Die Kläger hatten keine Möglichkeit, im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine (prozessuale) Kostenentscheidung zu ihren Gunsten zu erlangen.

Im selbständigen Beweisverfahren ergeht grundsätzlich keine Kostenentscheidung (...). Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens bilden einen Teil der Kosten des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens, über die in der Regel in diesem Verfahren entschieden wird (…), so dass sie dort im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sind (…).

Soweit eine Kostenentscheidung in einem selbständigen Beweisverfahren von der Prozessordnung überhaupt vorgesehen ist, erfolgt sie gegen den Antragsteller (§ 494a Abs. 2 ZPO). Kommt es nicht zu einem Hauptsacheverfahren, weil der Antragsteller nach Durchführung der Beweisaufnahme von der Einleitung des Hauptsacheverfahrens absieht, soll der Antragsgegner durch § 494a ZPO so gestellt werden, als habe er obsiegt (…).

Darüber hinaus kann eine Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren ausnahmsweise ergehen, wenn der Antragsteller seinen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurücknimmt. In diesem Fall hat der Antragsteller in entsprechender Anwendung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO grundsätzlich die Kosten zu tragen (…).

Dagegen besteht im selbständigen Beweisverfahren für eine Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung von § 91a ZPO kein Raum. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob die Erledigung einseitig durch den Antragsteller (…) oder übereinstimmend von Antragsteller und Antragsgegner erklärt wird (...).

b) Nimmt der Antragsgegner - wie hier - nach Erhebung des beantragten Beweises eine Handlung vor, die das Interesse des Antragstellers entfallen lässt, den Antragsgegner hierauf klageweise in Anspruch zu nehmen, steht dem Antragsteller stattdessen grundsätzlich die Möglichkeit offen, das Hauptsacheverfahren mit der Klage auf Feststellung zu führen, dass der Antragsgegner zu der vorgenommenen Handlung verpflichtet war (…). Obsiegt er in diesem Verfahren, erreicht er eine Kostengrundentscheidung, die die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens umfasst (…).

c) Die Möglichkeit eines solchen Vorgehens schließt die unmittelbare Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs im Wege der Leistungsklage indes nicht aus.

Zwar kann die Durchsetzung eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs eingeschränkt sein, soweit die geltend gemachten Kosten mit denjenigen Kosten identisch sind, die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können oder geltend gemacht worden sind. Diese Einschränkung dient dazu, Unterschiede zwischen einer auf gleichem Sachverhalt beruhenden Entscheidung über den materiell-rechtlichen Anspruch einerseits und den prozessualen Kostenerstattungsanspruch andererseits zu vermeiden und räumt insoweit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch im Grundsatz den Vorrang ein, sofern der Prozess geführt wird oder geführt worden ist (…).

So liegt es im Streitfall indes gerade nicht, weil es eine prozessuale Kostenentscheidung gar nicht gibt, der Antragsteller seinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch vielmehr geltend macht, ohne dass ein Hauptsacheprozess im Sinne des § 494a ZPO – und sei es auch nur in Gestalt einer Feststellungsklage – geführt wurde oder geführt wird, oder auch nur ein Antrag nach § 494a Abs. 1 ZPO gestellt wurde.

Jedenfalls solange dies nicht der Fall ist, können die Kosten eines selbständigen Beweisverfahrens daher ohne Beschränkung im Wege der Leistungsklage und – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – gestützt auf den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht werden (…).

Nach diesen Grundsätzen müssen sich die Kläger nicht auf die Erhebung einer Feststellungsklage im Hauptsacheverfahren verweisen lassen. Hat der Antragsgegner eines selbständigen Beweisverfahrens einen Antrag nach § 494a Abs. 1 ZPO nicht gestellt, beschränkt sich das Ziel einer möglichen Feststellungsklage des Antragstellers auf sein Kosteninteresse und sind die sonstigen Voraussetzungen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs, etwa aus Verzug, wie im Streitfall vom Berufungsgericht festgestellt gegeben, erschöpft eine Leistungsklage des Antragstellers vielmehr dessen mögliches Feststellungsziel.“

Anmerkung
Die Entscheidung ist gleich in mehrfacher Hinsicht interessant: Durch die Entscheidung wird nochmals deutlich, dass das selbständige Beweisverfahren in kostenrechtlicher Hinsicht ziemlich „unselbständig“ ist und zu prozessualen „Umwegen“ zwingt. Deshalb wird auch immer wieder die Möglichkeit einer Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren diskutiert (s. nur Herget, MDR 2016, 943 ff.). Für die Praxis äußerst wichtig ist, dass in einem Fall, in dem das Interesse während des selbständigen Beweisverfahrens wegfällt, keinesfalls Rücknahme oder  Erledigung erklärt werden darf (eine Erledigungserklärung wird nämlich als Rücknahme des Antrags ausgelegt). Denn nach Rücknahme entscheidet das Gericht über die Kosten des Verfahrens nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wobei materiell-rechtliche Kostenerstattungsgansprüche nicht berücksichtigt werden können (BGH, Beschluss vom 06.07. 2005 - IV ZB 6/05). Und diese (rechtskräftige) Kostenentscheidung wiederum steht einer späteren Geltendmachung des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nach Auffassung des BGH entgegen (vgl. BGH, Urteil v. 16.02.2011 − VIII ZR 80/10; a.A. Becker-Eberhard in MünchKommZPO, 5. Aufl. 2016, § 269 Rn. 77). Richtig ist es - wenn die Beweiserhebung noch nicht abgeschlossen ist - den Antrag umzustellen auf die Feststellung des vergangenen Zustands (s. Schreiber in MünchKommZPO, 5. Aufl. 2016, § 485 Rn. 36). Ist die Beweisaufnahme abgeschlossen, bedarf es keiner Erklärung. Taktisch scheint es mir im Übrigen trotz diese Entscheidung sinnvoller, eine Hauptsacheklage mit dem vom BGH thematisierten Feststellungsantrag zu stellen. Denn deren Streitwert dürfte den Wert des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nicht übersteigen und u.U. sogar nur einen Bruchteil betragen (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 19.05.2014 - 12 O 2881/14: nur 1/3 der Kosten). Außerdem schafft die dann ergehende Hauptsachekostenentscheidung „klare Verhältnisse“, insbesondere auch im Hinblick auf § 494a ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 01.07.2004 - V ZB 66/03). Und zuletzt macht mich die Entscheidung materiell-rechtlich etwas ratlos. Denn m.E. dürfte es gar nicht auf die Frage ankommen, ob der Ast abbruchgefährdet war. Entweder stand den Klägern unabhängig vom Zustand des Astes ein Anspruch auf Beseitigung aus §§ 1004, 910 Abs. 1 Satz 2 BGB zu oder aber dieser war verjährt, dann ändert daran auch der Zustand des Astes nicht. (Oder übersehe ich etwas? Der BGH musste sich mit der Frage übrigens deshalb nicht befassen, weil das Berufungsgericht die Zulassung der Revision wirksam auf die die Zulässigkeit der Klage beschränkt hatte.) Vielleicht illustriert der Sachverhalt auch nur sehr deutlich den Begriff des „rechtlichen Interesses“ i.S.d. § 485 Abs. 2 Satz 1, 3 ZPO. Denn indem das Amtsgericht das selbständige Beweisverfahren für zulässig gehalten und § 485 Abs. 2 Satz 3 ZPO sehr weit ausgelegt hat, konnte es zeigen, dass auch die Beantwortung einer eigentlich nicht relevante Frage der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. tl;dr: Der Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens kann die ihm entstandenen Kosten gestützt auf seinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch im Wege der Leistungsklage geltend machen, solange ein Hauptsacheverfahren im Sinne des § 494a ZPO nicht geführt wurde oder geführt wird und auch ein Antrag nach § 494a Abs. 1 ZPO nicht gestellt ist. Anmerkung/Besprechung, BGH, Beschluss vom 10.10.2017 – VI ZR 520/16 Foto: Stephen Ellis | Unsplash